Die Achterbahnfahrt scheint sich dem Ende zuzuneigen: Nach den Corona-Hamsterkäufen im März und dem Einbruch im April ist der OTC-Markt in eine Erholungsphase eingetreten. Zu diesem Ergebnis kommt die Unternehmensberatung Sempora in einer aktuellen Analyse. Großer Verlierer sind weiterhin die Erkältungspräparate – rechnet man sie heraus, liegt der OTC-Umsatz im ersten Halbjahr auf Vorjahresniveau.
Es ging bergauf und bergab mit dem Umsatz und es gab Verschiebungen in den Produktkategorien – zusammengenommen war das erste Halbjahr aber recht nah am Durchschnitt. Über den gesamten Zeitraum der Covid-19-Pandemie liege der OTC-Umsatz nach Daten von Insight Health für Vor-Ort- und DatamedIQ für Versandapotheken mit -1,5 Prozent nur geringfügig unter dem Vorjahresniveau. Und das ist Masken und Abstandsregeln geschuldet: Aufgrund des niedrigen Infektionsgeschehens durch die erhöhten Vorsichtsmaßnahmen sind die Erkältungskategorien der große Verlierer.
Den schwersten Einbruch hatten Grippepräparate wie Grippostad zu verbuchen: Ging es bei ihnen Ende Februar bis Ende März noch um 41 Prozent nach oben, folgte bis Ende April ein Einbruch von 50 Prozent. Doch der war nur die Ouvertüre: Bis Mitte Mai und dann nochmal bis Mitte Juni lag der Umsatz um 71 beziehungsweise 72 Prozent unter dem Vorjahr. Bis Mitte Juli waren es dann immer noch 50 Prozent unter dem Vorjahr. Aber auch schleimlösende Mittel wie Sinupret hatten starke Einbußen zu verzeichnen: Ging es bei ihnen bis Ende März nicht um 47 Prozent nach oben, folgte in den darauffolgenden Monaten ein Einbruch von erst 33 Prozent, danach 60 und 63 Prozent. Mitte Juni bis Mitte Juli lag der Umsatz immer noch 45 Prozent unter Vorjahresniveau.
Ebenfalls bergab, wenn auch nicht so stark, ging es bei den Schmerzmitteln. Ibuprofen und Co. hatten bis Ende März noch ein kräftiges Plus von 73 Prozent über dem Vorjahr zu verzeichnen. Mit Beginn der Coronakrise ging es bis Ende April um 18 Prozent bergab, danach um 22 und 17 Prozent. Auch hier deutet sich aber eine Stabilisierung an, bis Ende Juli lagen Analgetika noch 9 Prozent unter dem Vorjahr.
Die großen Gewinner sind wenig überraschend die Antiseptika und Desinfektionsmittel. Hier spiegelt sich die gesellschaftliche Alarmstimmung eindeutig in den Zahlen: Zwischen Ende Februar und Ende März lag der Umsatz 307 Prozent über dem Vorjahr. Auch in den darauffolgenden Monaten war das Plus beachtlich und lag bei 85, 98 und 55 Prozent. Zuletzt scheint das Interesse aber merklich gesunken. Bis Mitte Juli lag der Umsatz noch 29 Prozent über dem Vorjahreszeitraum.
Einen ähnlich großen Schub hatten bis Ende März Immun- und Vitamin-C-Präparate: Hier lag der Absatz 236 Prozent über dem Vorjahr. Allerdings ließ die Kauflaune der Kunden dort bedeutend schneller wieder nach: Lagen sie bis Ende April noch 80 Prozent über dem Vorjahr, waren es einen Monat später noch 14 Prozent. Bis Mitte Juni ging es für Orthomol und Co. dann sogar bergab: Mit einem Minus von 2 Prozent lag der Umsatz sogar leicht unter dem des Vorjahres. Auch hier scheint sich allerdings eine Stabilisierung zu ergeben. Bis Ende Juli lag der Umsatz 6 Prozent über dem des Vorjahres. Andere Vitaminpräparate wie Vigantol hatten bis Ende März ein Umsatzhoch von 85 Prozent über Vorjahr, das sich aber in der Folge etwas moderater gestaltete: Bis Ende April lag der Umsatz noch 27 Prozent über Vorjahr, danach 14 und 17 Prozent. Bis Mitte Juli lag er immerhin 28 Prozent über Vorjahr.
