Weil ein Konkurrent ihn in seinem kleinen Dorf vom Markt verdrängte, fand Sven Pritzkoleit zu seiner wahren Bestimmung. Heute schickt sich der Apotheker an, mit außergewöhnlichen Parfüms von Sachsen-Anhalt aus die Welt zu erobern.
Schon in seiner ländlich geprägten Kindheit spielten Gerüche eine große Rolle. Pritzkoleit kam in Barby bei Magdeburg auf die Welt. Im Gedächtnis setzten sich vor allem Aromen in der Küche seiner aus dem Sudetenland stammenden Großmutter fest. „Ich erinnere mich an den Duft von Gewürzen und von Mohn, Mangold, Himbeermelisse und von Griesflammerie.“ Auch die von seinen Eltern geführte Apotheke steckte voller faszinierender Aromen. In der Teekammer lagerten Kamille, Fenchel, Schafgarbe oder Pfefferminze, in der Offizin hing der Geruch von Rheumaeinreibungen, Steinkohlenteer und Guajako in der Luft.
Eine ausgeprägte Parfümkultur habe es in seiner Jugend nicht gegeben, sagt Pritzkoleit. Einmal habe seine Mutter im Intershop einen teuren französischen Duft erstanden. „Doch schon aus ökonomischen Gründen stand die Desodorierung in der DDR nicht im Vordergrund. Tatsächlich roch es in überfüllten Bussen und Bahnen und überall, wo sich Menschen näher kamen, eben nach Mensch.“ Beim Wehrdienst in der Nationalen Volksarmee fiel ihm 1988 in der Kasernenbibilothek durch Zufall Patrick Süskinds „Das Parfum“ in die Hände. „Die Krimihandlung war packend, aber ich war vor allem vom olfaktorischen Anteil begeistert, der bis ins Detail durch erzählt war.“ Parallel zum Pharmaziestudium begann sich Pritzkoleit mit der Welt der Düfte zu beschäftigen. Seine erste Auslandsreise nach der Wende führte ihn 1991 ins schon von Süskind beschriebene französische Parfum-Mekka Grasse.
Nach der Approbation stieg er als angestellter Apotheker in der Albert-Schweitzer-Apotheke seiner Eltern ein. Seine Freizeit widmete er den Rohstoffen und ätherischen Ölen, später beschäftigte er sich auch mit synthetischen Stoffen. „Ich baute Düfte nach, um mich zu vergewissern, dass ich es kann.“ Als er sich seines Handwerks sicher war, entwickelte er eigenes. Als Experimentierstätte diente ihm das Apothekenlabor. 200 Formeln entstanden so innerhalb von drei Jahren. „Pink Patchouli“, das erste „fertige“ Parfum von 2006, gehört noch heute zur „Essential Collection“.
Derweil verschärften sich die Bedingungen in seinem Hauptberuf. „Es war vorgesehen, dass ich die Apotheke einmal übernehme. Da eröffnete 2005 in unserem Ort mit gerade mal 4000 Einwohnern eine Filialapotheke“, erinnert sich Pritzkoleit. „Der wirtschaftliche Druck wurde stärker, gleichzeitig hatte ich das Gefühl, dass nicht mehr so gewünscht wurde, was ich tat. An neuen Düften konnte ich in dieser Zeit gar nicht forschen.“ Im Juni 2011 nahm das Finanzamt eine Betriebsprüfung vor. „Wir gerieten schuldlos in einen Strudel von Willkür und Nötigung“, sagt Pritzkoleit dazu. Ins Detail will er nicht gehen. „Ich wurde ernsthaft krank und konnte nicht mehr arbeiten.“ Die Familie entschied gemeinsam, die Apotheke zum 30. Juni 2012 dicht zu machen. „Heute bin ich Verfechter einer Niederlassungsbeschränkung. Wem nutzt so ein Konkurrenzkampf? Den Kunden nicht und auch den Apotheken nicht. Wir hatten damals keine Chance.“
Die Schließung sei zunächst einer Erlösung gleich gekommen. „18 Jahre arbeitete ich insgesamt als Apotheker, die letzten Jahre haben mir nicht mehr gut getan. Wenn man sich nur noch in der Pflicht fühlt und Albträume hat, dann soll man es lassen.“ Doch dann geriet Pritzkoleit in eine tiefe Sinnkrise. „Im Frühjahr 2014 beschloss ich, nicht mehr leiden zu wollen“, sagt er. „Ich begann wieder im Parfümlabor zu arbeiten und nahm meine Formeln unter die Lupe. An Freunde und Familie hatte ich schon immer eigene Düfte verschenkt, vielleicht mögen andere Menschen die ja auch, dachte ich mir.“ Pritzkoleit erkundete den Markt, besuchte wichtige Fachmessen und tauschte sich mit erfahrenen Kollegen aus. Sie ermutigten ihn, seinen Weg weiter zu verfolgen. Im Jahr 2015 standen die ersten zehn Düfte der eigenen Kollektion fest.
