Neue Details zu AvP-Insolvenz

Millionen abgezweigt – Wettstein dealte mit Apothekendaten

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Berlin -

Die AvP-Pleite hat viele Apothekerinnen und Apotheker hohe Beträge gekostet, einige sogar die berufliche Existenz. Ein Grund für die Insolvenz des privaten Rechenzentrums war die Tatsache, dass Firmenchef Mathias Wettstein immer wieder Geld abgezweigt hat. Auch drei Jahre nach dem Zusammenbruch kommen immer neue Details ans Licht. So hat Wettstein Abrechnungsdaten weiterverkauft – aber nicht über AvP, sondern über ein privates Unternehmen, mit dem er auch sein Flugzeug unterhielt. Deswegen gehen den Gläubigern jetzt weitere Millionenbeträge verloren.

Wie die anderen großen Rechenzentren auch, verkaufte Wettstein über Jahre hinweg umfangreiche Daten aus dem Abrechnungsgeschäft an Marktforschungsunternehmen und erzielte dadurch Einnahmen im Millionenbereich. Seit 1997 gab es einen Vertrag mit IMS Health (heute: Iqvia), seit 2010 auch mit Insight Health.

Allerdings wickelte Wettstein diese Geschäfte nicht über AvP ab – allzu groß war die Sorge davor, dass die Apotheken sich abwenden oder bessere Konditionen einfordern könnten oder dass das Rechenzentrum in die Schlagzeilen geraten könnte. So musste etwa die VSA vor Jahren mit Vorwürfen von Datenschützern, Politikern und am Ende auch der Wirtschaftspresse umgehen, dass nicht hinreichend anonymisierte Daten an IMS weitergegeben wurden.

Wettstein dagegen konnte gegenüber seinen Kundinnen und Kunden versichern, dass AvP keine Daten weiterverkaufte – was bei wörtlicher Auslegung auch der Wahrheit entsprach. Denn stattdessen hatte er mit der Firma PDGaus ein Unternehmen dazwischengeschaltet, das auf dem Papier nichts mit dem Rechenzentrum zu tun hatte, sondern das ihm privat gehörte und in dem er auch sein privates Flugzeug untergebracht hatte. Namensgeberin und vermeintliche Inhaberin war seine damalige Frau, Firmensitz war erst in Hamburg, dann Ober-Ramstadt in Hessen.

Razzia und Betriebsprüfung

2012 drohte die Sache allerdings aufzufliegen, denn im Umfeld von PDGaus stand plötzlich der Vorwurf des Steuerbetrugs im Raum. Es kam zu Razzien, und weil der Geschäftsführer der FDP-Landtagsabgeordnete Leif Blum war, zog der Fall weite Kreise. Am Ende sah sich Blum sogar gezwungen, sein Mandat als parlamentarischer Geschäftsführer und finanzpolitischer Sprecher niederzulegen.

Wettstein dagegen kam vergleichweise glimpflich aus der Sache, er wandelte PDGaus einfach in eine neue Firma um, die bezeichnenderweise nun den Namen MW Aviation trug. Da das Finanzamt bei einer Betriebsprüfung im Oktober desselben Jahres die kostenlose Überlassung der Daten reklamierte, stellte AvP fortan gegenüber dem Schwesterunternehmen eine „Provision“ in Höhe von 5 Prozent in Rechnung. Ansonsten wurde weiter so verfahren wie bislang: AvP anonymisierte die Abrechnungsdaten und gab sie an die beiden Abnehmer weiter; MW Aviation kassierte die entsprechenden Honorare. Einen Vertrag darüber gab es zwischen den beiden Unternehmen nicht.

Allerdings wurde Insolvenzverwalter Dr. Jan-Philipp Hoos bei der Prüfung der Unterlagen im Herbst 2020 auf eine Buchungspositionen aufmerksam: In den Unterlagen von AvP fand sich eine Forderung gegenüber MW Aviation in Höhe von knapp 426.000 Euro. Nach Aufforderung zahlte das Unternehmen den Betrag im November 2020 an den Insolvenzverwalter aus.

Aber Hoos war klar, dass hier erhebliche Geldströme umgeleitet wurden, die seiner Meinung nach AvP und damit den Gläubigern zustünden. Alleine seit September 2016 hatte MW Aviation gegenüber IMS/Iqvia einen Betrag von knapp 3,4 Millionen Euro in Rechnung gestellt, weitere 3,3 Millionen Euro waren es gegenüber Insight Health.

