Noweda: Abschied von Merckle Patrick Hollstein, 06.06.2014 09:58 Uhr
Nicht nur bei der Sanacorp, sondern auch bei der Noweda gibt es neben den Genossen Anteilseigner, die keine Apotheker sind. Anders als bei der Konkurrenz aus München hat dies aber keine strategischen, sondern historische Gründe. Nach dem Ausscheiden der Merckle-Familie sind mittlerweile nur noch zwei oder drei Altaktionäre übrig.
1975 übernimmt die Noweda die Mehrheitsanteile an der Handelsvereinigung Dietz & Richter – Gebrüder Lodde AG, Frölich & Co. Der Großhändler mit dem komplizierten Namen und einer Niederlassung in Münster hat seine Ursprünge in Ostdeutschland.
1807 wird in Leipzig die Drogen- und Chemikaliengroßhandlung Dietz & Richter gegründet. 1920 schließt sich die Firma mit dem Konkurrenten Gebrüder Lodde zusammen, dessen Ursprünge sogar bis ins Jahr 1696 zurückreichen. So gesehen ist die Noweda vermutlich der älteste Großhändler in Deutschland.
Kurz darauf wird das Gemeinschaftsunternehmen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und an die Börse gebracht. Nach dem Krieg wird die 1922 übernommene Firma Frölich & Co. in Münster zum Nukleus für den Neuanfang: Der Firmensitz wird nach der Zwangsenteignung ostdeutscher Betriebe 1953 ins Westfälische verlegt, das 1934 übernommene Geschäft in Gotha wird aufgegeben.
Doch es gibt Streit unter den Großaktionären, in dessen Folge 1954 die 1928 eröffnete Niederlassung in Hagen der Familie Lodde zugeschlagen wird. Das Unternehmen tritt fortan als eigenständiger Großhändler auf, bis es 1976 von Pharma Bauer übernommen wird. Der Großhändler aus Neustadt an der Weinstraße geht im August 1980 mit lautem Getöse – die Deutsche Bank streitet sich mit Apothekern, die über Darlehensverträge zu stillen Gesellschaftern geworden waren – in die Insolvenz.
Mehrheitsaktionär bei ehemaligen Gemeinschaftsunternehmen ist fortan Firmenchef Wilhelm Flach. Der Apotheker hatte Dietz & Richter 1917 übernommen und in das Joint Venture eingebracht. Bis 1958 steht er an der Spitze des Unternehmens, danach wechselt er im Alter von 82 Jahren in den Aufsichtsrat. Sein Sohn Friedrich, ebenfalls Apotheker, übernimmt den Vorstandsposten – und verkauft 1975 an die Noweda.
Die Genossenschaft bringt das Geschäft voran, alleine 1983/84 schnellt der Umsatz von 60 auf 93 Millionen D-Mark in die Höhe. 1985 wird eine neue Niederlassung in Herdorf eröffnet, 1992 in Taucha bei Leipzig, die allerdings zwei Jahre später ausgegliedert wird, und 1997 in Rastede. Für die Expansion sammelt das Unternehmen mehrfach Geld ein, was den Anteil der Noweda sukzessive erhöht.
Heute gehören der Genossenschaft mehr als 99,832 Prozent der Anteile; die meisten der Kleinaktionäre haben nach und nach verkauft. Bis vor einem Jahr gehörte die Merckle-Familie zu den „letzten Mohikanern“ bei der Noweda. Als „Herzensangelegenheit“ soll Adolf Merckle seine Beteiligung am Phoenix-Konkurrenten einmal bezeichnet haben. Seine Erben fanden die Konstellation offenbar weniger spannend.
Nur noch ganz wenige Anteilseigner sind übrig, die man in Essen wohl am liebsten zum Steuerwert abfinden würde. Rund eine knappe Milliarde Euro erwirtschaften die drei Niederlassungen der Aktiengesellschaft; wegen der Offensive der Genossenschaft wuchsen die Erlöse zuletzt stärker als der Markt.
Dazu kommt ein bequemes Polster: Vom Gewinn wird regelmäßig weniger als ein Zehntel als Dividende ausgeschüttet. Entsprechend haben sich mittlerweile Rücklagen von rund 75 Millionen Euro angesammelt. Zum Vergleich: In der gesamten Gruppe sind es 104 Millionen Euro.