Etwas verzögert in den Umsatzzahlen niedergeschlagen hat sich offensichtlich auch eine andere Infektionsschutzmaßnahme: die Handhygiene. Lagen Hand- und Nagelpflegeprodukte während der Phase der Hamsterkäufe bis Ende März noch um 65 Prozent über dem Vorjahr, waren es bis Ende Mai 72 Prozent. Danach schwächte sich die Nachfrage aber etwas ab. Bis Ende Mai und bis Ende Juni lag der Umsatz um 25 und 21 Prozent über dem Vorjahr. Zuletzt war mit einem Plus von 8 Prozent wieder etwas Normalität eingekehrt.
Während es bei Erkältungs- und Schmerzmitteln bergab, bei den Kategorien aber bergauf ging, die während der Pandemie große Prominenz genießen, dümpelte der übrige OTC-Markt mehr schlecht als recht vor sich hin. Mineralstoffpräparate beispielsweise hatten bis März einen guten Start von 36 Prozent über dem Vorjahr, brachen dann aber bis Ende April auf 3 Prozent über Vorjahresniveau ein. Danach ging es bergab: minus 7 und minus 5 Prozent. Zuletzt stagnierten sie mit minus 2 Prozent leicht unter Vorjahresniveau. Sehr ähnlich sah es bei Mitteln gegen Verstopfung aus. Sie stiegen mit 13 Prozent über Vorjahresniveau ein, hatten dann die gleiche Durststrecke zu durchlaufen und lagen zuletzt genau auf Vorjahresniveau.
Insgesamt zeigt sich laut Sempora, dass der Hamsterkaufboom bis Ende März die darauffolgende Durststrecke nicht ganz auffangen konnte. Lag der Gesamtumsatz bis Ende März 28 Prozent über dem Vorjahresniveau, brach er im April ein und landete neun Prozent unter Vorjahr. Der Einbruch verstärkte sich bis Ende Mai auf 12 und lag Ende Juni bei 11 Prozent weniger Umsatz als im Vorjahr. Zuletzt betrug das Minus noch acht Prozent. Gewinner des ersten Halbjahres waren auch laut Sempora die Versandapotheken, die stärker wuchsen als der stationäre Handel. Doch ganz dunkel sieht es für die Vor-Ort-Apotheken nicht aus, wenn man der Unternehmensberatung glaubt: Im Zuge der Lockerungsmaßnahmen habe die stationäre Apotheke wieder an Momentum gewonnen.
Für die Vor-Ort-Apotheken ergibt sich daraus die Pflicht, sich dem Kundenverhalten anzupassen – sie müssten „Post-Corona“ als Neuanfang begreifen, empfiehlt Sempora. „Die OTC-Konsumenten kehren langsam aber merklich zu ihren Pre-Corona Einkaufsgewohnheiten zurück“, so die Unternehmensberatung. „Jetzt ist der Zeitpunkt, neue Touchpoints mit den Kunden aufzubauen und potentielle alte Verhaltensmuster mit frischen Konzepten zu durchbrechen.“ Außerdem habe die Covid19-Pandemie gezeigt, dass sich in Ausnahmesituationen nicht nur das Kaufverhalten, sondern auch der generelle Bedarf an bestimmten Produktgruppen verändern kann. OTC-Hersteller müssten demnach ein diversifiziertes Portfolio führen, welches unterschiedliche Beschwerden und Bedürfnisse adressiert. Außerdem fordere der verlässliche Aufstieg der Versandapotheken neue Strategien: „Die Veränderungen der Patient Journey erfordern eine Überprüfung der Channel-Strategie und die Entwicklung passender Konzepte je Kanal – offline wie online.“