Im Fall des Abgabeterminals von DocMorris im baden-württembergischen Hüffenhardt hat das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe vorerst einen Schlussstrich gezogen. Die Richter verboten das Modell ohne Möglichkeit der Revision – und setzten sich auch mit dem Vorwurf der Versandapotheke auseinander, die parallel von mehreren Apothekern angestrengten Verfahren seien rechtsmissbräuchlich gewesen.
Neben dem Landesapothekerverband und dem Kölner Apotheker Erik Tenberken hatten drei Pharmazeuten aus der Region die niederländische Versandapotheke abgemahnt. Weil DocMorris die geforderte Unterlassungserklärung nicht abgab, zogen Thomas Grzesiak (Stadt-Apotheke in Neckarbischofsheim), Beate Rock (Rock-Apotheke zur Ludwigs-Saline in Bad Rappenau) und Dagmar Schäfer (Schildwach-Apotheke in Epfenbach) schließlich vor Gericht.
DocMorris warf ihnen im Prozess Rechtsmissbrauch vor. Nicht nur, dass sie bei der Abmahnung noch gemeinsam aufgetreten seien, dann aber plötzlich drei getrennte Verfahren angestrengt hätten. Vielmehr seien auch die Klagen weitgehend identisch gewesen. Die Apotheker seien auch durch denselben Anwalt vertreten und von der Noweda finanziell und organisatorisch unterstützt worden. Der Großhändler instrumentalisiere die Apotheker und lenke die Prozesse im Hintergrund, so der Vorwurf. In Wahrheit gehe es darum, die Gegenseite mit hohem organisatorischen und finanziellen Prozessaufwand zu überziehen.
Die Richter ließen sich nicht beeindrucken. Von einem Missbrauch sei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes auszugehen, wenn mit der Geltendmachung „überwiegend sachfremde, für sich genommen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele“ verfolgt würden und diese „eigentliche Triebfeder“ für das Verfahren seien. Dies sei hier aber nicht der Fall.
Zwar verdoppelten sich im vorliegenden Verfahren die Prozesskosten für DocMorris; angesichts der „vollkommenen Parallelität der Klagesachverhalte“ hätte auch eine gemeinsame Klage in Streitgenossenschaft erhoben werden können, zumal dies keine Auswirkung auf die jeweiligen Erfolgsaussichten gehabt hätte.
Allerdings sei nicht von einem abgestimmten Vorgehen der Kläger auszugehen, zumal ihr Anwalt glaubhaft dargelegt hatte, dass die Apotheker als selbständige Kaufleute rechtlich wie wirtschaftlich voneinander unabhängige Mitbewerber seien und nach erfolgloser Abmahnung jeweils darauf bestanden hätten, selbstständig ihre Rechte wahrzunehmen.
Auch eine Fremdsteuerung durch die Noweda konnten die Richter nicht erkennen: Auch wenn der Großhändler mit der finanziellen Unterstützung eigene Interessen verfolge, sei nicht erkennbar, dass die Apotheker „nicht im maßgeblichen Eigeninteresse als betroffene Mitbewerber handeln, sondern dass die Rechtsdurchsetzung vom Arzneimittelgroßhändler nach seinen Interessen gesteuert wird“.
Genauso wenig sei anzunehmen, dass sachfremde Ziele das beherrschende Motiv seien. Die geltend gemachten Wettbewerbsverstöße seien gravierend; ein Einschreiten der Apotheker liege in deren offensichtlichem Interesse als betroffene Mitbewerber – auch wenn die zuständige Behörde längst im Wege der öffentlich-rechtlichen Untersagungsverfügung reagiert habe.
Auch die Tatsache, dass der Streitwert von 100.000 Euro in der gemeinsamen Abmahnung auf 10.000 Euro in der jeweiligen Klage reduziert wurde, spreche gegen ein „dominierendes Gebührenerzielungs- oder Kostenbelastungsinteresse“. „Soweit aus der getrennten Mehrfachverfolgung statt gemeinsamer Klage höhere Prozesskosten folgen, genügt dies – wie vorstehend ausgeführt – nicht, um im Streitfall einen Rechtsmissbrauch im Sinne des Überwiegens sachfremder Motive zur Überzeugung des Senats zu begründen.“
Inhaltlich blieben die Richter bei ihrer Argumentation: Von einem Versandhandel sei nur auszugehen, wenn dieser auf Bestellung eines Endkunden hin erfolge. Ein „antizipiertes Verbringen“ unabhängig von einer individuellen Bestellung sowie die Einlagerung außerhalb von Apothekenräumen seien davon nicht gedeckt, sondern widersprächen vielmehr einem „Versand“, wie er in Wortlaut und Systematik des Gesetzes angelegt sei. Durch nichts seien die Vorgänge in Hüffenhardt als „unselbstständiger Teil eines Versands“ zu qualifizieren.
