Mega-Deal

Pfizer/Mylan: Gemeinsames Rettungsboot Patrick Hollstein, 15.08.2019 08:39 Uhr

Berlin - 

Es ist noch nicht lange her, da galt Mylan als der ultimative Aufsteiger unter den globalen Generikafirmen. Doch mehrere große Zukäufe platzten, seit einem Jahr sucht der Konzern händeringend nach einer neuen Strategie. Jetzt soll der Zusammenschluss mit Pfizer den Befreiungsschlag bringen – Mylan geht sogar so weit, sich für den Deal selbst aufzugeben. Der neue Partner ist nicht ganz unschuldig an der Misere und will sich durch den Zusammenschluss seiner eigenen Probleme entledigen.

Der Deal ist schnell erklärt: Pfizer spaltet seine Sparte Upjohn mit Altoriginalen wie Viagra (Sildenafil), Lipitor (Atorvastatin) und Celebrex (Celecoxib) ab und fusioniert sie mit Mylan zu einem eigenständigen Joint Venture mit neuem Namen und Sitz in Delaware. Der Generikakonzern mit Sitz in den Niederlanden wird liquidiert.

Weil Mylan zwar mehr Umsatz (12 Milliarden Dollar), aber weniger Ertrag (3,5 Milliarden Dollar) beisteuert als Upjohn (8 beziehungsweise 4 Milliarden Dollar), sollen die Pfizer-Aktionäre am Gemeinschaftsunternehmen 57 Prozent halten, die Mylan-Eigentümer müssen sich mit 43 Prozent begnügen. Dafür bekommen sie acht von 13 Sitzen im Verwaltungsrat, inklusive Chairman und President. Weitere Kröten, die die Anteilseigner von Mylan schlucken müssen: Für sie ist der Deal nicht steuerfrei; kommt das Geschäft nicht zustande, müssen sie außerdem 322 Millionen Dollar Strafe zahlen. Und weil Mylan einen Schuldenberg von 13 Milliarden Dollar mit in die Ehe bringt, bekommt Pfizer gleich erst einmal einen Schuldschein in Höhe von 12 Milliarden Dollar von der neuen Firma.

Warum also lässt sich die Mylan-Führung auf solch ein Geschäft ein? Wohl schlichtweg, weil die Alternativen fehlen. Mylan war stets durch Zukäufe gewachsen, erinnert sei an die Generikasparte von Merck (2007) und den Bereich der Markengenerika von Abbott (2014). Zuletzt sorgte der Konzern 2016 mit der Übernahme von Meda für Schlagzeilen.

Andere wichtige Deals kamen nicht zustande – Perrigo sagte schon 2015 ab, Mylan soll später auch an Stada und der OTC-Sparte von Merck interessiert gewesen sein. Zunehmend ist seitdem die Fantasie entwichen, der Aktienkurs hat sich in den vergangenen drei Jahren halbiert. Jene 82 Dollar, die Teva 2015 für jede Aktie des – damals noch deutlich umsatzschwächeren – Konkurrenten auf den Tisch legen wollte, sind mittlerweile Illusion. Damals wies das Management um die – demnächst nach Vollzug des Megadeals ausscheidende – Konzernchefin Heather Bresch die Offerte empört zurück und plante dem Vernehmen sogar die Konstruktion einer Stiftung, um eine feindliche Übernahme abzuwehren.

Doch auch operativ läuft es nicht mehr rund: Während hierzulande lange die Integration von Meda für Probleme sorgte, gab es für Mylan in den USA nicht nur für die Preispolitik Schlagzeilen, sondern auch wegen massiver Umsatzrückgängen: Das Geschäft im wichtigsten Markt für Mylan ist seit 2016 um ein Viertel eingebrochen. Ein wesentlicher Grund sind die anhaltenden Lieferprobleme beim Notfallmedikament Epipen – für die ausgerechnet Pfizer als Lohnhersteller verantwortlich war. So muss die Aussage von Pfizer-CEO Albert Bourla, Mylan sei die richtige Gelegenheit im richtigen Moment, für die Aktionäre zynisch geklungen haben.

