Bis vor einigen Jahren war Noventi ein Verbund mehrerer Rechenzentren für Apotheken und andere Leistungserbringer und mit Awinta auch im Bereich der Apotheken-EDV aktiv. Mit Blick auf das E-Rezept entschied man sich dazu, in neue Geschäftsfelder zu investieren und in den Bereich Factoring einzusteigen, um Kunden auch in Zukunft zu binden. Seitdem gibt es auch erhebliche Veränderungen in der Bilanz. Ein Überblick über die wichtigsten Kennzahlen des Jahres 2021.
Nach eigenen Angaben rechnet Noventi mittlerweile Rezeptbelege im Wert von mehr als 30 Milliarden Euro ab, im Jahr zuvor waren es 23 Milliarden Euro und 2019 noch 20,5 Milliarden Euro. Knapp 26 Milliarden Euro entfallen auf die Apotheken – hier hatte Noventi 2020 massiv Kunden des insolventen Rechenzentrums AvP geholt. Doch auch der Bereich der Sonstigen Leistungserbringer hat sich seit 2019 von 4 auf 9 Milliarden Euro mehr als verdoppelt.
Rund 8200 Apotheken rechneten im vergangenen Jahr ihre Rezepte über Noventi ab, das waren 50 mehr als Ende des Vorjahres. Allerdings hatte Noventi im Sommer 2020 massiv Kunden des insolventen Mitbewerbers AvP geholt – in der Summe waren es rund 1300. Dazu kam der Bereich der Klinikapotheken mit knapp 150 Kunden, hier konnten 2021 rund 40 weitere Kunden gewonnen werden. Im Bereich der Sonstigen Leistungserbringer verlor die Gruppe rund 230 Geschäftspartner, hier gibt es rund 27.840 Kunden. Dazu kommen 370 Ärzte, die ihre Privatabrechnung über Noventi abwickeln. Die Warenwirtschaft von Awinta nutzten 2020 rund 5200 Apotheken, aktuelle Zahlen gibt es nicht.
Von dem zweistelligen Milliardenbetrag, den Noventi bewegt, bleibt über Gebühren nur ein kleiner Teil als Umsatz hängen. Insgesamt summierten sich die Erlöse 2021 auf 236 Millionen Euro, ein Plus von 16 Prozent. Davon entfallen 134 Millionen Euro auf die Rezeptabrechnung (plus 23 Prozent) und 91 Millionen Euro auf den Bereich der Apotheken-EDV. Die restlichen Erlöse verteilen sich auf die Bereiche Branchensoftware (8 Millionen Euro) und Sonstiges (2 Millionen Euro).
Bei den beiden größten Kostenblöcken gab es auch die größten Zuwächse: Die Personalkosten stiegen um 11 auf 122 Millionen Euro, die Zahl der Mitarbeiter:innen wuchs um 100 auf 2125. Die sonstigen betrieblichen Aufwendungen wuchsen um 16 auf 70 Millionen Euro. Hier investierte Noventi in die neue Firmenzentrale, aber auch in Werbung und Digitalisierungsprojekte. Zu Buche schlugen auch höhere Verwaltungskosten im Factoringbereich.
Die beiden großen Digitalisierungsprojekte, bei denen sich Noventi beteiligt hat, bringen kein Geld: Gesund.de weist einen Fehlbetrag von knapp 11 Millionen Euro aus, Doctorbox ein negatives Ergebnis von 1,7 Millionen Euro. Noventi hält an den Start-ups rund 39 beziehungsweise 25 Prozent der Anteile.
Insgesamt musste Noventi für seine Kredite (siehe unten) im vergangenen Jahr 6,1 Millionen Euro an Zinsen zahlen, 2020 waren es noch 4,8 Millionen Euro.
Die Steueraufwendungen lagen bei 6,9 Millionen Euro, nachdem im Vorjahr noch ein Guthaben von 1,3 Millionen Euro ausgewiesen wurde.
Unter dem Strich weist Noventi einen Konzerngewinn von 7,1 Millionen Euro aus, spiegelbildlich zu den 1,7 Millionen Euro im Vorjahr. In welchem Umfang die einzelnen Geschäftsbereiche dazu beitragen, ergibt sich aus dem Geschäftsbericht nicht. Für die Organisationseinheit Noventi HealthCare, in der im Wesentlichen das Abrechnungsgeschäft gebündelt ist, weist Noventi ein Ergebnis in Höhe von 39 Millionen Euro aus, das nach dem coronabedingten Einbruch im Vorjahr deutlich gesteigert werden konnte. Awinta war im Vorjahr kurioserweise mit der Dachgesellschaft verschmolzen worden, für die ein Überschuss von 3,3 Millionen Euro angegeben wird.
