Ein Drogeriemarkt nebenan ist für Apotheken keine schlechte Nachbarschaft, weil er Frequenz bringt. Der Vorteil schwindet allerdings, wenn die Regale prall gefüllt sind mit hochwertiger Kosmetik oder Nahrungsergänzungsmitteln, die der Kunde vor allem aus der Apotheke kennt. Die Bahnhof-Apotheke in Fulda hat mit Müller jetzt so einen Nachbarn.
Die Bahnhof-Apotheke in Fulda ist schon lange umzingelt von Drogeriemärkten. Auf der anderen Straßenseite ist ein Rossmann, eine weitere Filiale der Kette befindet sich im nahe gelegenen Bahnhofsgebäude, hinter der Kreuzung zur Heinrichstraße residiert dm.
Müller hatte seine Filialen bislang in der Friedrichstraße in der Innenstadt sowie etwas außerhalb in den Kaiserwiesen. Doch jetzt wurde in der Bahnhofstraße eine Baulücke geschlossen und eine riesige Müllerfiliale ist eingezogen. Der Laden erstreckt sich über zwei Etagen – und hat ein entsprechend breites Sortiment.
Da Müller in Fulda traditionell viel vermeintlich apothekenexklusive Ware führt, war Apothekerin Sarah Fahr-Becker neugierig. Sie stattete dem neuen Nachbarn einen Besuch ab und ihre Erwartung wurde nicht enttäuscht: Körperpflegeprodukte von Eucerin (Beiersdorf), La Roche-Posay (L'Oréal) und Avène (Pierre Fabre), Nahrungsergänzungsmittel wie Kijimea (Synformulas) und eigentlich apothekenexklusive Produkte wie Isla (Engelhard), Thermacare (Pfizer), ABC Wärmepflaster (Beiersdorf), Femibion (Merck) oder Hylo Gel (Ursapharm).
Die Produkte finden sich mittlerweile in vielen Drogerien. Der Vertrieb ist auch keineswegs verboten, nur von den Herstellern offiziell nicht erwünscht. Sie sehen ihre Produkte lieber im beratungsintensiven Umfeld der Apotheke. Unternehmen lässt sich wenig bis nichts gegen den Verkauf im Mass Market. Zwar versuchen die Hersteller mit Selektiv- und Vertriebsbindungsverträgen dagegen zu halten, doch die Ware findet ihren Weg fast immer in den Drogeriemarkt.
Apothekerin Fahr-Becker hat trotzdem die Hersteller angeschrieben und über die neue Konkurrenz vor Ort sowie deren breites Sortiment informiert. Einige Antworten hat sie bekommen. So vermutet man bei Synformulas den Großhandel hinter den Graumarktströmen: „Wir verkaufen unsere Produkte lediglich an Apotheken und an den pharmazeutischen Großhandel und nicht an den Einzelhandel. Der Weiterverkauf der Ware durch den Großhandel liegt leider nicht mehr in unserem Einflussbereich.“
Auch Engelhard Arzneimittel beteuert, nur an Apotheken und Großhändler zu liefern, grundsätzlich nicht an den Lebensmittelhandel oder Drogeriemärkte. Der Hersteller aus Niederdorfelden weist aber auf die Schwierigkeit hin, die Warenströme zu kontrollieren: „Über unsere Chargenrückverfolgung haben wir nur die Möglichkeit, den Warenfluss bis zur ersten Handelsstufe nachzuvollziehen. Was dann mit der Ware passiert, können wir leider weder beeinflussen noch überprüfen.“
Darüber hinaus sieht man auch bei Engelhard „keine rechtlichen Möglichkeiten, die Wanderung nichtapothekenpflichtiger Präparate über den pharmazeutischen Großhandel oder über Apotheken in diese Vertriebskanäle zu unterbinden“. Es sei aber nicht im Interesse des Unternehmens, Produkte außerhalb der Apotheken wiederzufinden. „Vielmehr ist es uns wichtig, unsere Produkte nach wie vor an die Apotheken zu binden.“
Und von Ratiopharm heißt es, dass eigene Vertriebskonzept unterstütze die Apotheker vor Ort und setze auf qualitativ hochwertige Beratung. „Wir sind der festen Überzeugung, dass die Verbraucher auch in Zukunft der Apotheke als Fachgeschäft in allen Gesundheitsfragen vertrauen. Wie die Produkte im geschilderten Fall in den Müller-Markt gelangt sind, ist uns nicht bekannt. Auffälligkeiten beim Absatz an Großhandel oder Apotheken konnten wir nicht feststellen, werden dies aber weiter beobachten“, so die Ankündigung der Ulmer.
Die Kosmetikhersteller kennen die Problematik ebenfalls seit Langem: Der Vertrieb von La Roche-Posay arbeitet nach Firmenangaben ausschließlich mit Apotheken und Ärzten zusammen. „Deshalb ist uns sehr daran gelegen, jegliche Art des illegalen Vertriebs aufzudecken.“ Dem Vorgang in Fulda werde man auf jeden Fall nachgehen.
Pierre Fabre weist darauf hin, dass der Begriff „apothekenexklusiv“ leider nicht geschützt sei – und dass andere Anbieter damit zu kämpfen hätten, dass Produkte im Drogeriemarkt auftauchen, namentlich Eucerin, La Roche-Posay und sogar medizinische Produkte wie Ipalat. „Unternehmen kann man dagegen leider nichts, da die Quellen vielfältig sein können: Apotheken die Ware schieben, der Großhandel oder Versandapotheken“, so der Kosmetikhersteller. Diese Kanäle bekämen aber keinerlei Unterstützung: „keine Proben, keine Schulung, keine Abverkaufsunterstützung“.
Beiersdorf möchte nach Angaben des Bezirksleiters auch nicht, dass die Ware in der Drogerie steht. „Aus diesem Grund gibt es den Selektivvertrag und die Marke Nivea.“ Der Vorfall sei ab die Zentrale weitergeleitet worden, wurde Fahr-Becker mitgeteilt.
Die Apothekerin nimmt die neue Konkurrenz vor Ort gelassen – immerhin bringe ein Drogeriemarkt immer Laufkundschaft. Und vermutlich schließt Ende des Jahres eine konkurrierende Apotheke in direkter Nachbarschaft, weil der Inhaber keinen Nachfolger findet. Da kann der Müller nebenan ruhig ein bisschen Kosmetik verkaufen.
APOTHEKE ADHOC Debatte