Dabei ist der Zusammenschluss auch für Upjohn eine Art Rettungsboot. Michael Goettler, Chef der Pfizer-Sparte, rechnete vor: Im laufenden Jahr sei eigentlich mit Umsätzen von 10 Milliarden Dollar zu rechnen, allerdings habe Lyrica (Pregabalin) im ersten Halbjahr noch 1,7 Milliarden Dollar beigesteuert. Weil das US-Patent aber im Juli gefallen ist und wegen „Gegenwind“ in China, geht er nur noch von 7,5 bis 8 Milliarden Dollar aus. Auf der Ertragsseite ist der Effekt noch schmerzlicher: Von den 3,8 Milliarden Dollar im ersten Halbjahr entfielen 1,5 Milliarden auf Lyrica. Zieht man das und die negativen Effekte in China ab, kommt man auf 3,8 bis 4,1 Milliarden Dollar.

Was ist los in China? Während das Geschäft mit patentgeschützten Medikamenten läuft, war der Bereich der Altoriginale zuletzt um 20 Prozent rückläufig. Grund sind Ausschreibungen, bislang in elf Städten, die für 40 Prozent des Umsatzes stehen. Mit Mylan könne man in allen 31 Provinzen mitmischen, versprach Coury: Sein Konzern sei die „Maschine“, die Upjohn bislang gefehlt hat.

Das Reich der Mitte gehört zu den wichtigsten Märkten für Upjohn; im Frühjahr wurde das globale Headquarter der Sparte in Shanghai eröffnet. In der Kombination mit Mylan entfallen nur noch 11 Prozent auf China – die Fusion soll nicht nur Größe bringen, sondern auch eventuelle Risiken ausgleichen.

Überhaupt ist Mylan/Upjohn alles andere als eine „Bad Bank“, sondern nach Angaben der Konzernchefs weltweit einzigartig: 55 Prozent zum Konzernumsatz sollen Nordamerika und Europa beisteuern, wo Mylan bislang drei Viertel seines Geschäfts machte. Auf die USA sollen nur noch 15 Prozent entfallen; der Rest auf Asien und die Wachstumsmärkte, wo wiederum Upjohn 70 Prozent erlöste.

Auch der Produktmix sorgt laut Management für eine perfekte Balance: 34 Prozent entfallen auf Generika, die zwar weniger Marge haben, aber auch weniger Risiken, was die Exklusivität angeht. Die Markenprodukte wiederum sollen bei einem Umsatzanteil von 56 Prozent die entsprechenden Erträge liefern und auch eine gewisse Reputation. OTC-Medikamente und Biologika spielen mit 6 beziehungsweise 4 Prozent eine untergeordnete Rolle.

Weitere Kennzahlen, mit denen das Management glänzen will: 51 Fabriken weltweit sollen die permanente Lieferfähigkeit der mehr als 3000 Marken und Moleküle in den 165 Märkten sichern, in denen die Produkte vertrieben werden. Dazu gehören elf Standorte für Wirkstoffe, acht für komplexe Arzneiformen und sieben für Sterilia. Neben dem Hauptsitz in den USA soll es drei globale Zentren geben: Pittsburgh, Shanghai und Hyderabad. Insgesamt sollen 35.000 Mitarbeiter für den Konzern arbeiten, davon 15.000 in Marketing und Vertrieb.

Das wichtigste Versprechen, mit dem das Vertrauen der Aktionäre gewonnen werden soll, ist aber die Dividende: Ein Viertel des freien Cashflow sollen ab dem ersten Jahr ausgeschüttet werden. Durch zügigen Abbau der Schulden soll das Rating verbessert werden. Bis 2023 sollen neue Produktlaunches rund drei Milliarden Dollar Umsatz bringen. Dass es am Ende vor allem darum geht, wegbrechende Erlöse zu kompensieren, verrät die Wachstumsprognose, die zunächst mit „bescheiden“ und später mit „moderat“ auffällig zurückhaltend angegeben ist.