Hier gibt es die größte Veränderung im Finanztableau von Noventi, denn der vormals als Treuhandvermögen beziehungsweise -verbindlichkeiten ausgewiesene Factoringbereich wurde – wohl auf Drängen der Finanzaufsicht – in die Bilanz überführt. Entsprechend ist die Bilanzsumme von 238 Millionen Euro auf 1,2 Milliarden Euro gestiegen. Pro Forma lag sie im Vorjahr aber sogar bei 1,6 Milliarden Euro.
Das immaterielle Anlagevermögen ist von 82 auf 107 Millionen Euro gestiegen, hier hat Noventi zur Stärkung der Bilanz Eigenleistungen im Umfang von 14 Millionen Euro aktiviert. Die Sachanlagen stiegen von 18 auf 19 Millionen Euro.
Die Finanzanlagen haben sich von 59 auf 23 Millionen Euro mehr als halbiert. Hier gab es Umbuchungen in den Bereichen Beteiligungen und assoziierte Unternehmen, vor allem aber wurden die nicht weiter erklärten „sonstigen Ausleihungen“ von 50 auf unter 3 Millionen Euro zurückgefahren. Möglicherweise sind dies die Vorauszahlungen an ehemalige AvP-Kunden; diese entsprechenden Forderungen wurden laut einem Sprecher im Geschäftsjahr 2020 beglichen und sind daher nicht mehr in der Konzernbilanz enthalten. Vermutlich wurden sie ins normale Factoring überführt.
Im Umlaufvermögen schlagen vor allem die neu aufgenommenen Forderungen aus dem Factoringbereich zu Buche, die allerdings im Pro-Forma-Vergleich gegenüber dem Vorjahr zum Stichtag von 1,4 Milliarden Euro auf 972 Millionen Euro deutlich zurückgefahren wurden. Der Kassenbestand ist von 22 auf 45 Millionen Euro gewachsen.
Das Eigenkapital ist angesichts des gestiegenen Jahresüberschusses von 77 auf 84 Millionen Euro gewachsen. Hier sollten in diesem Jahr eigentlich 80 Millionen aus Genussscheinen dazu kommen, doch nach dem Fehlstart bei den Mitgliedern des Eigentümervereins FSA liegt das Projekt aktuell auf Eis.
Die Rückstellungen liegen mit 24 Millionen Euro rund 10 Prozent über Vorjahr. In den Verbindlichkeiten spiegeln sich abermals die Aktivitäten im Factoringbereich wider.
Nahezu unverändert weist Noventi Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten in Höhe von 106 Millionen Euro aus. Dazu kommen 930 Millionen Euro aus dem Factoringbereich, dieser Posten konnte zum Stichtag pro forma von zuvor 1,36 Milliarden Euro deutlich reduziert werden.
Auch wenn die Vorfinanzierung also im Kern nichts mit dem eigentlichen Geschäft von Noventi zu tun hat, ist hier der größte Finanzierungsaufwand zu finden. Nach einem Jahr Verhandlung wurde der bestehende Konsortialkreditvertrag in Höhe von 700 Millionen Euro – davon 50 Millionen Euro Schuldscheindarlehen – im Jahr 2020 mit einer Laufzeit von drei Jahren auf eine Milliarde Euro aufgestockt, primär durch die Erhöhung der Kreditlinie bei den bereits teilnehmenden Konsortialbanken und zu einem kleinen Teil durch zwei neue Konsortialpartner.
Parallel wurden durch den Beitritt der KfW weitere 475 Millionen Euro bereitgestellt; mittlerweile ist die KfW dem bestehenden Konsortialverbund beigetreten, sodass der Konsortialkredit auf 1,333 Milliarden Euro erweitert wurde.
Auch wenn Noventi von überwiegend organischem Wachstum spricht, kam ein Großteil des Neugeschäfts 2021 über die AvP-Pleite. Für 2022 rechnet das Management daher mit einer „leichten Steigerung der Umsatzerlöse“, bei einem Konzernjahresüberschuss „leicht unter dem Wert des Geschäftsjahres 2021“.
Hintergrund für die gedämpften Erwartungen auf der Ertragsseite ist die Aufwendungen für den weiteren Umbau. „Durch den eingeleiteten Transformationsprozess und die notwendige Anpassung der Organisation zur Bewältigung der Digitalisierung im Gesundheitswesen werden Sonderbelastungen erwartet, die das Unternehmensergebnis von Noventi belasten werden.“ Danach sollen sich die Investitionen auszahlen: „Noventi erwartet nach Abschluss der Transformation in den Folgejahren 2023, 2024 eine deutliche positive Steigerung der Ergebnisse.“
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