Gläubiger benachteiligt?

Im Dezember 2021 erklärte Hoos daher gegenüber MW Aviation die Anfechtung der in diesem Zeitraum erfolgten unentgeltlichen Datenüberlassung und forderte abzüglich geleisterer Zahlungen und einem berechtigten Eigenanteil in Höhe von 15 Prozent die Zahlung von mehr als 5,3 Millionen Euro. Da AvP den beiden Marktforschungsunternehmen die Daten überlassen habe, ohne eine adäquate Gegenleistung zu erhalten, sei eine Gläubigerbenachteiligung eingetreten – durch die Teilschenkung sei die Aktivmasse verringert worden.

MW Aviation weigerte sich und behauptete nun sogar, dass mit der Auflösung von PDGaus das Recht zur Nutzung aller Verwertungsverträge auf Wettstein persönlich übertragen worden sei, der die Vertragsbeziehungen wiederum in eine stille Gesellschaft eingebracht habe und für seinen „erheblichen Beitrag bei der Entwicklung und Vermarktung des Datengeschäftes“ einen Anspruch auf 95 Prozent des Jahresüberschusses erhalten habe.

Der Fall ging vor Gericht, doch nachdem das Landgericht Düsseldorf (LG) in der Beziehung zwischen AvP und MW Aviation noch ein deutliches Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung und damit am Ende eine Gläubigerbenachteiligung gesehen hatte, entschied jetzt das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) gegen den Insolvenzverwalter. Wettstein habe die unternehmerische Freiheit gehabt, innerhalb seines Firmengeflechts Gelder umzuleiten – dies sei im Nachhinein nicht zu beanstanden.

Hauptargument dafür, dass die Millionenbeträge nicht zurückgezahlt werden müssen und der Insolvenzmasse zugute kommen, ist aus Sicht des Gerichts eine Regelung in der Insolvenzordnung: Eine Gläubigerbenachteiligung liege nur dann vor, wenn durch geschäftliche Handlungen die Aktivmasse gekürzt oder die Schuldenmasse erhöht würden – nicht aber, wenn lediglich eine Mehrung des Vermögens verhindert werde.

Alles für Wettstein

Da AvP die Daten nie selbst veräußert habe und dies sogar explizit ausgeschlossen habe, könnten sie nicht als Teil der Aktivmasse angesehen werden. Die nachvollziehbaren wirtschaftlichen Erwägungen seien daher rechtlich nicht zu beanstanden, zumal sie auch in keinem Zusammenhang mit der Insolvenz stünden. „Diese Entscheidung unterliegt nicht der nachträglichen Disposition des Insolvenzverwalters.“

Dass AvP die Daten selbst anonymisiert und aufbereitet habe, liege in der Natur der Sache: Anders hätte das Rechenzentrum die Informationen nämlich überhaupt nicht weitergeben können, nicht einmal innerhalb der Unternehmensgruppe. Und die Zahlung der Provision sei ebenfalls nicht als Argument gegen die unentgeltliche Überlassung zu verwenden: Die Einbuchung sei nur erfolgt, um weiteren Problemen bei Steuerprüfungen aus dem Weg zu gehen und um steuerliche Probleme zu vermeiden, ohne dass deswegen von einer Gegenleistung für die Datenüberlassung und einer Abänderung der bisherigen Praxis auszugehen sei.

Nach dem Gerichtsbeschluss gehen die Gläubiger auch an dieser Stelle leer aus – und damit erneut viele Apothekerinnen und Apotheker. Dazu findet das Gericht aber kompromisslose Worte: Die gesamte gesellschaftsrechtliche Struktur der Unternehmensgruppe sei bewusst darauf ausgerichtet gewesen, eine größtmögliche Gewinnmaximierung zugunsten von Wettstein zu erzielen. So konnte AvP möglichst hohe Gewinne durch die Abrechentätigkeit erzielen, „ohne der Gefahr eines Reputations- und Margenverlustes ausgesetzt zu sein, der mit dem eigenen Vertrieb der Daten hätte einhergehen können“. Andererseits konnte MW Aviation laut OLG „die mit der Datenveräußerung erzielten Gewinne mit den erheblichen Verlusten aus dem Flugzeugbetrieb verrechnen, was sich steuerlich günstig auswirkte“.

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