Das Jahr 2016 neigt sich dem Ende und hat für die Apotheker und die Branche viele schöne und weniger schöne, interessante und bewegende Geschichten geschrieben. Zu vielen dieser Geschichten gehören bestimmte Persönlichkeiten – die sich entweder im Sinne der Apotheker einsetzten, gegen die Krankenkassen stellten oder die Branche verändert haben. Hier eine Auswahl.
Retzlaff, Retzlaff und Kachout – Das „System Retzlaff“ bricht zusammen
Im Juni zerbrach das „System Retzlaff“. Konzernchef Hartmut Retzlaff warf das Handtuch, nachdem immer mehr Details über seinen Führungsstil und sein Netzwerk an Beratern an die Öffentlichkeit kamen. Wenige Wochen später musste sein Sohn Steffen Retzlaff seinen Posten als Geschäftsführer bei Stadavita abgeben, auch OTC-Chef Adil Kachout musste das Unternehmen verlassen. Nachfolger für beide Positionen gibt es noch nicht. Retzlaff hat den Vorstand zum 15. August endgültig verlassen. Bis zur vereinbarten Beendigung seines Anstellungsvertrags am 31. Dezember 2016 ist er freigestellt.
Retzlaff stand 23 Jahre an der Spitze des Konzerns. Er hattesein Amt Anfang Juni krankheitsbedingt abgegeben – nachdem zuvor der Investor Active Ownership Capital (AOC) Aktien aufgekauft und auf umfassende Reformen gedrängt hatte. Seine Aufgaben wurden unter den beiden verbliebenen Vorständen Dr. Matthias Wiedenfels und Helmut Kraft aufgeteilt. Der Sohn des Konzernchefs hatte in den vergangenen Jahren einen bemerkenswerten Aufstieg im Unternehmen hingelegt und immer mehr Ämter übertragen bekommen, wobei er direkt an seinen Vater berichtete.
Mit Kachout hat sich die Stada von einem weiteren Zögling des langjährigen Konzernchefs getrennt. Er gehörte zu den bekanntesten und zugleich geheimnisvollsten Personen im OTC-Geschäft. Sein Konzept war so schlicht wie effizient: Mit prominenten Sportlern, der Bild-Zeitung und dem TV-Pinguin brachte er seine Marken täglich aufs Neue ins Bewusstsein der Verbraucher. Kachout kam als Außenseiter nach Bad Vilbel. Retzlaff soll in einem Ferienclub auf den Kanaren auf den jungen Mann aus Essen aufmerksam geworden sein, der dort als Animateur arbeitete. 2004 stieg er ohne Erfahrungen im Pharma- oder betriebswirtschaftlichen Bereich bei der Stada ein.
Dr. Volkmar Schein – Sanicare-Chef verstorben
Der ehemalige Sanicare-Mitinhaber Dr. Volkmar Schein hat am 28. Juli Suizid begangen. Zuvor soll er sich in diesem Jahr mehrfach in psychiatrischer Behandlung befunden haben. Wegen daraus resultierender Zweifel an seiner Geschäftsfähigkeit könnte aus Sicht seiner früheren Anwälte der Gesellschaftervertrag über die OHG fraglich sein – womöglich sogar der gesamte Sanicare-Deal. Bei Schein habe eine „weitreichende psychische Beeinträchtigung“ zur Selbsttötung geführt, so die Anwältin der Familie.
Schein hatte zuletzt wieder in seiner saarländischen Heimat in Losheim am See gelebt. Aus dem operativen Geschäft der Versandapotheke Sanicare mit Sitz im niedersächsischen Bad Laer hatte er sich bereits Monate vor seinem Tod zurückgezogen. Schein hatte Sanicare im März 2013 übernommen. Nach dem Tod des vorherigen Inhabers Johannes Mönter im September 2012 war die Versandapotheke in die Insolvenz gerutscht. Schein, damals Inhaber der Hirsch-Apotheke in Losheim, kaufte die niedersächsische Apotheke in Bad Laer inklusive Versandhandel.