Damit verstoße DocMorris gegen das Verbringungsverbot und die Apothekenpflicht. Diese aber dienten der Arzneimittelsicherheit; das Modell in Hüffenhardt unterläuft nach Überzeugung der Richter die angestrebte staatliche Überwachung. Dasselbe gelte für die fehlende Vorlage des Originalrezepts zum Zeitpunkt der Abgabe und die Dokumentationspflichten, denen nicht rechtzeitig nachgekommen werden könne.
Die Vorschriften seien auch verfassungs- und unionsrechtskonform, da sie durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls getragen würden und nicht geeignet sind, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu behindern. Aus Sicht der Richter wird DocMorris nicht stärker diskriminiert als deutsche Versandapotheken: „Anders als bei der Preisbindung von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln kann ein wesentlich erschwerter Marktzutritt für die von der im EU-Ausland ansässigen Apotheke vertriebenen Arzneimittel vorliegend gerade nicht erkannt werden.“
Dass speziell ausländische Versandapotheken elementar auf einen Vertrieb mittels eines Abgabeautomaten angewiesen sind, zeige die Berufung nicht auf und sei auch sonst nicht ersichtlich. „Der natürliche Wettbewerbsnachteil des Arzneimittel-Versandhandels gegenüber dem Arzneimittel-Präsenzhandel, Patienten nicht durch Personal vor Ort individuell beraten und eine Notfallversorgung mit Arzneimitteln nicht sicherstellen zu können, vermag ein solch elementares Bedürfnis nicht zu begründen. Vielmehr wirken die durch Vorgabe des Vertriebsorts und der Vertriebsart von Präsenz- und Versandapotheken gleichermaßen einzuhaltenden Sicherheitsgewährleistungen im Rahmen des Apothekenzwangs in Bezug auf die Absatzmöglichkeiten inländischer und ausländischer Apotheken unterschiedslos.“
Im Übrigen bleibe es DocMorris unbenommen, vom Standort ihrer Apothekenräume aus Versandhandel durch Absendung aus der Apotheke und anschließende Auslieferung durch Individualzustellung oder über eine Abholstation zu betreiben. „Der mit den Vorschriften des nationalen Rechts einhergehende Ausschluss der beanstandeten Vertriebsform kann als Ausprägung des Verkaufsvorbehalts für Apotheken verstanden werden, welcher als solcher vom Unionsgerichtshof bislang nicht als spezifisches Marktzugangshindernis angesehen worden ist.“ Die Beratung werde ebenfalls durch das Verbot nicht behindert.
„Die in Rede stehenden Beschränkungen als Modalitäten der Abgabe von Arzneimittel an Endverbraucher sichern – im Interesse der sicheren und qualitativ hochwertigen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung – die vom Gesetzgeber getroffene Entscheidung zur Zwischenschaltung des Apothekers bei der Abgabe von Arzneimitteln ab. Der dem Gesetzgeber zustehende Wertungsspielraum ist hierdurch nicht überschritten“, heißt es weiter. Dies habe der EuGH auch anerkannt: Die Mitgliedstaaten müssten nicht warten, bis der Beweis für das Bestehen von Gesundheitsgefahren vollständig erbracht sei.
Es seien auch keine milderen Mittel zu erkennen, um den Gefahren eines Arzneimittelfehlgebrauchs oder -missbrauchs oder der mangelnden Qualität des Arzneimittels ebenso wirksam entgegenzuwirken. „Einer statistischen oder empirischen Beweisführung zur Rechtfertigung der in Rede stehenden Beschränkungen bedarf es vorliegend danach nicht, zumal sich die Argumentation der Beklagten darin erschöpft darauf abzustellen, dass das von ihr praktizierte Vertriebssystem eines Arzneimittel-Abgabeautomaten gerade die flächendeckende Versorgung verbessere, ohne auf die hierdurch primär betroffenen Aspekte der Arzneimittelsicherheit einzugehen.“
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