Der Streit um den Verkauf von OTC-Arzneimitteln über Amazon geht jetzt in die nächste Runde: Im Auftrag des Münchener Apothekers Hermann Vogel jr. will die Kanzlei Smith, Gambrell und Russell einen Musterprozess gegen die Linden-Apotheke in Gräfenhainichen von Inhaber Michael Spiegel führen. Zur Apotheke gehören mehrere Webshops, die über verschiedene Domains zu erreichen sind. Alle anderen abgemahnten Apotheken erhalten das Angebot, gegen den Verzicht auf Einrede der Verjährung zunächst von rechtlichen Konsequenzen abzusehen.
Aus taktischen Gründen habe man sich gegen eine Klage gegen die Bienen-Apotheken entschieden, so Rechtsanwalt Markus Bahmann. Im Musterprozess sollen die datenschutzrechtlichen Fragen geklärt werden. Eingereicht wird die Klage laut Bahmann Anfang kommender Woche.
Bei „Prime Now“ bekommen Amazon-Kunden, die Prime-Mitglied sind, die bestellte Ware innerhalb einer Stunde geliefert. Alternativ wird die Ware zu einem späteren Zeitpunkt in einem wählbaren 2-Stunden-Fenster zugestellt. Zum Start sind neben den Bienen-Apotheken auch die Lebensmittelhändler Basic und Kochhaus dabei; diese sind seit einigen Wochen auch in Berlin als Partner an Bord.
Vor über einer Woche waren bei 41 Versandapotheken, die ihre Produkte über Amazon anbieten, Abmahnungen wegen Verstoßes gegen den Datenschutz eingegangen. Die Frist zur Abgabe einer Unterlassungserklärung lief letzten Freitag ab. Mindestens zehn Apotheken, die die Plattform nutzen, haben die geforderte Unterlassungserklärung verweigert und den Vorwurf des Verstoßes gegen Datenschutzbestimmungen zurückgewiesen. Andere Apotheken haben gar nicht auf die Abmahnung reagiert oder eine spätere Erklärung angekündigt, die nicht erfolgt ist. Bekannt ist bislang, das zwei Apotheken ihre Internetseiten vom Netz genommen haben.
Ins Rollen gebracht hat die Aktion der Inhaber der Winthir-Apotheke in der Nymphenburger Straße in München. Wie die Kanzlei betont, geht es nicht um ein „Abmahngeschäft“, sondern um die rechtliche Klärung des Sachverhaltes. Dafür sei ein Musterprozess der sinnvolle Weg.
Mindestens zehn der abgemahnten Apotheken sahen bei sich keinen Verstoß gegen Datenschutzbestimmungen. Der Datenschutz sei keine marktrelevante Vorschrift und könne daher nicht nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) abgemahnt werden, wiesen diese Apotheken die Abmahnung zurück. Außerdem ziehe der Verweis auf die EU-Datenschutz-Grundverordnung nicht, da diese erst zu einem späteren Zeitpunkt in Kraft trete. Aus dem Kaufvorgang alleine ließen sich außerdem kaum Rückschlüsse auf einen bestimmten Gesundheitszustand des Käufers schließen, da auch für Freunde und Verwandte über denselben Amazon-Account bestellt werden könne. Des Weiteren bestreiten die Apotheker die in der Abmahnung vorgebrachte Dringlichkeit, weil sich Vogel jr. erklärtermaßen schon längere Zeit über den Verkauf apothekenpflichtiger Produkte via Amazon ärgere.
Eine Versandapotheke hatte ihren Webshop mit dem Hinwesi vom Netz genommen: „Unsere Internetseite wird aktuell neu gestaltet. Für aktuelle Informationen, mehr Kundenservice und attraktive Angebote. Wir bitten um Ihr Verständnis und etwas Geduld. Besuchen Sie uns bald wieder.“ Die Seite ist immer noch offline.
Dass seit Mai Kunden in München den Expressdienst „Prime Now“ auch für Apothekenprodukte nutzen können, brachte für Vogel jr. das Fass zum Überlaufen. Der Apotheker und seine Anwälte sind der Ansicht, dass der Vertrieb über Amazon gegen den Datenschutz verstößt. Nach Angaben von Branchenkennern läuft inzwischen 40 Prozent des OTC-Geschäfts der Versandapotheken über Amazon. „Von dort kommt jede zweite Bestellung“, berichtet ein Versandhändler. Dann wäre dieser Kanal verstopft.
Es sei verboten, Apotheken von Nicht-Apothekern zu betreiben, hieß es in der Begründung der Abmahnung. Insbesondere Gesundheitsdaten gehörten zu den besonders schützenswerten Informationen, deren Erhebung deshalb besonders strengen Vorschriften unterliege. Die abgemahnten Versandapotheken seien bei Amazon registriert und böten dort Medikamente an. Darunter befänden sich auch apothekenpflichtige Arzneimittel wie Aspirin, Grippostad und Canesten.
Amazon sei bekanntlich in Luxemburg ansässig. Und in der eigenen Datenschutzerklärung führe Amazon aus, „dass und welche Daten erhoben werden“ und dass Amazon Daten auch weitergebe. Beim Kauf von Arzneimitteln gehörten dazu auch Namen und Adresse des Bestellers und der Name des Medikaments: „Aus dem Namen des Medikaments lassen sich ganz unschwer Rückschlüsse auf die Beschwerden des Bestellers ziehen“, heißt es in der Abmahnung.
Dies widerspreche in zweifacher Weise den datenschutzrechtlichen Bestimmungen: Es komme zu einer Datenerfassung durch ein Unternehmen, das keinen beruflichen Geheimhaltungspflichten unterliege. Es fehle zudem an der notwendigen vorherigen Zustimmung der Patienten zur Datenweitergabe.
„Damit handeln Sie als Apotheker, der sich dieses besonderen Vertriebskanals ‚Amazon‘ bedient, rechtswidrig.“ Es liege ein klarer Rechtsverstoß vor. „Informationen über Arzneimittelkäufe und damit über Krankheiten von Patienten sind wohl völlig unstrittig besonders geschützte personenbezogenen Daten.“
Den abgemahnten Amazon-Apotheken wirft die Kanzlei Vorsatz vor: Denn in der eigenen Datenschutzerklärung weise die Versandapotheke darauf hin, dass sie verpflichtet sei, vor einer Datenverarbeitung eine Einverständniserklärung einzuholen. Dies „zeigt deutlich, dass hier durch Sie sogar vorsätzlich gehandelt wird.“ Daher stehe Vogel jr. ein Unterlassungsanspruch zu.
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