Schein leitete die Hirsch-Apotheke seit 1998; davor war er Inhaber der Sonnen-Apotheke in Herdorf in Rheinland-Pfalz. Der Apotheker war auch Aufsichtsratschef der Apothekenkooperation Pharm-Net, die mit dem Bundesverband Deutscher Apotheker (BVDA) kooperiert. Im Herbst 2014 änderten sich bei Sanicare die Besitzverhältnisse. Christoph Bertram stieg offiziell bei der Versandapotheke ein, diese wurde in eine Offene Handelsgesellschaft (OHG) umfirmiert. Zunächst hielten beide Geschäftspartner je 50 Prozent der Anteile, im November 2015 übertrug Schein weitere 45 Prozent an den BS-Apotheken unentgeltlich an Bertram. Dabei soll es eine deutliche Kapitalerhöhung gegeben haben. Schein hielt zuletzt nur noch 5 Prozent an der OHG.
Stefan Schmid – Apotheker vs. Versandapotheken-Kunde
Apotheker Stefan Schmid, Inhaber der Ahorn-Apotheke in Nürnberg konterte den anonymen Brief eines verärgerten Kunden mit einer Erklärung auf seiner Facebook-Seite. Der unbekannte Kunde hatte der Apotheke einen ihrer eigenen Flyer zurückgeschickt. Einen Absender trug der Brief nicht, dafür war das ausgeschnittene Angebot zu Soledum forte kommentiert: „Abzocke! Reine Abzocke!“ Der Kunde vergleicht den in der Apotheke gebotenen Rabatt mit einem Preis, den er bei einer Versandapotheke gefunden haben will. „Wo bleibt da die Ersparnis?“, fragt der offenbar aufgebrachte Kunde mit vielen Fragezeichen.
Apotheker Schmid fand es nicht besonders fair, dass der Kunde nur einen anonymen Brief geschrieben hat. „Da sich die Person aber offenbar mit dem Internet auskennt, schien mit der Facebook-Eintrag die einzige Möglichkeit, in Kontakt mit ihm zu treten“, sagte er gegenüber APOTHEKE ADHOC.
Schmid schrieb: „Lieber anonymer Briefeschreiber, danke für den Ausschnitt aus unserem Flyer, den Sie uns heute mit der Tagespost haben zukommen lassen. Ich könnte Ihnen jetzt sagen: Wir sind leider keine Versandapotheke und möchten auch keine werden – die Nähe zu unseren Kunden und unsere Beratungsstärke sind uns dafür zu wichtig. Ich könnte Ihnen auch sagen, wir sichern Arbeitsplätze in Deutschland, leisten Nacht und Feiertagsdienste, bieten Ihnen eine kostenfreie Beratung und Broschüren/ Zeitschriften, liefern in Notfällen zu Ihnen kostenlos nach Hause und bieten aus unserer Sicht attraktive Preise an. Aber das wird Sie alles nicht interessieren weil Sie möchten nur wissen: WO BLEIBT IHRE ERSPARNIS?“
Peggy Adler – mit 26 zur eigenen Apotheke
Gerade einmal 27 und schon seit mehr als einem Jahr Apothekeninhaberin: Peggy Adler sprang nach der Approbation ins kalte Wasser – und übernahm direkt eine Apotheke. Seit April 2015 ist sie Inhaberin der Mohren-Apotheke in Radeberg, einer Kleinstadt in der Nähe von Dresden. Einen familiären Bezug zur Apotheke hat Adler nicht: „Keiner aus meiner Familie ist Apotheker oder PTA“, sagt sie. Dennoch wusste sie schon früh, wohin ihr Weg gehen sollte: Nach einem Schulpraktikum in der Apotheke ihres Heimatdorfes Weixdorf stand für sie fest, dass sie in einer Apotheke arbeiten will.
Adler wurde mit gerade mal 26 Jahren zu einer der jüngsten Apothekeninhaber Deutschlands. „Das war schon immer ein großer Traum“, sagt sie. Sie hörte nach der Approbation, dass in Radeberg die Inhaberin der Mohren-Apotheke altersbedingt einen Nachfolger suchte. „Ich nutzte diese einmalige Chance und vereinbarte ein Treffen. Wir verstanden uns sofort und ich habe mich auf Anhieb in die Apotheke verliebt“, so Adler.
Obwohl noch andere Bewerber Interesse zeigten, entschied sich die ehemalige Inhaberin für die frisch approbierte Kollegin. Nach der Zusage arbeitete Adler zunächst drei Monate als angestellte Approbierte in der Mohren-Apotheke, um den Betrieb kennenzulernen. Dann stand sie auf eigenen Beinen.
