Hexal: Folgt der nächste Flop? Patrick Hollstein, 28.09.2016 10:51 Uhr
Wer im OTC-Bereich mit einer Marke erfolgreich sein will, hat es schwer: Sobald ein Produkt funktioniert, klemmen sich die Generikahersteller dahinter. Neueinführungen sind ein Wettlauf gegen die Zeit; Boehringer Ingelheim hat mit Boxagrippal seine Erfahrungen gemacht. Auch pflanzliche Arzneimittel sind im Visier von Ratiopharm, Stada & Co. Doch nicht immer stellt sich der erhoffte Erfolg ein, wie das Beispiel Hexal zeigt. Der Angriff auf Sinupret könnte darüber entscheiden, wie die Sichtwahl in Zukunft aussehen wird.
Mit einem Umsatz von mehr als 320 Millionen Euro auf Basis der Apothekenverkaufspreise (AVP) gehört Hexal zu den führenden OTC-Herstellern in Deutschland, hinter Bayer, GSK Consumer und Ratiopharm. Knapp 45 Millionen Packungen werden pro Jahr verkauft. Zum Vergleich: Branchenprimus Ratiopharm kommt auf 80 Millionen Einheiten.
Dabei ist es Hexal in den vergangenen Jahren immer wieder gelungen, eigene Marken aufzubauen. ACC, Lorano, Omep und Orlistat Hexal sind perfekte Beispiele, wie man sich als Hersteller auch mit generischen Wirkstoffen von der Konkurrenz absetzen kann. Zuletzt hat das Team in Holzkirchen aber mehrere Flops hingelegt. Dazu später mehr.
Ob ein OTC-Produkt eine Marke wird, hängt alleine vom Marketing ab. Denn in diesem Bereich gibt es so gut wie keine Exklusivität: Neue Wirkstoffe sind immer rezeptpflichtig; bevor ein Produkt vom Generalalphabet in die Sichtwahl wechselt, ist das Patent in der Regel abgelaufen. Zwar gilt seit 2005 eine EU-Richtlinie, die Herstellern ein Jahr lang Konkurrenzschutz einräumt, sofern diese mit ihrem Antrag signifikante klinische oder präklinische Daten zum Switch vorlegen. Doch in der Praxis kommt kaum ein Hersteller in den Genuss eines Vorsprungs. So wird kopiert, was das Zeug hält – frei nach dem Klassiker: „Da gibt’s doch was von Ratiopharm!“
Pflanzliche Arzneimittel waren dagegen lange eine Ausnahmeerscheinung in Sachen Generikaquote – von den berühmten „Ramschextrakten“, also jenen Produkte, die als Lebensmittel vermarktet werden, einmal abgesehen. Für echte Generika eigneten sich Phytoprodukte nicht, gab Professor Dr. Werner Knöss, zuständiger Abteilungsleiter am Bundesinsitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), vor einem Jahr im Interview mit APOTHEKE ADHOC zu Protokoll. Zu viele Faktoren spielten eine Rolle: die Qualität der Drogen, der Herstellungsprozess und vieles mehr. „Unser Bereich lebt nicht von Patenten, sondern von Verfahren.“
Heißt: Im Phytobereich gibt es keine Wirkstoffpatente, dafür sind die Herstellungsverfahren geschützt oder zumindest so geheim, dass sie nicht kopiert werden können. Da Studien sich auf einen bestimmten Extrakt beziehen, ist auch eine Bezugnahme in der Regel ausgeschlossen. Auch die Unterlagen sind damit in gewisser Weise geschützt.
Damit sich Sinupret & Co. nicht auf alle Zeiten dem Wettbewerb entziehen können, ist im Arzneimittelgesetz (AMG) eine Ausnahme vorgesehen: Produkte, die seit mehr als 30 Jahren auf dem Markt sind, können auf Basis einer Registrierung kopiert werden. Der Hersteller muss also nur belegen, dass sein Produkt mit dem Original vergleichbar ist. Gibt es eine entsprechende Monographie, kann der Nachweis recht schnell erbracht werden.
