Quo vadis Klosterfrau? Patrick Hollstein, 18.04.2016 10:27 Uhr
Bei Klosterfrau herrschen unruhige Zeiten. Das neue Führungsteam ist seit einem Vierteljahr im Amt und hat mit der Umstrukturierung begonnen. Der Auftrag lautet, Klosterfrau in die nächste Entwicklungsphase zu führen. Die spannende Frage ist, wohin der neue Kurs das Traditionsunternehmen führen wird.
Zum Jahresende war der langjährige Firmenchef Friedrich Neukirch im Alter von 69 Jahren bei Klosterfrau ausgeschieden. Er hatte das Unternehmen mit einer Mischung aus Marktkenntnis, Eigensinn und Fortune geführt. So gelang ihm nicht nur der Spagat zwischen Drogerie und Apotheke; er wusste auch noch davon zu profitieren, dass andere Firmen weniger gelenkig waren. Taxofit kaufte Klosterfrau von Boehringer. Soledum, Nasic, Enelbin, Limptar und Metifex von Hoechst. Und Hepar SL, Jarsin, Kwai, Kaveri, Ameu und Bedan von Lichtwer.
Doch die Zeiten haben sich geändert. OTC-Marken werden längst nicht mehr verramscht oder einfach dem Vertriebspartner überlassen. Selbst forschende Pharmakonzerne wie Bayer, GSK oder Sanofi haben die Selbstmedikation als wichtigen Geschäftszweig wiederentdeckt und sich durch gigantische Zukäufe neu aufgestellt. Gerechnet wird nicht in Millionen, sondern in Milliarden. Wer nicht mithält, wird schnell zum Übernahmekandidaten.
So könnten sich für Klosterfrau nun die Versäumnisse der vergangenen Jahre und Jahrzehnte rächen. Weil Neukirch im „Geheimbund der Nonne“ zum innersten Kreis gehörte, konnte er sich einige unkonventionelle Deals erlauben, die ein anderer Vorstand wohl nicht abgesegnet bekommen hätte.
Die Vertriebskooperationen sind so ein Beispiel. 16 Jahre lang hatte der Außendienst die Marken von Reckitt Benckiser (RB) im Gepäck; die Kölner machten den britischen Konsumgüterkonzern groß in deutschen Drogerien und Apotheken – mitunter sogar im Wettbewerb mit eigenen Produkte. Im Mai 2014 war RB weg, alleine in der Apotheke verlor Klosterfrau auf einen Schlag fast ein Drittel des Handelsvolumens.
Im vergangenen Jahr verlor Klosterfrau den Tiger Balm, der Hersteller Haw Par aus Singapur war zum Erzrivalen Queisser (Doppelherz) gewechselt. Schon 2011 hatte das Importhaus Wilms die Marken des australischen Kondomherstellers Ansell (Condomi, LifeStyles) übernommen.
Nach diesen vergleichsweise kleinen Verlusten könnte im kommenden Jahr ein weiterer Tiefschlag folgen: Dann läuft angeblich die Vereinbarung mit Ricola aus. Seit 1987 ist Klosterfrau Vertriebspartner des Bonbonherstellers; 1994 übernahmen die beiden Firmen sogar gemeinsam die Marke Krügerol. Doch mittlerweile hat es Ricola über alle Handelskanäle auf Platz 1 geschafft; die Schweizer werden sich gut überlegen, ob sie ihr Geschäft im größten Absatzmarkt weiter über einen Dritten betreiben wollen.
Auch die Marken Bronchicum, Cholagogum, Contramutan, Essentiale, Melrosum, Monapax sind keine Entwicklungen von Klosterfrau: Die Rechte hatten sich die Kölner im Februar 2003 von der Firma Nattermann gesichert, die seitdem nur noch als Lohnhersteller fungiert und heute zu Sanofi gehört. Auch der Mutterkonzern hat übrigens einige Produkte (Traumanase, Eryfer) in die Obhut der Kölner gegeben. Entsprechende Ausstiegsklauseln vorausgesetzt, könnten die Franzosen irgendwann bestrebt sein, ihre Produkte zurückzuholen. Dasselbe Risiko gilt im Grundsatz für die Kooperationen mit SC Johnson (Autan), dem schweizerischen Unternehmen Geistlich (Vita Gerin) und dem Münchener Hersteller Harras (Traumaplant).
Das zweite Problem ist die verschlafene Internationalisierung. Der Legende nach hatte sich Klosterfrau in den 1980er Jahren einmal in Spanien die Finger verbrannt und danach zunächst weitgehend auf den Heimatmarkt zurückgezogen. Zwar vertreibt Klosterfrau seine Produkte nach eigenem Bekunden in 48 Ländern. Doch das internationale Geschäft dümpelt eher vor sich hin und macht weniger als 10 Prozent des Umsatzes aus. In den meisten Ländern in Osteuropa beziehungsweise den ehemaligen GUS-Staaten, in Skandinavien sowie in Großbritannien, Italien und Portugal werden ohnehin nur ausgewählte Marken von Vertriebspartnern huckepack genommen.