Michael Althoff – Apotheker, 31, drei Apotheken
Michael Althoff wollte eine eigene Apotheke, das war ihm schon früh klar. Nun führt der 31-Jährige bereits drei Apotheken im rheinland-pfälzischen Neuwied und dem benachbarten Bendorf. Und obwohl Althoff praktisch in den Apotheken seiner Eltern aufgewachsen ist, war es ein Sprung ins kalte Wasser. Denn sein Staatsexamen hat er erst im vergangenen Jahr erlangt. Eigentlich war geplant, dass Althoff zunächst die beiden Apotheken seiner Eltern in Bendorf übernimmt – in vierter Generation – und sie auf Vordermann bringt. Aber dann entdeckte er die freien Räumlichkeiten im Schlick-Center in Neuwied.
Althoff hielt den Standort für perfekt. Zwar befindet sich 50 Meter weiter die nächste Apotheke – aber er liegt mit seiner näher am Center und an den Arztpraxen. Vor acht Monaten öffnete die Althoff-Apotheke im Schlick-Center ihre Türen und berät nun täglich hunderte Kunden, etwa die Hälfte löst ein Rezept ein. Die ersten Monate musste der Apotheker kämpfen, heute ist er mit der Entwicklung zufrieden. „Von den schwarzen Zahlen sind wir noch entfernt, doch kann ich nach acht Monaten von einer sehr gut laufenden Apotheke sprechen“, so Althoff.
Eine vierte Apotheke schließt Althoff nicht aus. Der Apotheker ist nicht abgeneigt, aber es sollte keine Neugründung sein. „Nur wenn es der Standort schlechthin ist, kommt eine Neugründung in Frage. Ich habe schon zwei Angebote abgelehnt.“ Eine Übernahme hat einen festen Kundenstamm, der übernommen wird und um den gekämpft werden muss. Ein Neustart bedeutet einen noch stärkeren Kampf um jeden Kunden.
Apothekerpaar Fahrenwaldt – Notdienst verweigert
Bonbons an Betrunkene und Kosmetikverkauf um 4 Uhr morgens: So sah der Notdienst in einer Juli-Nacht in der Schiller-Apotheke Duisburg aus. Als am Ende des Notdienstes noch ein Kunde vor der Tür stand, winkten Apotheker Dirk Fahrenwaldt und seine Frau ab. „Das war ein großer Fehler“, sagt er im Nachhinein. „Wir sind im Nachtdienst sämtlichen Wünschen nachgekommen, auch wenn es sich dabei mehrheitlich nicht um Notfälle handelte“, so Fahrenwaldt. Der Dienst endete um 9 Uhr.
Als seine Frau den Computer heruntergefahren habe, habe das System diese Zeit angezeigt, sagt Fahrenwaldt. Zu dem Zeitpunkt sei noch ein Kunde gekommen. „Unsere Computeruhr geht sehr genau, wir richten uns stets danach. Bisher kam es wegen der Öffnungszeiten auch noch nie zu Missverständnissen mit Kunden.“ Weil der Notdienst also zu Ende war, bedienten die Fahrenwaldts den Mann nicht mehr, sondern signalisierten ihm, dass die Apotheke bereits geschlossen sei. Nach der Uhr des Kunden, Sebastian Deppe, war es jedoch erst 8.57 Uhr, als er an der Notdiensttür stand. Er habe versucht, das der Apothekerin mit Handzeichen zu verdeutlichen, doch das Paar blieb hartnäckig.
Es folgte eine Beschwerde-Mail an die Apotheker, die Standesvertretung und an die Presse. „Es tut uns sehr leid, dass wir ihn nicht bedient haben“, betonte der Apotheker später. „Wir hätten zumindest fragen müssen, was er benötigt – selbst wenn wir eigentlich Dienstschluss hatten.“ Deppe wollte Ohrentropfen für seine Frau kaufen, die am Morgen mit Ohrenschmerzen aufgewacht sei. „Ich hätte ihm wohl empfohlen, dass seine Frau zunächst einen Arzt aufsuchen sollte. Denn wenn das Trommelfell perforiert wäre, hätten Ohrentropfen noch größeren Schaden anrichten können“, sagt Fahrenwaldt.
Johannes Wilmers – Apotheker setzt Patienten auf DAK an
Ein Apotheker aus Nordrhein-Westfalen hatte genug von den Formretaxationen der DAK Gesundheit und ist zum Gegenangriff übergegangen. Er zeigte der Kasse, wie eine Abrechnung ohne die Vorleistung der Apotheken aussehen würde. Mit Erfolg: Schon kurz nach Beginn der Aktion meldete sich ein Mitarbeiter einer DAK-Geschäftsstelle bei ihm und beschwerte sich über die Mehrarbeit.
