Bei der Vergabe des Preises „Medikament des Jahres“ werden nach Recherchen des Verbrauchermagazins „Markt“ dubiose Praktiken angewandt. Kritisch äußern sich neben Professor Dr. Gerd Glaeske auch die Wettbewerbszentrale und die ABDA. Der Beitrag wird am Montag um 20.15 Uhr im NDR Fernsehen ausgestrahlt.
Die Auszeichnung wird vom Bundesverband Deutscher Apotheker (BVDA) vergeben und ist nach Auffassung der Wettbewerbszentrale wettbewerbswidrig. „Der Verbraucher enthält keine Informationen darüber, wie dieses Siegel zustande gekommen ist. Für ihn ist nicht zu erkennen, was geprüft wurde“, erklärt Rechtsanwältin Christiane Köber gegenüber dem NDR.
Die Wettbewerbszentrale kritisiert, dass bei den Verbrauchern der Eindruck erweckt werde, der Apothekerverband habe das wirkungsvollste Mittel ausgezeichnet. Tatsächlich werden Wirksamkeit und Zusammensetzung der prämierten Produkte im Zusammenhang mit der Preisverleihung jedoch nicht noch einmal geprüft. Grundlage ist hier nach Angaben des BVDA eine Umfrage unter Apothekern, bei der abgefragt wird, wie häufig sie ein bestimmtes Medikament im kommenden Jahr empfehlen werden.
In dem Beitrag kommt auch Glaeske zu Wort: Nach seiner Ansicht sind unter den Preisträgern viele Produkte, deren Wirksamkeit und Zusammensetzung nicht ausreichend belegt sei: „Wir haben hier Produkte dabei, die erhebliche Kritik auf sich gezogen haben in der letzten Zeit. Sie sind vielleicht ökonomisch interessant, fallen aber in der Selbstmedikation für mich durch. Insofern ist das aus meiner Sicht alles wenig geeignet, um eine Kompetenz der Apotheker darzustellen.“
Die Wettbewerbszentrale sieht in der Verwendung des Siegels in der Werbung zudem einen Verstoß gegen das Heilmittelwerbegesetz (HWG). Dieses untersagt es, mit der Empfehlung von Apothekern für Arzneimittel zu werben. Mit dieser Begründung urteilte auch das Oberlandesgericht Frankfurt (OLG), dass Procter & Gamble sein Präparat Wick MediNait nicht länger als „Erkältungsmittel des Jahres 2014“ bewerben darf. Geklagt hatte der Pharma-Selbstkontrollverein Integritas.
„Markt“ klärt auch darüber auf, dass der BVDA trotz seines Namens nicht die Spitzenorganisation der Apothekerschaft in Deutschland ist. Für die ABDA sei die Preisverleihung zum „Medikament des Jahres“ daher ein Ärgernis: „Die ABDA distanziert sich von derartigen Maßnahmen und würde sie selbst auch nicht durchführen.“ Der BVDA war zu keiner Stellungnahme gegenüber dem NDR bereit.
Jedes Jahr prämiert der BVDA in zahlreichen Kategorien die „Medikamente des Jahres“, in diesem Jahr zum 16. Mal. Auf einem 32-seitigen Fragebogen mussten die Teilnehmer ankreuzen, welche Produkte sie im jeweils kommenden Jahr „besonders häufig empfehlen werden“. Insgesamt 2500 „marktrelevante“ Präparate werden in verschiedenen Gruppen nach Alphabet gelistet; die Bewertung soll anhand von Eignung, Wirkung und Risiken vorgenommen werden.
315 Fragebögen konnten in diesem Jahr ausgewertet werden; mit der rekordverdächtigen Rücklaufquote von 76 Prozent ist die Umfrage laut den Initiatoren repräsentativ. Angeschrieben wurden demnach 412 zufällig ausgewählte Apotheken – das entspreche jeder 50. der insgesamt 20.600 Betriebsstätten in Deutschland.
Den Titel und das goldene Siegel nutzen zahlreiche Pharmahersteller für die Werbung. So schmückte sich „Wick MediNait“ in der Fernsehwerbung mit dem Titel „Erkältungsmedikament des Jahres 2014“, andere freuen sich im Internet über den „Pharma-Oscar“. In diesem Jahr wirbt unter anderem das Schlankheitsmittel „formoline L112“ mit dem Hinweis „Schlankheitsmittel des Jahres 2015“.
Besonders begriffsstutzig war in diesem Jahr übrigens die Stada: OTC-Chef Adil Kachout freute sich noch Ende Februar über die Auszeichnung: „Die Wahl zum Medikament des Jahres steht für die sehr gute Wirksamkeit und Verträglichkeit von Grippostad C, der Nr. 1 im Erkältungsmittelmarkt.“ Die Schwesterfirma Stadavita feierte sich sogar noch nach Bekanntwerden des OLG-Urteils mit Eunova als „Multivitamin des Jahres“.
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