Neue Festbeträge: Sondergrößen in Gefahr Patrick Hollstein, 30.08.2021 09:17 Uhr
Zum 1. November müssen sich die Apotheken auf Lagerwertverluste einstellen. Der GKV-Spitzenverbände hat neue Festbeträge für Aprepitant, Atomoxetin, Imatinib und Bupropion festgesetzt, die teils zu gravierenden Preissenkungen führen. Alternativ drohen den Patient:innen erhebliche Aufzahlungen. Kritisch wird es für einige Dosierungen, Packungsgrößen und Darreichungsformen.
Aprepitant
Aprepitant wird zur Prävention von Übelkeit und Erbrechen bei hoch und moderat emetogener Chemotherapie bei Erwachsenen und Jugendlichen ab 12 Jahren eingesetzt. Das Original Emend (MSD) ist seit 2003 auf dem Markt, seit 2019 gibt es Generika.
Die empfohlene Dosierung beträgt einmal täglich 125 mg eine Stunde vor Beginn der Chemotherapie an Tag 1 und je 80 mg morgens an den Tagen 2 und 3. Neben den Standarddosierungen à 80 und 125 mg sind daher Kombipackungen auf dem Markt, die eine Hartkapsel à 125 mg sowie zwei Hartkapseln à 80 mg enthalten und damit das empfohlene Therapieschema abdeckt.
Genau an diesen Packungen orientieren sich die neuen Festbeträge. Während hier mit Hexal, Ratiopharm und Heumann drei Hersteller ihre Preise um ein Drittel bis ein Viertel absenken müssen, liegen Betapharm, Aliud, TAD, Stada und Zentiva bereits auf oder sogar unter dem neuen Preisniveau. Bei den Standarddosierungen 80 und 125 mg kommt es bei allen Herstellern zu größeren Preisabschlägen von 20 bis 30 Prozent. Der Originator müsste sogar um die Hälfte reduzieren.
Allerdings ist zu berücksichtigen, dass ausnahmslos alle Generikaanbieter Rabattverträge geschlossen haben und damit ohnehin nicht zum Listenpreis verkaufen. Nur die Apotheken müssen darauf achten, dass sie zum Stichtag keine Packungen mehr an Lager haben beziehungsweise der Hersteller den Lagerwertverlust übernimmt.
Aprepitant hemmt die Stimulation des NK₁-Rezeptors durch den physiologischen Liganden Substanz P im Brechzentrum des Hirnstamms. Der Wirkstoff wird als Teil einer Kombinationstherapie mit einem 5-HT3-Antagonisten und einem Glucocorticoid eingesetzt, üblicherweise im Rahmen einer Cisplatin-Chemotherapie.
Atomoxetin
Atomoxetin gehört neben Methylphenidat und Lisdexamfetamin zu den wichtigsten ADHS-Medikamenten. Der neue Festbetrag trifft vor allem das Original von Lilly (Strattera) sowie das Konkurrenzprodukt von Medice (Agakalin), das als einziges Präparat nicht als Kapsel, sondern als Filmtablette daher kommt. Beide Hersteller müssten ihre Preise um gut die Hälfte absenken, damit es nicht zu Aufzahlungen für die Patient:innen kommt.
Doch auch bei den zahlreichen Generika müssen Praxen und Apotheken zum Stichtag genau hinsehen. Denn je nach Wirkstoffmenge und Packungsgröße drohen auch hier erhebliche Preisanpassungen oder Aufzahlungen. So gibt es in der Dosierung à 10 mg überhaupt kein Präparat, das ohne Preisanpassung im einstelligen Bereich auskommt. Bei der Variante mit 18 mg wären zumindest die kleinen Packungen à 7 Kapseln zum Teil nicht betroffen.
Bei den Dosierungen à 25, 40 und 60 mg sieht die Lage durchweg entspannter aus; hier gibt es auch bei den Packungsgrößen à 28 und 56 Stück eine breite Auswahl an Generika auf dem Niveau des künftigen Festbetrags. Bei den Varianten mit 80 beziehungsweise 100 mg dagegen sind durchweg Preisanpassungen im zweistelligen Bereich zu erwarten.
Betroffen ist außerdem Betapharm als einziger Anbieter mit einer 56er-Packung; auch hier müsste der Preis um knapp 20 Prozent gesenkt werden. Der neue Festbetrag gilt aber nur für die festen oralen Darreichungsformen, also nicht für Strattera als Lösung zum Einnehmen.