Johannes Wilmers hat sich eine Ausnahmeregelung zunutze gemacht: Ein Patient kann trotz Rabattverträgen auf einem bestimmten Arzneimittel bestehen. Der Apotheker druckt dann die Sonder-PZN 02567024 für eine abweichende Abgabe, die Taxe 0 und einen dreistelligen Faktor mit der Schlüsselzahl 7 in Zeile 1 – die Position der Ziffer gibt an, in welcher Zeile die PZN des Wunscharzneimittels zu finden ist, 711, 171 oder 117. Neben dem abgegebenen Wunscharzneimittel wird im Feld Faktor die Menge notiert und die Taxe auf 0 gesetzt.
Der Patient bezahlt das Arzneimittel in der Apotheke und kann die abgestempelte Rezeptkopie zusammen mit der Quittung zwecks Erstattung an seine Krankenkasse schicken. Die Apotheke reicht das Originalrezept über das Rechenzentrum bei der Kasse ein und erhält für ihren Aufwand eine Entschädigung von 50 Cent. Wilmers, Filialleiter der Bären-Apotheke in Meschede, überzeugte einige seiner Kunden davon, von der Sonderregelung Gebrauch zu machen: Sobald ein Formfehler vorlag, etwa ein verrutschtes Aut-idem-Kreuz, beschrieb er ihnen das strenge Vorgehen der Kasse und klärte sie über ihre Rechte bezüglich eines Wunscharzneimittels auf.
Jens Beuth – Apotheker kontert rassistische Kundin
Jens Beuth, Inhaber von vier Farma-Plus Apotheken im Ruhrgebiet, erhielt eine Kundenbeschwerde, die ihn schockierte: Eine Kundin störte sich am Kopftuch einer PTA. „Mit Erschrecken“ habe die Kundin feststellen müssen, dass Beuth „ein Mitarbeiterin mit muslischem Kopftuch“ beschäftige. Die Kundin kritisierte, dass ihr „durch diese Person“ nonverbal mitgeteilt werde, dass sie sich als Sexualobjekt präsentiere. Zugleich werde ihrem Mann unterstellt, „dass er schon geil wird, sobald er ein paar Haare sieht“. Die Kundin bedauerte, dass sie leider noch ein schon bezahltes Medikament abholen müsse. Danach werde sie aber definitiv bei der Konkurrenz einkaufen.
Beuth war schockiert. Er veröffentlichte das anonymisierte Schreiben sowie seine Reaktion auf Facebook – mit enormer Resonanz. Außerdem habe er der Kundin direkt zurückgeschrieben. „Ich beschäftige Christen, Muslime und Atheisten, dicke, dünne, große und kleine Frauen und Männer, von jung bis alt, blond bis schwarzhaarig, lange, kurze und auch ohne Haare“, schrieb er. Genauso seien Gepiercte, Motorradfahrer, Fußballfans und Veganer unter seinen Mitarbeitern: „Ein Querschnitt aus der Bevölkerung!“ Etwa 60 Angestellte arbeiten in seinen vier Apotheken im Ruhrgebiet. Sein ältester Apotheker ist 76, die jüngsten Mitarbeiter sind noch in der Ausbildung.
Damit war die Geschichte aber noch nicht abgeschlossen: Beuth erhielt Vorwürfe in anonymen Briefen. Selbst in der Apotheke eines Bochumer Kollegen gingen entsprechende Schreiben ein. Der anonyme Absender wirft Beuth vor, sich öffentlich für den Koran und seine Inhalte einzusetzen. „Herr Beuth, wissen Sie, was Sie da unterstützt und verteidigt haben?“, fragt der Schreiber. Er greift einzelne Surenverse heraus, die für ihn offenbar stellvertretend für den islamischen Glauben und alle Muslime stehen. Er versuche, solche Kritik an sich abprallen zu lassen: „Ich würde auch im Nachhinein betrachtet alles wieder so machen.“
Thomas Grützner – Apothekenrezeptur rettet Baby
Aufregung in der Charlotten-Apotheke in Köln: Ein Ehepaar betrat Anfang des Jahres mit einem Rezept für ihre knapp einjährige Tochter die Offizin. Das Mädchen hat einen schweren Herzfehler und ist auf Medikamente angewiesen, um zu überleben. Eines ihrer Arzneimittel war aufgebraucht; innerhalb weniger Stunden musste sie die nächste Kapsel einnehmen. In der benötigten geringen Dosierung gab es kein Fertigarzneimittel. Inhaber Thomas Grützner zeigte vollen Einsatz.