So fielen in den vergangenen Jahren gleich mehrere Monopole im Phytomarkt: Umackaloabo, Tebonin und jetzt Sinupret. Weil die Evidenz bei einer Registrierung geringer ist, sind nur bestimmte Aussagen zum Produkt zugelassen. In der Regel werden die Newcomer als „traditionelles pflanzliches Arzneimittel“ zur Unterstützung bestimmter Symtomkomplexe beworben. Während in der Werbung der Unterschied entscheidend sein kann, spielen die Details der Indikation bei der Beratung in der Apotheke keine allzu große Rolle.
Stets mit dabei war in den vergangenen Jahren Hexal – allzu oft allerdings ohne Erfolg. Als Paradebeispiel, wie der Angriff auf eine etablierte Marke in die Hose gehen kann, gilt der Fall Umckaloabo. Anfang 2014 brachte Hexal auf Basis einer EU-Monographie Pelasya auf den Markt. Die Vorzeichen waren günstig: Der Klassiker war durch öffentliche Debatten über Patentrechte und Leberschäden angeschlagen und verlor seit Jahren Umsätze. Der Generikakonzern ging 25 Prozent unter den Vergleichspreis und schaltete Anzeigen und Fernsehwerbung.
Doch der Angriff scheiterte: Umckaloabo verlor zwar kurzzeitig Umsätze und kam 2015 auf einen Marktanteil von knapp 90 Prozent. Doch in den zwölf Monaten bis Juni 2016 holte der Klassiker seinen ursprünglichen Anteil von 92,5 Prozent zurück. Hexal dagegen war mit 2,5 Prozent Marktanteil im ersten Jahr gestartet – und fiel von 2,1 auf 1,1 Prozent.
Auch die Konkurrenz war nicht viel erfolgreicher: Ratiopharm – anders als Hexal Lizenznehmer des Originalherstellers Dr. Willmar Schwabe – sicherte sich zum Start 5,2 Prozent des Marktes und kam dann sogar auf 7,6 Prozent, um auf 5,6 Prozent zurückzufallen. Das mit einem Jahr Verspätung eingeführte Produkt von Zentiva ist mit einem Anteil von unter 1 Prozent zu vernachlässigen.
Bei Schwabe sieht man den Grund für den ausgebliebenen Erfolg der Konkurrenten in der Tatsache, dass die Produkte nicht vergleichbar sind: „Selbst bei Verwendung des gleichen pflanzlichen Ausgangsmaterials entstehen durch Veränderungen im Extraktionsverfahren Wirkstoffe mit einem anderen Inhaltstoffspektrum und einer deshalb nicht vergleichbaren Wirksamkeit und Verträglichkeit“, sagt Dr. Traugott Ullrich, Geschäftsführer Marketing/Vertrieb Deutschland.
Er verweist auf Empfehlungen der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DphG) zu Substitution von pflanzlichen Wirkstoffen und auf die Einschätzungen der medizinischen Fachgesellschaften. „Parallel dazu trägt natürlich auch alles, was wir zum Markenaufbau tun, dazu bei, Schwabe-Marken wie Tebonin oder Umckaloabo im Wettbewerbsumfeld stärker zu machen“, so Ullrich. „Die Menschen, die gute Produktwahrnehmungen mit diesen qualitativ hochwertigen Produkten gemacht haben, entscheiden sich beim Wiederkauf ganz bewusst für diese und nicht für andere Produkte aus der Kategorie. Qualität und Vertrauen gehen bei der Entscheidung Hand in Hand.“
Eine ähnliche Erfahrung hat man bei Medice gemacht. Das Familienunternehmen aus Iserlohn hatte sich 2012 die Vertriebsrechte für Perenterol (Saccharomyces boulardii) gesichert. Die Hefekapseln werden zur Prävention und Behandlung von Durchfall eingesetzt. Ein Jahr zuvor hatten mehrere Konkurrenten ihre Produkte vom Markt nehmen müssen, weil in den Kapsel zu wenige lebensfähige Keime gefunden worden waren.
Anfang 2015, also ein Jahr nach dem Pelasya-Start, feierte Hexal das Comeback: Unter dem Motto „Raus aus dem Kühlschrank – Rein in die Sichtwahl!“ kam Perocur mit neuer Rezeptur auf den Markt. Anders als die Produkte anderer Konkurrenten musste das Antidiarrhoikum nicht mehr gekühlt gelagert werden.