Atomoxetin gehört nicht zur Gruppe der Psychostimulanzien und ist kein Amphetaminderivat, sondern ein hochselektiver Hemmstoff des präsynaptischen Noradrenalin-Transporters ohne eine direkte Wirkung auf Serotonin- oder Dopamin-Transporter.
Die Therapie darf nur von einem Arzt eingeleitet werden, der über ein entsprechendes Fachwissen in der Behandlung von ADHS verfügt, zum Beispiel Kinderarzt oder Psychiater. Außerdem soll das Medikament Teil eines umfassenden Behandlungsprogramms sein, das auch nicht-medikamentöse Maßnahmen wie Beratungen und Verhaltenstherapie erfordert.
Imatinib
Beim Krebsmittel Imatinib hatten sich die Autoren des Arzneiverordnungsreports (AVR) im vergangenen Jahr ausdrücklich für einen Festbetrag starkgemacht. Obwohl es seit 2017 Generika zum Original Glivec (Novartis) gebe, fehle immer noch eine Erstattungsgrenze, so die Kritik.
Die Preise liegt hier weit auseinander, allerdings gibt es auch hier vielfach Rabattverträge, weswegen die Listenpreise – außer für die Apotheken – keine größere Bedeutung haben. Für Firmen wie Hexal, Ratiopharm, TAD oder Mylan, die keinen Rabattvertrag haben, bedeutet der neue Festbetrag teilweise Kürzungen von mehr als 90 Prozent. Andere Firmen wie Cipla, Betapharm, Basics oder Riemser liegen dagegen schon jetzt deutlich unter der künftigen Preisgrenze.
Direkt zu spüren sein wird der Festbetrag bei der Dosierung à 200 mg, die nur von Aqvida, Onkovis, Axios und Riemser angeboten wird und deutlich über Festbetrag liegt. Dasselbe gilt für die Variante à 600 mg, die exklusiv von Stada kommt und deren Preis um 90 Prozent sinken müsste. Noch hat der Konzern nicht entschieden, wie er damit umgehen will. Nur dass Aliud den Preis für die Standardprodukte senken wird, steht laut einem Sprecher bereits fest.
Imatinib ist ein Inhibitor der Tyrosinkinase BCR-ABL und wird zur Behandlung der chronisch myeloischen Leukämie (CML), von gastrointestinalen Stromatumoren (GIST) und anderen malignen Erkrankungen eingesetzt. Der Wirkstoff blockiert die Bindungsstelle für ATP, gesunde Zellen sind von der Wirkung nur wenig betroffen, da sie anders als Krebszellen nicht nur von BCR-ABL zur Signalübertragung abhängig sind. Imatinib hat eine Halbwertszeit von 18 bis 22 Stunden.
Bupropion
Beim Antidepressivum Bupropion haben nach dem Ausfall von Neuraxpharm vor einigen Jahren die großen Generikahersteller reagiert und eigene Produkte auf den Markt gebracht. Fast durchweg liegen die Preise bereits unter dem neuen Festbetrag, selbst beim Original Elontril (GSK) beträgt der Abstand nur 13 Prozent. Lediglich bei Hexal und Neuraxpharm müssen die Apotheken sich auf Kürzungen einstellen.
Bupropion wird zur Behandlung von Episoden einer Major Depression eingesetzt. Die Tabletten mit veränderter Wirkstofffreisetzung können unabhängig von den Mahlzeiten eingenommen werden und müssen im Ganzen geschluckt werden. Die empfohlene Anfangsdosierung beträgt 150 mg einmal täglich. Der Wirkungseintritt kann auf 14 Tage nach Behandlungsbeginn datiert werden. Die volle Wirksamkeit des Arzneimittels kann sich möglicherweise erst nach mehreren Wochen der Therapie zeigen. Tritt nach vierwöchiger Behandlung keine Besserung auf, kann die Dosis auf 300 mg einmal täglich gesteigert werden.
Der Arzneistoff hemmt selektiv die neuronale Wiederaufnahme von Noradrenalin und Dopamin. Wie genau die antidepressive Wirkung zustande kommt, ist bislang nicht bekannt. Bupropion ist ein Amphetaminderivat und dadurch ein Psychostimulans.