Das Ehepaar Bahia und Ali Ibrahim war mit seiner elf Monate alten Tochter Hajar aus Syrien geflohen. Die Kleine ist auf zahlreiche Medikamente angewiesen. An einem Freitag war eines dieser Präparate aufgebraucht. Gegen Mittag konnte die Familie nach längerem Warten bei einem Kinderarzt das nötige Rezept besorgen. Etwa um 15.30 Uhr kamen die Ibrahims mit einem Übersetzer in die Charlotten-Apotheke. Grützner kannte die Familie; ihre Flüchtlingsunterkunft befindet sich in der Nähe seiner Apotheke.
Grützner nahm das Rezept für Kapseln mit Ivabradin entgegen. Er hatte ein Fertigarzneimittel mit dem Wirkstoff vorrätig, doch für Hajar waren die Tabletten viel zu hoch dosiert: Während die Fertigtabletten 5 mg des Wirkstoffs enthielten, verlangte das Rezept 0,5 mg. Viel mehr Anhaltspunkte hatte Grützner nicht: „Auf dem Rezept stand noch, dass die Kapsel Lactose enthalten sollte.“
Er fertigte gemäß der Anleitung seiner Kollegen zehn Kapseln an und brachte sie gegen 20 Uhr in die Flüchtlingsunterkunft. „Die Familie war sehr dankbar, sie haben mich zum Tee eingeladen.“ Grützner lehnte allerdings dankend ab: „Durch den Stress war ich an dem Abend ziemlich erledigt.“ Dennoch betrachtet er sein Handeln als Selbstverständlichkeit: „Ich bin mir sicher, meine Kollegen hätten das genauso gemacht.“
Wilfried Hollmann – Letzter Coup: Ebert+Jacobi
Anfang November wurde die Übernahme des privaten Großhändlers durch die Essener Genossenschaft verkündet. Es ist der letzte große Coup des scheidenden Noweda-Chefs Wilfried Hollmann. Als Ebert+Jacobi auf die Noweda zugekommen sei, habe man sehr schnell „die vielen Gemeinsamkeiten“ erkannt, sagt Hollmann. Da wären vor allem die komplementären Belieferungsgebiete: Für die Noweda war Bayern bislang ein weißer Fleck auf der Landkarte, den man aus eigener Kraft wohl so schnell nicht hätte mit Farbe füllen können.
Dafür schluckt die Genossenschaft so manche Kröte: Zwischen Würzburg, Mosbach, Böblingen und Heidenheim liegen jeweils nur rund 100 Kilometer, genauso wie zwischen Spangenberg und Erfurt. Auch wenn die Noweda versprochen hat, alle Häuser des Privatgroßhändlers zu erhalten: Um eine Konsolidierung werden Hollmanns unternehmerische Erben nicht herumkommen. Hollmann bereitet derweil die Übergabe des Vorstandsvorsitzes ab. Anfang kommenden Jahres übernimmt Michael P. Kuck die Leitung der Genossenschaft.
Hollmann kam 1976 direkt nach dem BWL-Studium in Münster zur Noweda. Er übernahm zunächst die Leitung der Stabsstelle Revision, zwei Jahre später wurde er zusätzlich zum stellvertretenden Leiter der Niederlassung am Stammsitz Essen ernannt. Mitte der 1980er Jahre übernahm er die Leitung der Häuser in Münster und Herford, nach der Wende brachte er die Genossenschaft in Leipzig/Taucha an den Start.
1993 wurde er als Vertriebschef in den Vorstand berufen; als der langjährige Vorstandschef Dr. Dietrich Meyer 2005 ausscheiden musste, rückte Hollmann an die Spitze. Unter seiner Führung konnte die Noweda ihren Umsatz auf zuletzt 5,3 Milliarden Euro fast verdreifachen. Er schloss die letzten weißen Flecken auf der Landkarte: 2007 begann mit der Eröffnung der Niederlassung in Gießen/Langgöns der bis heute anhaltende Expansionskurs der Noweda. 2008 übernahm er den angeschlagenen Privatgroßhändler W. Kapferer und deckte damit auf einen Schlag auch den Süden ab, traditionell Stammgebiet der Sanacorp. Selbst nach Luxemburg und in die Schweiz hat die Noweda bereits ihre Fühler ausgestreckt.
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