AOK darf Lyrica ausschreiben Julia Pradel, 23.04.2016 09:15 Uhr
Zwei Indikationen patentfrei, die dritte noch geschützt – Lyrica (Pregabalin) stellt Apotheker und Ärzte vor Herausforderungen. Und die Kassen können es nicht abwarten, den Wirkstoff auszuschreiben, mit wechselndem Erfolg. Die Ausschreibung der AOK Baden-Württemberg hat die Vergabekammer des Bundes nun abgenickt. Die Gefahr „wilder Substitution“ werde durch die Rabattverträge sogar verringert, ist man in Bonn überzeugt.
Die AOK hatte den Wirkstoff Pregabalin im September in zwei parallelen Verfahren ausgeschrieben: eines über die patentgeschützte Indikation, an dem lediglich Originalhersteller Pfizer sowie Importeure hätten teilnehmen können, und eines über Arzneimittel, die nur für die patentfreien Indikationen zugelassen sind – von dem Lyrica also ausgeschlossen war. Erwartungsgemäß gab Pfizer kein Gebot ab, sodass die eine Ausschreibung Mitte Januar annulliert wurde.
Über die Generika-Ausschreibung wird derzeit allerdings noch gestritten. Ein Hersteller hatte sich über das Verfahren beschwert und bei der Vergabekammer des Bundes eine Nachprüfung beantragt. Beim Bundeskartellamt stellte man sich aber auf die Seite der AOK: Die Ausschreibung gewähre Patentverletzungen keinen Vorschub und verstoße daher auch nicht gegen das Vergaberecht.
Der Hersteller hatte argumentiert, dass es dem Arzt sozialrechtlich erlaubt sei, lediglich den Wirkstoff Pregabalin oder Lyrica zu verordnen. Und weder auf der Verordnung noch in der Apothekensoftware werde nach Indikationen unterschieden. Das führe in der Praxis zu Irritationen und Fehlern auf Seiten der Apotheker. Das Wirtschaftlichkeitsgebot veranlasse sie wahrscheinlich dazu, vermehrt das generische Präparat abzugeben. Besonders groß sei die Gefahr, wenn für die patentgeschützte Indikation keine zweite Vereinbarung geschlossen werde und die Software nur einen Rabattvertrag anzeige.
Der Hersteller verwies auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG). Das hatte Anfang des Jahres entschieden, dass schon bei der Ausschreibung des Wirkstoff Pregabalin auf die Rechte des Originalherstellers zu achten sei. „Die Annahme, Ärzte und/oder Apotheker verhielten sich bei Verordnungen und Abgaben stets oder auch nur überwiegend rechtskonform und vermieden Patentverletzungen, ist in der Praxis, die überwiegend ein Massengeschäft ist, unrealistisch.“
Aus diesem Grund könnten sich Generikahersteller nicht an der Ausschreibung beteiligen, ohne das Risiko einzugehen, wegen Patentrechtsverletzungen in Anspruch genommen zu werden, argumentierte das Unternehmen gegenüber der Vergabekammer. Zudem sei völlig unklar, welche Mengen sich aus dem Rabattvertrag ergeben würden, da einerseits eine Vielzahl von Fehlabgaben zu erwarten sei und andererseits die Vertragslaufzeit nicht klar definiert sei. Diese sollte mit dem Patentablauf enden.
Die Vergabekammer folgte dieser Argumentation nicht. Schließlich gälten die Regeln für eine Substitution unabhängig von den Rabattverträgen. Schon heute dürfe Lyrica nur dann ausgetauscht werden, wenn das Präparat nicht in der geschützten Indikation, die Behandlung neuropathischer Schmerzen, verordnet werde.
Eine dem Patentschutz zuwiderlaufende Substitution könne nur dadurch sicher verhindert werden, dass der Arzt Lyrica namentlich verordnet und den Austausch verbietet. Dies setzte die entsprechenden Kenntnisse seitens der Ärzte voraus. Da diese nicht in allen Fällen vorhanden sei, sei nicht auszuschließen, dass es zu „wilder Substitution“ komme.
Eine solche Substitution durch Generika sei grundsätzlich nicht auszuschließen und „kann soweit ersichtlich auch durch keine irgendwie geartete Ausschreibungsgestaltung ausgeschlossen werden“, so die Vergabekammer. Immerhin bewirkten die Rabattverträge aber eine gewisse Lenkungswirkung beim Verordnungsverhalten zugunsten der Rabattarzneimittel – zumal die AOK angekündigt habe, die Ärzte über die Verträge zu informieren.
Die Informationen zu den möglichen Abgabemengen und der Vertragslaufzeit sind aus Sicht der Vergabekammer ausreichend. Die Abschätzung, wie sich der Zutritt der Generika auf den Markt auf Verordnungszahlen und Absatzmengen auswirke, sei typischerweise auf Seiten der Anbieter vorzunehmen. Und auch die Unsicherheit, wann das fragliche Patent auslaufe, sei Teil der Rahmenbedingungen des Marktes und müsse ohnehin vom Hersteller abgeschätzt werden.
Gegen den Beschluss der Vergabekammer hat der Hersteller bereits Beschwerde eingelegt. Nun muss das OLG Düsseldorf über den Fall entscheiden.