Wieder ging Hexal mehr als ein Viertel unter den Preis des Originalprodukts; wieder wurde ein Marketingpaket für Apotheken und Endverbraucher geschnürt. Einen Produktnachteil gegenüber dem Original gab es aber: Die Zahl der lebensfähigen Zellen pro Kapsel hatte sich halbiert; um auf eine vergleichbare Menge wie bei Perenterol zu kommen, müssen daher doppelt so viele Kapseln eingenommen werden. Das vom Weltkonzern angegriffene Familienunternehmen wusste diese Schwäche für die eigenen Kommunikation zu nutzen. Der Außendienst wurde mit den entscheidenden Argumenten munitioniert und wehrte den Angriff ab: Seit dem Relaunch ist der Marktanteil des Hexal-Produkts von 1,6 auf aktuell 1,4 Prozent gesunken.
Zwar hatte auch Medice zuletzt mit rückläufigen Umsätzen zu kämpfen. Dies hängt aber damit zusammen, dass Perenterol häufig bei Antibiotika-induzierter Diarrhoe verordnet wird. Die ausgebliebene Erkältungswelle drückte die Nachfrage. Den Marktanteil von knapp 21 Prozent konnte Perenterol aber halten.
„Als Apotheker halte ich es für fragwürdig, bekannte, etablierte und klinisch-pharmakologisch gut dokumentierte Marken mit qualitativ diesbezüglich meist unterlegenen generischen Präparaten anzugreifen“, sagt Dr. Jürgen Kreimeyer, Geschäftsführer Marketing/Vertrieb bei Medice. „Gerade bei pflanzlichen Arzneimitteln oder Präparaten auf Basis biologisch aktiver Mikroorganismen, wie Arzneihefen ist das aus pharmazeutischer Sicht nur selten plausibel.“
Kreimeyer findet solche Neueinführungen „vollkommen überflüssig“; zumindest sollten die in Apotheken Rat suchenden Kunden klar über die abweichende pharmazeutische Qualität informiert werden. „Das gilt für Nachahmer von Sinupret ebenso wie für Nachahmer von Perenterol oder Umckaloabo. Meist Regel der Markt das selbst. Der Angriff auf Sinupret wird daher vermutlich ähnlich verpuffen wie der auf Perenterol und Umckaloabo.“
Aktuell bringt der Generikakonzern mit Solvohexal ein Konkurrenzprodukt zu Sinupret forte auf den Markt. Das Produkt ist diesmal nur 10 Prozent preiswerter, eine TV-Kampagne ist aber auch diesmal geplant. Doch abgesehen davon, dass Bionorica mit Sinupret extract ohnehin bereits einen höher dosierten Nachfolger auf dem Markt hat: Die Erfahrungen von Schwabe und Medice im Hinterkopf, geht man in Neumarkt optimistisch ins Rennen. „Wir werden alles tun, um Apotheker, PTA und Ärzte auf unserer Seite zu haben“, sagt Marketing- und Vertriebsleiter Dr. Jürgen Ott. „Wir haben das bessere Produkt und werden daher auch die zufriedeneren Kunden haben.“
Eine Ausnahme unter den Phyto-Generika ist Gingium: Das Konkurrenzprodukt zu Tebonin hat einen Marktanteil von 31 Prozent; allerdings lizenziert Hexal den Extrakt beim Originalhersteller – und kann damit auf die Vergleichbarkeit abstellen. Der Erfolg geht vor allem auf die gute Arbeit des Arztaußendienstes zurück: Weil vor einigen Jahren die chemischen Wirkstoffe noch nicht patentfrei waren, verordneten viele Mediziner die günstigeren Ginkgo-Produkte.
In Holzkirchen ist man stolz auf diesen Erfolg: „Gingium zählt zu den Top-20 unter den OTC-Marken in Deutschland“, sagt OTC-Chef Stefan Walk. „Diese erfolgreiche und starke Marke haben wir seit mehr als zwei Jahrzehnten konsequent aufgebaut. Gingium wurde und wird kontinuierlich durch den Außendienst betreut und medial unterstützt.“ Zu den Herausforderungen und Problemen bei den anderen pflanzlichen Präparaten gab Hexal keine Stellungnahme ab. Besonders bitter: Bei Gingium kämpft Hexal derzeit selbst gegen neue „registrierte“ Konkurrenz.