Im Jahr darauf ging es Schlag auf Schlag. Pritzkoleit gründete seine Firma SP Perfums und gab quasi als Visitenkarte im Eigenverlag sein Buch „Duftspuren“ ab. Im „(Ver-)führer für kreative Nasen und Parfümbegeisterte“ erzählt er von seiner persönlichen (Lebens-)Reise zur Welt der Düfte und gab den Interessierten tiefe Einblicke in den Entstehungsprozess und Kulturgeschichte von Parfüms. Parallel dazu baute er seine neue Selbstständigkeit zielstrebig aus: „Im Vorfeld der Buchveröffentlichung schickte ich die ersten Muster an Fachleute“, berichtet Pritzkoleit. Die Fachwelt horchte schon im Mai 2016 auf. Damals schrieb die Kritiker-Koryphäe Luca Turin die erste hymnische Rezension zu „Violet Moss“. Ein Jahr später schaffte es „Liquorice Vetiver“ bei den „Art and Olfaction Awards“ in einer starken Riege von 500 Einsendungen in die Finalrunde.
Der in Los Angeles vergebene Branchen-Oscar für unabhängige Parfümeure wirkte wie ein Türöffner für den nordamerikanischen Markt. „Hier gibt es einen großen Markt für Nischen, das Interesse an außergewöhnlichen Düften ist groß“, berichtet Pritzkoleit. Für die kanadische Firma Zoologist kreierte er Hyrax, nach dem auf deutsch „Schliefer“ genannten murmeltierähnlichen Säugetier. Im Juni wird das Parfum auf dem Markt kommen. Gemeinsam mit dem Portugiesen Miguel Matos entwickelte Pritzkoleit gleich drei Produkte.
Noch macht der zum Parfümeur gewordene Pharmazeut alles in Eigenregie. „Jedes einzelne Parfum wird von mir selbst gemacht und auch abgefüllt, das bleibt natürlich im zählbaren Bereich.“ Die Etikettierung soll an die Teeverpackungen alter Apotheken erinnern. Das bleibe aber die einzige Reminiszenz an vergangene Zeiten: „Mein Berufsleben ist viel abwechslungsreicher als in meiner Zeit als Apotheker,“ bekundet er. „Jeder Tag ist anders. Heute filtriere ich, morgen kümmere ich mich um die Steuererklärung.“
Allerdings fordert der Einmannbetrieb seinen Tribut. „Ich bin heute so im Fluss, dass ich theoretisch zehn Düfte im Jahr entwickeln könnte“, sagt er. „Aber dafür muss der Kopf frei sein. Ich müsste mich komplett vom Alltagsleben lösen, um zwei, drei Wochen nur kreativ sein zu können.“ Zumal etwa 20 bis 30 Abmischungen nötig seien, um die ideale Mischung zu finden. Noch könne ihn seine Firma nicht ernähren. „Aber ich habe Hoffnung, der Trend ist positiv.“ Dafür habe es in den letzten drei Jahren viele außergewöhnliche Begegnungen gegeben, bekundet Pritzkoleit. „Ich glaube, dass ich den Menschen etwas geben kann. Wenn sie sagen, ‚So etwas habe ich noch nie gerochen‘, dann ist das einfach pures Glück.“
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