Mitgliederakquise

Haustürgeschäfte der Krankenkassen Alexander Müller, 12.04.2016 08:01 Uhr

Berlin - 

Im Wettbewerb um neue Mitglieder sind Krankenkassen offenbar nicht besonders zimperlich. Die Schwenninger Krankenkasse muss sich demnächst wegen ihrer Akquisemethoden vor dem Landgericht Koblenz verantworten. Der Dienstleister Vericon hat für seine Aktivitäten im Auftrag der BKK mobil oil sogar schon ein Urteil des Landgerichts Düsseldorf (LG) kassiert. Die Firma hatte potentielle Neukunden ungefragt angerufen. Die Kündigung bei der alten Kasse sollte der Postbote einholen.

Vericon vermittelt Krankenkassenverträge und ist Partner der BKK mobil oil. Dazu wurden Verbraucher zunächst mit dem Ziel eines Kassenwechsels angerufen. Auf dem Wege des sogenannten Postident-Spezial-Verfahrens wurden den Umworbenen dann Unterlagen zugeschickt. Mit dem Quittieren dieser Sendung unterschrieben die Versicherten die Kündigung bei ihrer bisherigen Krankenkasse.

Beides war aus Sicht der Wettbewerbszentrale unzulässig. Vericon habe die Verbraucher ohne vorherige ausdrückliche Einwilligung angerufen und auch nicht ausreichend über die Funktionen des Postident-Spezial-Verfahrens aufgeklärt, so der Vorwurf. Weil die Firma keine Unterlassungserklärung abgab, kam es zum Prozess vor dem LG.

Vericon verteidigt das eigene Vorgehen: Die Angerufenen hätten sich freiwillig auf eine Liste mit Interessenten setzen lassen. Auslöser war demnach die Teilnahme an einem Gewinnspiel zum Thema Krankenkassen, bei dem die Verbraucher mindestens an einer Stelle „Mehr Infos bitte“ angeklickt hätten. Den bei Gericht vorgelegten Telefonmitschnitte seien weitere Telefongespräche vorausgegangen, in denen auch auf die Bedeutung des Postident-Spezial-Verfahrens hingewiesen worden sei, so Vericon.

Das LG fand die Aufklärung der Verbraucher im Rahmen der Gewinnspielteilnahme unzureichend: Selbst wenn die Teilnehmer angekreuzt hätten, Informationen zu wünschen, fehle der Hinweis, dass solche Informationen telefonisch erbeten würden. Es gebe zudem beim Gewinnspiel keinen erkennbaren Bezug zur Krankenversicherung. Von der Einverständniserklärung seien vielmehr auch ganz andere Bereiche erfasst, etwa Finanzen oder Strom.

Auch den Einsatz des Postident-Spezial-Verfahrens zur Kündigung fand das Gericht ohne ausführliche Belehrung der Versicherten irreführend. Mit diesem Verfahren, das in der Tat für einen vereinfachten Vertragsschluss entwickelt wurde, sei ein durchschnittlicher Verbraucher nicht vertraut. Er gehe vielmehr davon aus, nur die erhaltene Sendung zu quittieren – in diesem Fall das Info-Material der BKK mobil oil.

Ohne vorherige Aufklärung rechne der Verbraucher nicht damit, ein Rechtsgeschäft abzuschließen: „Die Übergabe der Sendung und die Unterschriftenanforderungen erfolgen an der Haustür oder gar am Postschalter unmittelbar beim Erhalt der Sendung“, so das Landgericht. Der Verbraucher habe keinen Anlass, jedes Schriftstück zu lesen oder gar zu prüfen. Dass Vericon die Interessenten ausreichend aufgeklärt habe, trage die Firma auch selbst nicht konkret vor, heißt es im Urteil vom 22. Januar.

Die als Tonmitschnitte dokumentierten Ausführungen der Anrufer waren nach Ansicht des Gerichts jedenfalls nicht ausreichend: „Es zeigt sich vielmehr, dass die Mitarbeiter der Beklagten entweder selbst nicht genau die Funktionsweise durchschaut haben, oder aber – qualitätssichernd – nicht in der Lage waren, diesbezüglich eindeutige Erklärungen vorzunehmen.“ Der Klage der Wettbewerbszentrale wurde daher stattgegeben.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Ob Vericon in Berufung gehen wird, war auf Nachfrage bislang nicht zu erfahren. Auch bei der BKK mobil oil war bislang niemand für eine Stellungnahme zu erreichen.

Die Wettbewerbszentrale hat allein im ersten Quartal 2016 schon in 14 Fällen Wettbewerbsverstöße von Krankenkassen beanstandet. Meist ging es dabei um irreführende Werbung oder sogenannte aggressive geschäftliche Handlungen. In zwei Fällen hat die Wettbewerbszentrale nach eigenen Angaben jeweils Unterlassungsklage erhoben, in einem Fall eine einstweilige Verfügung beantragt. In vier Fällen wurden Hinweise erteilt.