Ein halbes Jahr ist es her, dass sich Fresenius aus der Herstellung von patientenindividuellen Sterilrezepturen zurückgezogen hat. Für Dr. Christian Wegner, Inhaber der Saale-Apotheke in Jena, ist die ambulante Versorgung schwerstkranker Patienten dennoch weiter in Gefahr. Mit Sorge sieht der Chef der Firmengruppe Medipolis, dass die Kliniken, protegiert von der Politik, weiter in die ambulante Versorgung vorstoßen. Er sieht das Risiko, dass nur formal zwischengeschaltete öffentliche Apotheken rechtliche Probleme bekommen.
Dass Fresenius das Handtuch geworfen hat, zeigt laut Wegner, dass die Versorgung mit individuellen Rezepturen nicht mit Konzernstrukturen zu steuern ist. „In diesem Bereich braucht es den engagierten Mittelstand“, sagt er. Auch Ausschreibungen funktionierten auf Dauer nicht: „Ich prognostiziere, dass es bei der aktuellen Runde in Berlin nicht viele Teilnehmer geben wird – und sich die beispielsweise vom VZA vorhergesagte Oligopolbildung bewahrheitet.“
Laut Wegner geraten die öffentlichen Apotheken an einer weiteren Front unter Druck: Zwar dürfen Klinikapotheken Arzneimittel grundsätzlich nur für die stationäre Versorgung bereit stellen. Doch es gibt Ausnahmen, etwa im Zusammenhang mit dem ambulanten Operieren oder der ambulanten Behandlung von Krebspatienten.
Dass Klinikapotheken im Rahmen einer Ermächtigung ihres Trägers beziehungsweise der angestellten Ärzte oder in der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung (ASV) nach einem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) von der Mehrwertsteuer befreit sind, findet Wegner einen Skandal: „Wettbewerb funktioniert nur mit gleich langen Spießen. Es kann nicht sein, dass hier fast 20 Prozent niedrigere Preise abgerechnet werden – und der Gesetzgeber zusieht“, sagt er.
Problematisch sei dabei, dass die Kliniken die Versorgung von Anfang an steuern könnten. Denn die meisten Patienten würden zu Beginn stationär behandelt – näher als die eigene Ambulanz liegt keine Arztpraxis. Wegner will nicht in Abrede stellen, dass in den Kliniken eine hochwertige onkologische Versorgung stattfindet. Doch durch die Bündelung von Facharztmedizin an den Krankenhäusern würden die öffentlichen Apotheken aus der Versorgung gedrängt.
Die Kliniken picken seiner Meinung nach gezielt Rosinen heraus. Krebspatienten bräuchten nämlich mehr als Zytostatika: Schmerzmittel, Ernährungslösungen, aber auch Betreuung zu Hause (Homecare) und Palliativversorgung. „Diese Bereiche sind massiv unterfinanziert. Man muss über die Folgen nachdenken, wenn man ausschließlich die lukrativen Zubereitungen abzieht. Ich kann jedenfalls keinen Schmerzbeutel für 50 Euro in den Thüringer Wald fahren.“
Die ASV, die Wegner im Grundsatz für die Versorgung schwerkranker Patienten sinnvoll findet, könnte diesen Trend noch verstärken. Denn für die Krankenhäuser werden immer neue Möglichkeiten geschaffen, sich zu engagieren: Zuletzt sind gastrointestinale Tumoren und Tumoren der Bauchhöhle dazu gekommen – große Indikationen, die den Kliniken die Tür zum ambulanten Bereich weiter öffnen.
Parallel beobachtet Wegner, dass große Klinikketten onkologische Facharztsitze für ihre eigenen Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) aufkaufen und damit weitere Zubereitungen in ihren Einflussbereich ziehen. Da die Klinikapotheken hier selbst nicht versorgungsberechtigt seien, würden für die Abrechnung der im Krankenhaus hergestellten Zubereitungen gezielt öffentliche Apotheken angesprochen.
In solchen Abhängigkeitsverhältnissen hätten die Apotheken nichts zu sagen und seien austauschbar. Laut Wegner sind solche Konstrukte rechtlich problematisch. Absprachen mit Ärzten sind laut Apothekengesetz (ApoG) im Bereich der Sterilherstellung nämlich nur zulässig, wenn die Rezepturen „im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs“ hergestellt werden. Dies ist laut Wegner aber nicht der Fall, wenn die Apotheken noch nicht einmal frei entscheiden können, wo sie ihre Rezepturen anfertigen lassen. Der Medipolis-Chef ist eigenen Angaben zufolge bereits im Rahmen der Revision auf das Thema angesprochen worden.
Auch bei den Kassen ist man sich der Problematik bewusst: Bei ihrer umstrittenen Zyto-Ausschreibung hatte die AOK Hessen explizit darauf hingewiesen, dass „der Einsatz von Unterauftragnehmern (auch in Gestalt industrieller Herstellungsbetriebe)“ nicht ausschließe, dass die parenteralen Zubereitungen „in der Apotheke hergestellt“ sind.
Wegner, der seit kurzem in der Kammerversammlung in Thüringen sitzt, wundert sich auch, dass die Berufsvertretung nicht energischer gegen diesen Trend vorgeht. Immerhin stünden auch Gelder für die Kammern auf dem Spiel: Bei einer Zubereitung im Wert von 25.000 Euro könne er rund 70 Euro für die Herstellung abrechnen, müsse aber 30 Euro alleine als Kammerbeitrag abführen.
„Bei 60 bis 70 Euro Kosten für die Herstellung zahle ich bei diesen teuren Präparaten immer drauf!“ Die Kliniken hätten dieses Problem nicht, da hier nur die Angestellten Kammermitglieder seien. Das Problem werde sich weiter verschärfen, denn mit Nivolumab und Pembrolizumab stünden die nächsten großen Substanzen vor der Zulassung.
Bedauerlich findet Wegner, dass mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) Absprachen im Zusammenhang mit dem Entlassmanagement verboten wurden. Dass Entlassrezept sei zwar für die meisten Patienten eine tragfähige Lösung. Schwerkranke Patienten bräuchten aber mehr. „Es gibt Patienten, die zum Sterben nach Hause geschickt werden. Diese sind auf intravenöse Schmerzmittel und Antibiosen angewiesen. Hier wäre es hilfreich, eine Vorabinformation an die entsprechenden Apotheken schicken zu dürfen. Das, was wir jetzt haben, ist für diese Patienten ein echter Rückschritt“, sagt er.
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