Sinupret ist das erfolgreichste pflanzliche OTC-Medikament in Deutschland – und bislang konnte Bionorica seinen Topseller gegen jede Konkurrenz verteidigen. Doch nach mehr als zehnjährigem Kampf haben Hexal und Schaper & Brümmer im zweiten Anlauf die Schutzwälle um das Produkt eingerannt. Der Originalhersteller hatte in dem Streit auf das Prinzip der evidenzbasierten Phytotherapie abgehoben, doch der Schuss ging nach hinten los. So ist nicht nur die Exklusivität angekratzt, sondern auch der wissenschaftliche Anspruch.
Sinupret ist seit der Gründung von Bionorica im Mai 1933 im Handel. Der Klassiker enthält 6 mg Enzianwurzel sowie je 18 mg Eisen- und Gartensauerampferkraut sowie Holunder- und Schlüsselblumenblüten. Im November 1997 kam mit Sinupret forte eine doppelt konzentrierte Variante auf den Markt; Firmenchef Professor Dr. Michael Popp konnte sich dafür eine echte Neuzulassung sichern. Ein Achtungserfolg, der als Ausgangspunkt für die lange Erfolgssträhne gesehen werden kann, um den Bionorica in der Branche beneidet wird.
Andere Hersteller erkannten schnell, welchen Schatz das Unternehmen hütete – und machten sich Gedanken, wie sie an ein ähnliches Produkt kommen könnten. Im März 2004 stellte der Zulassungsdienstleister Grünwalder im Auftrag von Hexal und Schaper & Brümmer beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zwei Anträge für Präparate mit derselben Zusammensetzung wie Sinupret forte. Wie das Original sollten die beiden potenziellen Konkurrenzprodukte „bei akuten und chronischen Entzündungen der Nasennebenhöhlen“ eingesetzt werden.
Das BfArM ließ sich nicht überzeugen und lehnte die Zulassung im April 2006 ab. Die Kombination sei nicht ausreichend begründet – insbesondere sei nicht nachgewiesen, dass jeder arzneilich wirksame Bestandteil einen positiven Beitrag leiste, hieß es. Damit scheiterte der bibliografische Antrag am Eisen- und Gartensauerampferkraut: Für beide Drogen seien keine Monopräparate auf dem Markt und auch keine schriftlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse oder Monographien über die klinische Dosierung vorhanden, so das BfArM. Der Fall ging vor Gericht, im April 2014 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) die Revision endgültig ab.
Doch Grünwalder hatte vorgesorgt und bereits im Dezember 2006 vorsorglich einen Antrag auf Registrierung gestellt. Dieser Weg steht laut Arzneimittelgesetz (AMG) Herstellern von pflanzlichen Präparaten offen, wenn es ein mehr als 30-jähriges Erfahrungswissen gibt. Da die Evidenz geringer ist, sind allerdings nur bestimmte Aussagen zum Produkt zugelassen.
Am 7. Mai vergangenen Jahres war es so weit: Das BfArM erteilte die beantragten Registrierungen; das Anwendungsgebiet lautet jeweils „traditionelles pflanzliches Arzneimittel zur Unterstützung der Schleimlösung bei Erkältungen mit Schnupfen“. Bionorica legte Widerspruch mit aufschiebender Wirkung ein, das BfArM lehnte ab, Bionorica klagte.
Der Originalhersteller bezog sich auf eine Klausel im Arzneimittelgesetz (AMG), nach der die Zulassungsbehörde die Registrierung zu versagen hat, wenn bereits ein „entsprechendes Arzneimittel“ zugelassen oder registriert wurde. Zweck des Paragrafen und der dahinter stehenden EU-Richtlinie ist es, das vereinfachte Verfahren der Registrierung auf Fälle zu beschränken, in denen eine Zulassung mangels wissenschaftlicher Unterlagen nicht möglich ist.
Zum Verhängnis wurde Bionorica, dass aus Sicht des BfArM für Sinupret forte nach aktuellen Maßstäben keine Zulassung mehr erteilt werden könnte – ein Umstand, der in den Fachkreisen bereits die Runde gemacht hat, über den man in Neumarkt aber nur ungern spricht.
Bionorica hatte argumentiert, dass mit der Regelung der evidenzbasierten Medizin der Vorrang eingeräumt werde: Ignoriere man die Existenz von Sinupret, drohe ein Wettlauf um den niedrigsten Zulassungsstandard. Obendrein diene die Vorschrift nicht nur dem Schutz der öffentlichen Gesundheit, sondern auch dem innovativen pharmazeutischen Unternehmer am Schutz seiner Investitionen.
