Auflagen für Generikahersteller

Patentschutz: Apfelmus soll Tasigna retten

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Berlin -

Wenn Patente ablaufen, sind die Generikahersteller schnell zur Stelle. Aber manchmal haben die Originalanbieter noch ein Ass im Ärmel, ein ergänzendes Schutzzertifikat etwa, ein proprietäres Verfahren – oder einfach nur Apfelmus.

Das Patent zu Tasigna (Nilotinib) war im vergangenen Jahr abgelaufen; Aliud/Stada und Accord haben zum Jahreswechsel vorsorglich Generika listen lassen, auch wenn diese noch nicht ausgeliefert werden. Der Originalhersteller Novartis wehrte sich trotzdem vor Gericht. Denn der Wirkstoff hat eine geschützte Art der Anwendung: Für die orale Verabreichung von Nilotinib dispergiert in Apfelmus, unter anderem eingesetzt bei Patienten mit Schluckbeschwerden, besteht laut Konzern noch Patentschutz.

Daher hat der Konzern beim Landgericht München I (LG) eine einstweilige Verfügung erwirkt, nach der die Generikafirmen verpflichtet sind, der Abgabe oder Verwendung von Nilotinib für die orale Verabreichung dispergiert in Apfelmus „entgegenzuwirken“.

Warnhinweis statt Rabattvertrag

Konkret: Sie dürfen keine Rabattverträge schließen, die die Verabreichung dispergiert in Apfelmus („püriertem Apfel“) nicht ausdrücklich ausschließen. Entsprechende bestehende Vereinbarungen müssen gekündigt werden; aktuell gibt es Open-House-Verträge mit zahlreichen Primär-, Ersatz- und Betriebskrankenkassen.

Außerdem werden die Generikahersteller verpflichtet, spezifische Warnhinweise in den gängigen Datenbanken der Apotheken- und Praxis-EDV zu schalten, in welchen die Anwender darauf hingewiesen werden, dass die Verwendung von Nilotinib zur oralen Verabreichung dispergiert in Apfelmus aus patentrechtlichen Gründen nicht erlaubt ist.

Großhändler müssen bei der Bestellung von Nilotinib vertraglich verpflichtet werden, bei jeder Weitergabe an ihre Abnehmer solche Warnhinweise beizulegen. Mindestens einmal alle sechs Monate müssen außerdem spezielle Informationsschreiben an alle Fachärzte aus den Bereichen Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie in Deutschland verschickt werden, in denen wörtlich erklärt wird: „Tasigna ist das einzige Nilotinib-Präparat, das aufgrund dieses bestehenden Patentschutzes dispergiert in Apfelmus verabreicht werden darf. Wenn Sie einen Patienten, der keine Hartkapseln schlucken kann, aus medizinischen Gründen mit einem Nilotinib-Präparat behandeln möchten, verordnen Sie bitte Tasigna und schließen Sie die Substitution durch Apotheker ausdrücklich aus.“

Höhere Bioverfügbarkeit

Hintergrund ist, dass Tasigna eigentlich nicht zusammen mit Nahrungsmitteln eingenommen werden darf, da die Bioverfügbarkeit von Nilotinib durch Nahrung erhöht wird. Die Generikahersteller hatten zwar im Zulassungsverfahren die Auffassung vertreten, dass die unter nüchternen Bedingungen mit der ganzen Kapsel durchgeführte Bioäquivalenzstudie ausreichend sei, „um auch die Dispersion des Kapselinhalts in einem Teelöffel Apfelmus als zusätzlicher Verabreichungsform zu unterstützen.

Dennoch hatten die Anbieter in den Fachinformationen beider Generika keine Einnahme mit Apfelmus gar nicht vorgesehen. Vielmehr heißt es: „Bei Patienten mit Schluckbeschwerden oder Schluckschwierigkeiten, einschließlich pädiatrischer Patienten, die nicht in der Lage sind, die Hartkapseln zu schlucken, sollten andere Arzneimittel mit Nilotinib anstelle von dem vorliegenden Arzneimittel angewendet werden.“ Darüber hatten die Anbieter den Originalhersteller auf Nachfrage auch in Kenntnis gesetzt.

Novartis boxte umfangreiche Auflagen für die Generikahersteller durch.Foto: APOTHEKE ADHOC

Das wiederum sah der Originalhersteller als arzneimittelrechtliche unzulässige Änderung; gleichzeitig wurden aber es aber als realistisches Szenario gesehen, dass Ärztinnen und Ärzte sich darüber hinwegsetzen könnten. Schon die Zulassungsbehörde war davon ausgegangen, dass die Generika „unabhängig von den Angaben in der Fach- und Gebrauchsinformation“ auf diese Weise verwendet werden könnten.

Ärzte ignorieren Fachinfo

Da Ärzte einerseits zur Verordnung preiswerter Generika verpflichtet seien, andererseits aber auch die Handhabe, Nilotinib mit Apfelmus einzunehmen, bekannt und verbreitet sei, bestehe die „ernstlich drohende und unmittelbar bevorstehende Gefahr, dass jedenfalls in bestimmten Situationen die angegriffene Ausführungsform patentverletzend eingesetzt werden wird“.

Denn anders als in anderen Fällen liege keine patentgeschützte Indikation vor, sondern eine patentgeschützte Art der Verabreichung. „Da behandelnde Ärzte das Original kennen, wird sich angesichts der beschriebenen 1:1-Übreinstimmung aller Voraussicht nach nicht ein nicht unerheblicher Teil über die Vorgaben in den entsprechenden Informationen hinwegsetzen und die Einnahme von Nilotinib zusammen mit Apfelmus aufgrund der dargestellten ökonomischen Umstände trotzdem anordnen.“

Andere Maßnahmen seien nicht zielführend: Das Aut-idem-Kreuz werde wegen bestehender Sanktionsmechanismen in der ärztlichen Praxis nur selten gesetzt; im konkreten Fall bestehe auch keine für die Kassen echte medizinische Indikation dafür, da die Präparate ansonsten identisch seien. Auch rechtlich seien Ärzte nicht gehalten, das patentgeschützte Arzneimittel zu verordnen, zumal bereits fraglich sei, ob sie überhaupt um den Patentschutz wissen.

Kein Austausch in der Apotheke

Vor allem das Verbot zum Abschluss von Rabattverträgen ist laut LG geeignet zu verhindern, dass „der verpflichtende Substitutionsmechanismus eingreift, der den Apotheker zwingt, im Falle eines bestehenden Rabattvertrages stets das rabattierte Arzneimittel abzugeben“. Die anderen Auflagen hätten eher Informationscharakter, „sie sind daher besonders geeignet, die notwendigen Informationen an die betreffenden Kreise zu verbreiten“.

Novartis hatte sogar noch die Einrichtung eines Schulungs- und Dokumentationsprogramms für Apotheker und Ärzte gefordert, mit dem auf die sichere Anwendung von Nilotinib und den Ausschluss der Anwendung mit Apfelmus hingewiesen werden sollte. Das war den Richtern dann aber doch zu aufwändig.

Tasigna wird zur Behandlung von Philadelphia-Chromosompositiver chronischer myeloischer Leukämie („CML“) eingesetzt, die Hartkapseln sind in den Wirkstärken 50 mg, 150 mg und 200 mg Hartkapseln“ verfügbar.

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