Noventi hat sich im Rennen um ehemalige AvP-Apotheken mächtig ins Zeug gelegt: Vorauskasse für Neukunden, Abrechnungsgebühren an der Dumping-Grenze und schließlich der Deal mit dem Krankenhausgeschäft. Doch zumindest in Einzelfällen ist der Dienstleister noch weiter gegangen. APOTHEKE ADHOC liegt ein Vertrag vor, mit dem Noventi einer AvP-Apothekerin sämtliche Forderungen gegen das insolvente Rechenzentrum abkauft – und zwar ohne Abschlag. Warum macht der Branchenprimus das?
Einige AvP-Apotheker haben Anfang September – wenige Tage vor der Insolvenz – noch einen Abschlag auf ihre August-Rezepte erhalten, andere sind komplett leer ausgegangen und sitzen auf sechs-, teilweise siebenstelligen Forderungen. Dass diese Ansprüche im Insolvenzverfahren ausgesondert werden, ist nach Lage der Dinge unwahrscheinlich. Es geht wohl nur noch um eine möglichst hohe Quote. Hierzu kursieren alle möglichen Zahlen, verlässlich lässt sich das aktuell nicht vorhersagen. Harte Fakten werden erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens bei Gericht offiziell zusammengetragen.
Mit einer vollständigen Befriedigung der Gläubiger ist in Insolvenzverfahren kaum je zu rechnen. Umso erstaunlicher mutet der Kauf- und Übertragungsvertrag an, den Noventi mit einer Apothekerin geschlossen hat. Darin wird zunächst centgenau die Forderung beziffert, die die Inhaberin gegen AvP hat. Exakt dieser Betrag wird dann von Noventi übernommen.
Normalerweise wäre zu erwarten, dass der Käufer für das Risiko einen Abschlag einbehält. Doch genau dies ist hier nicht passiert. Der Deal dient offensichtlich auch nicht der Akquise: Die Apothekerin hatte den Vertrag bereits unterschreiben, mit dem sie von AvP zu Noventi wechselte. Dass sie gezielt angesprochen wurde, könne eigentlich auch nicht sein: Noventi wusste nach ihren Angaben vorab nicht, welche Außenstände die Apotheke bei AvP hat.
In welchem Umfang solche Verträge mit Apotheken geschlossen wurden, ist nicht bekannt. Eine Stellungnahme des Anbieters steht noch aus. Viele AvP-Geschädigte haben von dem Angebot nie gehört. Vor allem überrascht, dass Noventi hier für die volle Höhe der Forderung in die Haftung geht. Eine Erklärung wäre zwar, dass der Apotheken-Dienstleister als Gläubiger eine Sicherheit für die gewährten Vorabzahlungen in den eigenen Büchern hat. Die könnte sich im Fall einer niedrigen Quote aber als sehr brüchig erweisen.
Bei Noventi weiß man andererseits vielleicht noch am besten, wie es um die Verhältnisse bei AvP bestellt ist. Als Rezeptabrechner pflegt die apothekereigene Gruppe einen engen Kontakt zu Banken, immerhin muss Noventi die Abrechnungen der Apotheken genauso vorfinanzieren wie AvP. Dem Vernehmen nach hat es außerdem früher im Jahr schon Gespräche über eine mögliche Übernahme gegeben – auch wenn es dazu bekanntermaßen nie gekommen ist und am Ende die Insolvenz von AvP als Ergebnis stand.
Im vorläufigen Insolvenzverfahren ist es Noventi immerhin gelungen, mit dem Krankenhausgeschäft das Filetstück der AvP-Gruppe vorab zu erwerben. Welcher Betrag damit der Insolvenzmasse zugeflossen ist, wissen wiederum nur der Gläubigerausschuss und das Noventi-Management. Auch solche Informationen gehen mit ein, wenn Apothekern Forderungen abgekauft oder Sicherheiten geboten werden.
Noventi wird laut Vertrag selbst zum Gläubiger und verpflichtet sich, die Forderung beim Insolvenzgericht anzumelden. Sollte ein Widerspruch gegen die Forderung bestehen und diese im Prüftermin nicht zur sogenannten Insolvenztabelle hinzugefügt werden, kann Noventi allerdings von dem Vertrag zurückzutreten. Die Apothekerin ist dann vertraglich zur Erstattung des Kaufpreises verpflichtet. Davon ausgenommen ist ein vorläufiges Bestreiten seitens des vorläufigen Insolvenzverwalters Dr. Jan-Philipp Hoos. In diesem Fall müsste Noventi innerhalb von zwei Monaten eine Klärung herbeiführen.
Mit der AvP-Pleite hat sich die Marktsituation so gravierend verändert wie nie zuvor. Auf einen Schlag benötigten mehr als 3000 Apotheken ein neues Rechenzentrum. Das ARZ Haan war sehr schnell aus den Startlöchern gekommen und hat mehrere hundert Apotheken gewonnen, außerdem das Hilfsmittelgeschäft aus der Insolvenzmasse gekauft.
Noventi reagierte auf die Vertriebsaktivitäten der Konkurrenz mit einem Kampfpreis bei den Abrechnungsgebühren und dem Versprechen auf Vorauszahlung der Abschläge innerhalb von 24 Stunden. Auch wenn letzteres nicht immer reibungslos klappte, hat der Branchenprimus dem Vernehmen nach inzwischen mehr als 1000 Neukunden eingesammelt und hätte damit knapp die Hälfte des Marktes bei sich versammelt. Kurz vor dem Scharfstellen des E-Rezepts verfolgt der Marktführer augenscheinlich das Ziel, möglichst viel Umsatz zu kaufen.
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