Nur in Österreich ist Klosterfrau auch Verbrauchern ein Begriff; in der Schweiz und in Belgien tritt das Unternehmen unter dem Namen Melisana auf. In Frankreich schließlich ist Klosterfrau an einer Reihe kleinerer Hersteller beteiligt, deren Marken allenfalls lokale Bekanntheit haben und eher den Charme vergangener Tage versprühen (Dermophil, Dermagor, Hegor, Item). Überraschende Geschäftsbereiche gibt es auch: Die Tochterfirma 7Med ist Marktführer im Bereich der Kupferspiralen, Hepatoum lässt seine Urlogika wie Instillagel weltweit vermarkten.
So haben Neukirchs Nachfolger vor allem die Aufgabe, die verschiedenen Sparten zusammenzubringen und die Potenziale einer engeren internationalen Zusammenarbeit innerhalb der Gruppe zu erschließen. Starke Marken sollen in neuen Märkten für künftiges Wachstum aufgestellt werden. Das neue Führungsduo ergänzt sich perfekt: Dr. Martin Zügel ist Arzt mit Pharmakarriere (Roche, B. Braun, Merz); er hatte bereits im vergangenen Sommer den Vorsitz der Holding mit Sitz in der Schweiz übernommen und leitet nun auch das operative Geschäft. René Flaschker, Geschäftsführer Markting/Vertrieb, kommt aus der Konsumgüterbranche (GSK, Iglo).
„Die beiden sollen die Braut hübsch machen“, sagt dagegen ein externer Beobachter. Sollte das stimmen, wäre Sanofi sicher der erste Kandidat, der einem als potenzieller Käufer für Klosterfrau ins Auge springen würde. Mit dem Konzern beziehungsweise seinen Vorgängerfirmen verbindet den Kölner Hersteller eine lange Geschichte – von Cassella-med bis hin zur „Resterampe für Nordkorea“. Dass die Franzosen auf OTC setzen, zeigen die aktuellen Verhandlungen mit Boehringer: Merial gegen Thomae, lautet die Devise. Kommt der Deal zustande, wäre Sanofi nicht nur um einige prominente OTC-Marken reicher, sondern außerdem um 4,7 Milliarden Euro.
Auch Bayer hat sicher längst ein Auge auf Klosterfrau geworfen. In Leverkusen hat man den Anspruch, die globale Nummer 1 im Bereich der Selbstmedikation zu werden. Auch die pflanzlichen Produkte von Klosterfrau würden ganz gut ins neue Image des sanften Riesen passen. Ganz nebenbei ist übrigens auch noch eine Rechnung offen: Neukirchs potenzieller Nachfolger bei Klosterfrau, Stefan Meyer, hatte 2012 entnervt das Handtuch geworfen und war als OTC-Deutschlandchef zu Bayer gewechselt.
Ob Klosterfrau überhaupt verkauft werden kann, steht auf einem ganz anderen Blatt. Nach dem Tod des Firmenpatriarchen Wilhelm Doerenkamp wurde der größte Teil der Firmengruppe in den 1970er Jahren in eine Stiftung mit Sitz in Chur in der Schweiz überführt – die Familie in Gestalt von Doerenkamps einziger Enkelin Martine Eloy ist nur noch minderheitsbeteiligt. Zweck der Stiftung sind die Förderung der Natur- und Geisteswissenschaften, die Unterstützung von Alten und Gebrechlichen sowie notleidenden und bedürftigen Kindern sowie die Förderung von künstlerischen, literarischen, kulturellen und humanitären Leistungen.
Ein Verkauf ist damit eigentlich ausgeschlossen, denn Eingriffe in die Satzung gegen den Willen des Stifters sind fast ausgeschlossen und werden von den Behörden überwacht. Das Papier ist nur den Eingeweihten rund um Petra Tritschler zugänglich, die seit den 1980er Jahren die Strippen zieht. Ein Insider, der einmal einen flüchtigen Blick auf das Dokument werfen durfte, meint, dass nicht allzu viele Klauseln geändert werden müssten, um einen Verkauf zu ermöglichen.
Wie auch immer es mit Klosterfrau weitergeht: Fest steht schon jetzt, dass mit den Ausscheiden von Neukirch eine Ära zu Ende gegangen ist. Das Unternehmen steckt mitten in einem Reorganisationsprozess, den die alten Strukturen nicht zugelassen haben. „Bei Klosterfrau weht jetzt derselbe kalte Wind, der vor einigen Jahren schon Boehringer erfasst hat“, sagt ein Insider. Der moderne globale Pharma-Kapitalismus lasse immer weniger Raum für Exoten. „Der Dornröschenschlaf geht jetzt zu Ende.“