Doch das Verwaltungsgericht Köln (VG) legte den Wortlaut ganz anders aus als Vertreter aus Bayern: Alleine um dem BfArM den Aufwand zu ersparen, jeden Einzelfall detailliert zu prüfen, sei vom deutschen Gesetzgeber der Rückgriff auf bestehende Zulassungen gewählt worden: „Hat die zuständige Arzneimittelbehörde nur zu prüfen, ob bereits vergleichbare Zulassungen existieren, entfällt die aufwändige Prüfung, ob auch eine Zulassung erteilt werden könnte.“ Genau darum geht es aber nach ihrer Auffassung: um die Frage, ob das Präparat zum heutigen Zeitpunkt zulassungsfähig wäre.
Dass zwar eine ältere Zulassung für ein entsprechendes Arzneimittel vorliegt, diese aber aktuell nicht mehr erteilt werden könnte, weil sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse oder die Anforderungen an den Beleg von Wirksamkeit und Unbedenklichkeit verändert haben, ist laut Gericht eine seltene Ausnahme, die der Gesetzgeber nicht berücksichtigt hat. Die Lücke sei daher durch eine einschränkende Auslegung zu schließen. Im Übrigen sei auch gar nicht gesagt, dass Sinupret tatsächlich ein „entsprechendes Arzneimittel“ sei: Immerhin unterschieden sich die Indikationen erheblich, so der reichlich zynische Hinweis.
Eine drittschützende Wirkung sei weder herauszulesen noch wäre sie nachvollziehbar, so die Richter weiter: „Es ist nicht erkennbar, dass durch diese Bestimmung der innovative Unternehmer geschützt werden soll beziehungsweise dass hierdurch ein Anreiz für Forschungsinvestitionen in Phytopharmaka geschaffen werden soll.“ Zum Schutz von Eigentumsrechten gebe es andere, in der Regel zeitlich befristete Vorkehrungen.
Um die Verletzung der eigenen Rechte zu untermauern, hatte sich Bionorica weit aus dem Fenster gelehnt und unter anderem die deutsche Verfassung und die EU-Grundrechtscharta bemüht. Nun kassierte der Hersteller die Quittung: Aus dem Grundgesetz könne „kein Recht auf eine konkurrenzlose Nutzung einer Zulassung hergeleitet werden“, heißt es im Urteil. Und auch dem Arzneimittelrecht sei eine „unbegrenzte Sperrwirkung einer Zulassung gegenüber einem Nachahmerpräparat“ fremd.
Dass es der Firma darum gehe, die Vermarktung der registrierten Arzneimittel zu verhindern, war für das VG offensichtlich: „Hiermit will sie Gewinneinbußen durch die Konkurrenz der Produkte vermeiden.“ Realistisch abschätzen ließen sich die Folgen nicht, so die Richter. Da Bionorica aber offenbar erhebliche Einbußen bei ihrer umsatzstärksten Produktgruppe befürchte, erscheine es gerechtfertigt, den ansonsten üblichen Streitwert von 50.000 Euro zu verdoppeln.
Tatsächlich ist Sinupret das wichtigste Produkt von Bionorica; mehr als zwei Drittel der Erlöse von 61 Millionen Euro hierzulande wurden 2014 mit dem Erkältungsmittel erwirtschaftet. Auf Basis der Apothekenverkaufspreise (AVP) entspricht das 74 Millionen Euro. Im Wettbewerb mit Sinuplant und Sinuhexal wird es daher für das Vertriebsteam auch darum gehen, die konkretere Indikation und die Datenlage herauszustellen – Dr. Willmar Schwabe hat bei Umckaloabo gezeigt, wie sich die Konkurrenz auf Abstand halten lässt.
Immerhin: Bionorica hat vorgesorgt und Ende 2012 Sinupret extract auf den Markt gebracht, das als Trockenextrakt die vierfache Konzentration der eingesetzten Pflanzenmischung enthält und mittlerweile ebenfalls ab zwölf Jahren eingesetzt werden kann. Jede zweite Packung entfällt bereits auf das neue Produkt, das für die Apotheken laut Hersteller deutlich mehr Rohertrag abwirft – das „ertragreichste Sinupret aller Zeiten“.
APOTHEKE ADHOC Debatte