Der alte Fuchs! Diese Bemerkung kann sich Manfred Renner zum neuesten Coup von Walgreens-CEO Stefan Pessina nicht verkneifen. Jahrelang hat der ehemalige Chef der Sanacorp – mit Unterstützung aller anderen Großhandelschefs – darum gekämpft, die Anzag vor Pessina in Sicherheit zu bringen. Die Idee eines apothekereigenen Marktführers scheiterte allerdings an den Kartellbehörden. Der Italiener dagegen hat es jetzt schlussendlich geschafft, mit Alliance/Gehe der zweite Mann im deutschen Pharmagroßhandel zu werden.
Um das Kräfteverhältnis innerhalb der Branche auszugleichen, hatten die Mitbewerber die Anzag gleich zweimal unter sich aufgeteilt. Zunächst ging es gegen Adolf Merckle: Im Mai 1987 erhielten die Genossenschaften Egwa und Wiveda, die ein Jahr später zur Sanacorp verschmolzen, einen Hinweis, dass der Eigentümer des Generikaherstellers Ratiopharm die Übernahme eines größeren Anzag-Pakets plane. Merckle stand kurz vor Vertragsabschluss mit der Bayerischen Vereinsbank, die allerdings mit dem zweiten Anzag-Großaktionär, dem Bankhaus Metzler, ein Vorkaufsrecht vereinbart hatte.
Im Auftrag von Egwa/Wiveda sowie des ebenfalls genossenschaftlichen Großhändlers Noweda und des Ratiopharm-Konkurrenten Stada kaufte die DG Bank (heute DZ Bank) knapp 45 Prozent der Anteile am Frankfurter Großhändler. Nach weiteren Zukäufen teilten die drei apothekereigenen Unternehmen im Juni 1987 zwei Drittel der Anzag-Aktien unter sich auf. Merckle war vorerst gestoppt – und gründete später Phoenix.
14 Jahre später wiederholte sich bei der Anzag Geschichte – diesmal ging es gegen Pessina. Der Chef von Alliance UniChem (später Alliance Boots, heute Walgreens Boots Alliance) hatte schon länger ein Auge auf den deutschen Markt und den Frankfurter Großhändler im Speziellen geworfen. Als die DG Bank das von der Stada übernommene Paket veräußern wollte, sah er seine Chance.
Im Mai 2001 meldete die Sanacorp ihre Kaufabsicht für das Stada-Paket beim Bundeskartellamt an; durch die Übernahme hätte die Münchener Genossenschaft die Mehrheit erlangt. Doch die Wettbewerbshüter intervenierten wegen Überschneidungen in 9 von 14 Gebieten. Die Sanacorp klagte und zog bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) – am Ende ohne Erfolg.
Um Pessina aus dem Markt zu halten, übernahmen Celesio und Phoenix im September 2003 die Anteile der DZ Bank – zunächst mit einer Call-Option zugunsten der Sanacorp, die nach dem endgültigen Aus vor den Wettbewerbsgerichten wegfiel.
Doch schon im Dezember 2003 gab es plötzlich einen weiteren Mitaktionär: Nachdem die Noweda von der Sanacorp aus dem Aufsichtsrat gedrängt worden war, machte man in Essen Kasse und verkaufte 19 Prozent der Anteile für 61 Millionen Euro an Alliance Unichem. Durch weitere Zukäufe kam Pessina schließlich auf 30 Prozent.
Damit war die Pattsituation komplett. Wollte man Alliance Unichem nicht in den Markt lassen, mussten die deutschen Eigentümer bei der Anzag bleiben. Ein anderes strategisches Interesse gab es nicht, schließlich gab es weder ein Vor noch ein Zurück. Celesio-Chef Dr. Fritz Oesterle versuchte noch einmal, die Mächteverhältnisse zu verändern: Als die Sanacorp 2007 ihr Geschäft in ein Gemeinschaftsunternehmen mit der französischen Genossenschaft Cerp Rouen einbrachte, pochte Celesio auf ein vereinbartes Vorkaufsrecht – ebenfalls ohne Erfolg.
2008 platzte die Allianz gegen Alliance. Bei einer turbulenten Hauptversammlung teilten Sanacorp und die Vertreter aus Großbritannien den Aufsichtsrat unter sich auf. Trotz massiver Störfeuer seitens Celesio und Phoenix übernahmen die beiden Großaktionäre, die zusammen knapp 55 Prozent der Anteile hielten, gemeinsam die Macht beim „Großhändler der Großhändler“.
2010 war Pessina schließlich am Ziel. Für 26 Euro je Aktie übernahm Pessina die Aktien von Celesio, Phoenix und Sanacorp; damit kam Alliance Boots auf 81,64 Prozent der Anteile. Die Noweda tauschte ihr 6-prozentiges Paket wenig später gegen 28 Euro je Aktie ein. 2012 wurden die restliche Anteile eingesammelt und das Traditionsunternehmen umbenannt und von der Börse genommen.
Zufrieden war Pessina aber nicht – weder mit der Entwicklung des Deutschlandgeschäfts, noch mit der Tatsache, auf dem wichtigsten europäischen Markt nur die Nummer 5 zu sein. Vor zwei Jahren gab es Gerüchte, dass er Alliance an McKesson abgeben und im Gegenzug Phoenix als Ganzes übernehmen wolle. Der Deal kam mangels Bereitschaft bei der Merckle-Familie nicht zustande – jetzt wurde mit der Fusion von Gehe und Alliance ein Lösung gefunden, bei der Pessina sich nicht mit der Rolle des Juniorpartners zufrieden gibt, sondern den Lead hinzukauft. Mit 78 Jahren ist er seinem Ziel ein deutliches Stück näher gekommen, auch in Deutschland „König der Arzneimittel“ zu sein.
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