Nonne, Konsul und Melissengeist Patrick Hollstein, 25.06.2015 15:27 Uhr
Die Geschichte der heutigen Klosterfrau-Gruppe beginnt 1929. Am 7. Mai tritt Konsul Wilhelm Doerenkamp als Kommanditist neu in das Familienunternehmen ein. Der 1882 geborene Kaufmann ist als Generalvertreter der Opel-Werke zu Wohlstand gekommen und will, so berichten es die Chroniken, sein Kapital gewinnbringend anlegen. Die Eigentümer des Unternehmens – die Brüder Wilhelm und Otto Schaeben – brauchen für die strategische Neuausrichtung Geld, und so leiht Doerenkamp Klosterfrau 100.000 Reichsmark. Dann kommt die Weltwirtschaftskrise, und die Firma kann den Kredit nicht zurückzahlen. Am 20. Mai 1933 wird das Konkursverfahren eröffnet; im Rahmen eines Zwangsvergleichs drängt Doerenkamp als Hauptgläubiger die bisherigen Besitzer aus der Firma. Der Vorgang wird Klosterfrau prägen – wann immer der Markt eine Chance bietet, ist das Kölner Unternehmen zur Stelle. Erst als Partner, dann als Käufer.
Der Großvater der Schaeben-Brüder war laut Familienchronik 1829 im Alter von 14 Jahren als Lehrling in das Kölner Unternehmen Klosterfrau eingetreten. Drei Jahre zuvor hatte die Nonne Maria Clementine Martin am Fuße des Doms damit begonnen, Kölnisch Wasser und Melissengeist herzustellen. Als Startkapital diente ihr eine jährliche Rente von 160 Goldtalern, die sie für ihren Einsatz als Sanitäterin auf dem Schlachtfeld von Waterloo vom preußischen König Friedrich Wilhelm III zuerkannt bekommen hatte.
Kurz bevor die Unternehmerin gewordene Geistliche 1843 starb, machte sie ihren ersten Mitarbeiter zum Erben. Mit ihrem Testament gab sie Schaeben den Rat auf den Weg, sich nicht „mit einem Compagnon in Theilung des Geschäftes“ einzulassen. 90 Jahre und drei Generationen später wurde die Mahnung in den Wind geschlagen – und das Erbe war weg. Immerhin: Als Hersteller von Drogeriewaren existiert Haus Schaeben's als Familienunternehmen noch heute.
Nach dem Krieg kommt für Klosterfrau ein Neuanfang. Der neue Eigentümer, in der Firma respektvoll Herr Konsul genannt, baut das zerstörte Werk wieder auf. In den 1960er Jahren arbeiten zeitweise vier Familienmitglieder aus zwei Generationen in der Firma. Doch nach dem Tod von Doerenkamp 1972 übernimmt der Kaufmann Paul Gräff, 1952 als Finanzchef ins Unternehmen geholt, die Geschäfte, die er bis 1997 leiten wird.
Unter Gräf beginnt in den 1970er Jahren die Expansion. 1971 wird das Werk in Berlin eröffnet, an dem noch heute für die Firmengruppe produziert wird, ebenso wie am Stadort Lüchow des Lohnherstellers Artesan, mit dem Klosterfrau ab 1987 zunächst kooperiert und der 1996 komplett übernommen wird.
1973 kauft Klosterfrau den Kerzenhersteller Vollmar (yul), 1977 den Arzneimittelhersteller Knufinke. 1981 erwirbt die Gruppe die französische Kosmetikmarke Maria Galland und in den folgenden Jahren weitere Firmen, darunter Syxyl, ein Hersteller von Präparaten der Naturheilkunde, und der Kölner Hersteller Farco (Instillagel).
Den wichtigsten Sprung macht Klosterfrau aber 1979. Gemeinsam mit dem Frankfurter Chemie- und Pharmakonzern Hoechst wird das Gemeinschaftsunternehmen Cassella-med gegründet. Als die Partner vom Main sich später auf rezeptpflichte Arzneimittel konzentrieren wollen, übernimmt Klosterfrau die Firma 1998 komplett – samt der Marken Soledum, Nasic, Enelbin, Limptar und Metifex.
Ohnehin fährt Klosterfrau damals geschickt im Windschatten der Pharmakonzerne: Weil es in der Branche bis Ende der 1990er Jahre als ausgemacht gilt, dass die Labore immer neue Blockbuster liefern würden, können die Kölner einige Juwelen abgreifen. Neben dem Hoechst-Portfolio sind dies die Marke Taxofit, die Klosterfrau Ende der 1980er Jahre von Boehringer kauft, und natürlich im Juni 2006 die Marken der Berliner Firma Lichtwer (Hepar SL, Jarsin, Kwai, Kaveri, Ameu, Bedan), die unter anderem wegen ihrer Öffnung in Richtung Mass Market in Probleme geraten war.
Auch als Dienstleister für die Konkurrenz macht sich Klosterfrau einen Namen: Seit 1987 sind die Kölner Vertriebspartner von Ricola; 1994 übernehmen die beiden Firmen gemeinsam den angeschlagenen ostdeutschen Bonbon-Hersteller Krügerol. Seit 1998 vertreibt Klosterfrau Marken, die heute zum britischen Konsumgüterkonzern Reckitt Benckiser gehören (Dobendan, Nurofen, Gaviscon, Sagrotan, Lutsine, Migränin), seit Anfang 2001 Kondome der Marke „condomi“ (Ansell).
Im Februar 2003 überträgt die Firma Nattermann, heute Teil von Sanofi-Aventis, den Vertrieb ihrer Marken Bronchicum, Cholagogum, Contramutan, Essentiale, Melrosum, Monapax an Klosterfrau. Nattermann tritt seitdem nur noch als Lohnhersteller auf; pharmazeutischer Unternehmer ist im rechtlichen Sinne die Vertriebsgesellschaft.
Der Fall Nattermann zeigt aber auch, dass Übernahmen schwieriger werden könnten. Denn auch die forschenden Pharmafirmen haben den Wert von OTC-Marken längst entdeckt. Vor einigen Jahren hatte sich Sanofi mit Maaloxan bereits ein wichtiges Produkt vom Vertriebspartner zurückgeholt. Doch eines dürfte nach 180 Jahren klar sein: Klosterfrau ist und bleibt flexibel.
Archivbeitrag vom 10. März 2011