Doppelherz: Aminosäuren vor dem EuGH Patrick Hollstein, 27.01.2017 09:10 Uhr
Lebensmittel dürfen in Deutschland keine Aminosäuren enthalten – es sei denn, der Hersteller kann eine Ausnahmegenehmigung vorweisen. Soweit die Theorie. In der Praxis sind zahlreiche Präparate auf dem Markt, die auch ohne behördliche Zustimmung etwa Histidin, Cystein oder L-Carnitin (Lysin/Methionin) enthalten. Der Doppelherz-Hersteller Queisser wollte es wissen und zog vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH).
Im Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) ist geregelt, dass Aminosäuren nur dann in Lebensmitteln verwendet werden dürfen, wenn sie zuvor ein Genehmigungsverfahren durchlaufen haben. Diese Regelung ist seit Langem umstritten – und de facto gibt es zahlreiche Lebensmittel mit Aminosäuren, die ohne eigene Genehmigung auf dem Markt sind.
Für die Überwachung, also die Einhaltung der Vorschriften, sind die Überwachungsbehörden der Bundesländer zuständig. Diese haben laut Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) auch unter Verweis auf die Rechtslage in der Regel derartige Produkte beanstandet. „Sie konnten aber in vielen Fällen vor Gericht kein Verbot bewirken“, räumt ein BVL-Sprecher ein. In vielen Fällen stellten Aminosäuren auch kein Risiko dar.
Queisser hatte für sein Produkt „Doppelherz aktiv Eisen + C + Histin + Folsäure“ im März 2006 eine Ausnahmegenehmigung beantragt, diese aber nicht erhalten. Nicht die Aminosäure war für die Prüfer ein Problem, sondern der hohe Gehalt an Eisen von 10 mg pro Tag. Zwar hob das BVL im Februar 2015 seinen Bescheid vom November 2012 auf und erteilte eine auf drei Jahre befristete Erlaubnis. Doch der Hersteller hatte bereits Verwaltungsgericht Braunschweig Klage eingereicht um feststellen zu lassen, dass die Ausnahmegenehmigung insgesamt hinfällig sei.
Das Gericht legte den Fall beim EuGH vor, die Richter in Luxemburg entschieden jetzt, dass die Mitgliedstaaten einen Stoff verbieten dürfen, wenn vorher im Rahmen einer Risikobewertung festgestellt wurde, dass dieser risikobehaftet ist und deshalb nicht ohne Kontrolle in Lebensmitteln verwendet werden sollte. Dabei müssten laut EU-Verordnung die Gefahren identifiziert und beschrieben, die Exposition abgeschätzt und die Risiken beschrieben werden.
Wenn der wissenschaftliche Nachweis wegen unzureichender, unschlüssiger oder ungenauer Datenlage nicht möglich ist, die Wahrscheinlichkeit eines tatsächlichen Schadens für die Gesundheit jedoch fortbesteht, rechtfertigt laut EuGH das Vorsorgeprinzip den Erlass beschränkender Maßnahmen, sofern sie objektiv und nicht diskriminierend sind. Alleine auf hypothetische Erwägungen darf eine Risikobewertung aber nicht gestützt werden.
Ganze Stoffgruppen ohne vorherige Risikobewertung auszuschließen, hält der EuGH nicht für verhältnismäßig. Genauso wenig zulässig ist ein befristetes Zulassungsverfahren, wenn die Unbedenklichkeit eines Stoffes nachgewiesen ist. Im Grundsatz steht es den Mitgliedstaaten aber frei, innerhalb dieser Grenzen befristete Genehmigungen zu erteilen, sofern bestimmte Bedingungen eingehalten werden. Auf Basis der EuGH-Vorabentscheidung muss nun das VG anhand des Queisser-Produkts eine Entscheidung über den Umgang mit Aminosäuren treffen.
Bei Queisser ist man mit der Entscheidung zufrieden. Selbstverständlich müssten alle Lebens- und damit auch Nahrungsergänzungsmittel sicher sein; dies sei ein wichtiger Grundsatz des Handels von Queisser, so Ebba Loeck, Leiterin Forschung & Entwicklung. Dieser Anspruch rechtfertige aber nicht das Verbot unbedenklicher Zutaten. „Wir begrüßen, dass der EuGH klarstellt, dass auch nationale Verbote eine wissenschaftsbasierte Rechtfertigung erfüllen müssen. Statt Pauschalverbote muss die deutsche Behörde eine Risikoanalyse durchführen, aus der hervorgeht von welchen Stoffen eine Gefahr ausgeht und welchen nicht.“
In der EU sollten für alle Anbieter die gleichen Rahmenbedingungen gelten, so Loeck. „Einseitige Belastungen der deutschen Wirtschaft sind nicht akzeptabel. Nationale Verbote, die inländische Unternehmen diskriminieren und ausländische Unternehmen im Wettbewerb zu Gute kommen, müssen gemäß der Rechtsprechung des EuGH somit höchsten wissenschaftlichen Ansprüchen genügen.“
Loeck verweist auch auf die Dauer von sechs Jahren, die das BVL bis zu einer Entscheidung über den Antrag auf Ausnahmegenehmigung gebraucht habe. Die Forderung, dass auch solche nationalen Verfahren innerhalb eines angemessenen Zeitraumes abgeschlossenen werden müssen, sei sicher verständlich.