Nach OTC-Switch: Versandverbot für Sildenafil? Alexander Müller, 25.01.2022 10:43 Uhr
Potenzmittel mit Sildenafil könnten bald rezeptfrei verfügbar sein. Damit eine angemessene Beratung zu Viagra & Co. stattfindet, fordert der Vorsitzende des Apothekerverbands Nordrhein (AVNR), Thomas Preis, ein generelles Versandverbot für alle selektiven PDE-5-Inhibitoren. Als Vorbild könnte der OTC-Switch der „Pille danach“ dienen, die ebenfalls nicht mit der Post verschickt werden darf.
Der zuständige Sachverständigenausschuss beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) berät heute über die Entlassung von Sildenafil aus der Verschreibungspflicht. Mit einem Ergebnis wird am späten Nachmittag gerechnet. Über eine Empfehlung für eine Freigabe hätte dann noch das Bundesgesundheitsministerium (BMG) zu entscheiden, das die Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) entsprechend ändern müsste.
Preis sieht aus medizinischer und pharmazeutischer Sicht keine entscheidenden Einwände gegen die Freigabe von Sildenafil. „Das Präparat ist schon fast ein Vierteljahrhundert auf dem Markt“, so der Verbandschef. „Bisher sind nur geringe Nebenwirkungen und nur wenige, zwar nicht unbedeutende, Interaktionen bekannt, die aber durch ein fundiertes Beratungsgespräch vermeidbar sind.“
In anderen europäischen Ländern, darunter Großbritannien, Polen, Schweden und Norwegen, können Viagra & Co. schon seit einigen Jahren ohne Rezept bezogen werden. Teilweise ist vorgeschrieben, dass die Apotheker:innen speziell geschult wurden, sodass eine ausführliche Beratung durch das pharmazeutische Personal möglich ist. In Polen müssen Männer, die das Potenzmittel kaufen wollen, außerdem einen Fragebogen ausfüllen. Denkbar ist, dass auch hierzulande Vorgaben für den Verkauf in der Selbstmedikation gemacht werden.
Preis rechnet mit einem OTC-Switch für Sildenafil, denn mit der richtigen Beratung eigne sich Sildenafil im Grunde gut für die Selbstmedikation. „Gleichzeitig besteht die Chance, den überaus großen Schwarzmarkt von Potenzmitteln im Internet im Sinne aktiven Verbraucherschutzes zu unterbinden.“ Preis beruft sich auf Untersuchungen, wonach mindestens die Hälfte der im Internet ohne Rezept erhältlichen Pillen gefälscht seien. „Ich rate deshalb auch dringend dazu, ähnlich wie bei der ‚Pille danach‘, Sildenafil-Präparate vom Versandhandel auszuschließen.“
Neben der klaren Abgrenzung zur großen Zahl von Fälschungen im Internet würden laut Preis auch medizinische und pharmazeutische Gründe dafür sprechen, die Präparate vom Versandhandel auszuschließen. So habe sich nach der Freigabe in der Schweiz eine verstärkte Nachfrage nach Sildenafil-Produkten bei jüngeren Männern gezeigt, bei denen eine erektile Dysfunktion gar nicht vorlag. „Dieser Fehlgebrauch würde durch einen anonymen Versandhandelsbezug eher verstärkt. Zusätzlich bestünde weiterhin die Gefahr, dass Kunden über den Versandweg gefälschte Sildenafil-Präparate von dubiosen Anbietern im Internet beziehen könnten“, so Preis. Eine Missbrauch in dieser Altersgruppe könne zumindest nicht ausgeschlossen werden.
Der Gesetzgeber sei daher „gut beraten“ ein Versandverbot umzusetzen. Damit ließe sich auch präventiv verhindern, dass die Anwendung von Sildenafil bei älteren Männern mit möglichen Vorerkrankungen ohne fachliche Beratung schwerwiegende gesundheitliche Auswirkungen aufgrund unterschätzter Nebenwirkungen zur Folge haben könnte. „Nur im persönlichen Gespräch in der Apotheke kann in solchen Fällen vor dem Kauf des Medikamentes zu einem Arztbesuch geraten werden.“ Die guten Erfahrungen mit der persönlichen Beratung in Apotheken bei der Abgabe der „Pille danach“ belegten, dass der Gesetzgeber mit dem Versandverbot genau die richtige Entscheidung getroffen habe. „Dies sollte auch beispielgebend für ein konsequentes Versandverbot von Sildenafil nach Aufhebung der Rezeptpflicht sein.“
Auch Frank Sommer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Mann und Gesundheit, sieht das größte Pro einer Freigabe, dass dem Schwarzmarkt im Internet der Boden entzogen würde – ohne sich für ein generelles Versandverbot auszusprechen. Ein Nachteil wäre nach seiner Einschätzung, dass die betroffenen Männer nicht mehr ärztlich untersucht würden. „Eine Erektionsstörung ist, wenn sie gefäßbedingt ist, Vorbote eines Herzinfarkts oder Schlaganfalls“, sagte Sommer. „Wir erkennen das bei der Untersuchung der Blutgefäße ungefähr acht Jahre vorher. Und da hat man dann eben noch Zeit, entsprechend gegenzusteuern. Kommt es aber erst gar nicht zum Arztbesuch, fällt das weg.“