Merkel feiert mit Merck dpa, 03.05.2018 08:51 Uhr
Das Pharma- und Chemieunternehmen Merck wird in diesem Jahr 350 Jahre alt. Zum Festakt erwartet der Dax-Konzern am Vormittag rund 800 Gäste aus Politik und Wirtschaft, darunter Bundeskanzlerin Angela Merkel. Nach Reden der Merck-Spitze wird auch die CDU-Chefin sprechen. Im Anschluss besucht sie das neue Innovationszentrum, in dem Mitarbeiter und Start-ups an Ideen für künftige Produkte feilen.
Die Anfänge von Merck reichen bis 1668 zurück. Eine historische Engel-Figur mit dem Familienwappen und Fotos auf einem Leuchtband erinnern an die 350 Jahre lange Geschichte der größten Apotheke in Darmstadt. Friedrich Jakob Merck hatte 1668 mit der Übernahme der zweiten Hofapotheke die Keimzelle für den gleichnamigen Pharma- und Chemiekonzern gelegt. Der Dreißigjährige Krieg war da erst 20 Jahre vorüber.
Heute steht die Engel-Apotheke im Merck-Haus am Luisenplatz im Darmstädter Zentrum. Sie ist nach wie vor in Hand der Familie - so wie Merck selbst. Inhaberin Renate Koehler, eine Nachfahrin von Friedrich Jakob in elfter Generation, plant schon die Nachfolge: „Es ist moralisch eine wichtige Sache, dass es in der Familie bleibt.“
Diese Tradition spielt in Darmstadt eine besondere Rolle. Denn Merck liegt mit rund 70 Prozent der Aktien in Besitz der Merck-Familie. Über die E. Merck Kommanditgesellschaft kontrolliert sie den Konzern. Damit ist Merck im Leitindex Dax ein Sonderfall.
Heute feiert sich das Unternehmen selbst. Zusammen mit rund 800 Gästen reisen viele der 270 Familienmitglieder an, auch Kanzlerin Angela Merkel schaut vorbei. Mit 350 Jahren ragt Merck selbst unter alten deutschen Wirtschaftsriesen wie BASF oder Siemens heraus.
Seit 1668 hat Merck viel überstanden, nicht zuletzt zwei Weltkriege. Heute hat der Konzern fast 53.000 Mitarbeiter weltweit und erzielt gut 15 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr. Er spielt im globalen Pharmakonzert mit, wenn auch nicht auf Augenhöhe mit den Branchenriesen aus der Schweiz oder den USA.
Der Wandel von der kleinen Apotheke zum forschenden Industrieunternehmen habe sich mit dem wissenschaftlich gebildeten Emanuel Merck vollzogen, sagt Merck-Historikerin Sabine Bernschneider. Er legte 1827 für Ärzte, Chemiker und Apotheker eine Sammlung hochreiner Pflanzen-Alkaloide an – Naturstoff-Verbindungen mit medizinischer Wirkung. Sein Ziel: „Sie mit wenigen Kosten in den Stand (zu) setzen, Versuche anzustellen.“
Um die Firma abzusichern, gründete Emanuel Merck mit seinen Söhnen 1850 die Gemeinschafts-Sozietät E. Merck mit mehreren Teilhabern – „im richtigen Moment die richtige Geschäftsidee“, so Bernschneider. Als Kaufmann, Apotheker und Chemiker führten die drei Brüder Merck gemeinsam. Schnell folgte die Expansion über Deutschland hinaus.
Die Weltkriege aber warfen Merck zurück. So verlor der Konzern im Zuge des Ersten Weltkrieges seine US-Tochter. Als Merck & Co ist sie heute eigenständig und an der Wall Street notiert. Und 1944 wurden bei einem Luftangriff auf die Darmstädter Fabrik 60 Menschen getötet und fast 70 Prozent der Gebäude zerstört. Damals waren rund 3000 Leute, einschließlich 257 Zwangsarbeitern, in Darmstadt beschäftigt.
Jahrzehnte später, 1995, gelang Merck der Aufstieg in den Dax per Börsengang. Mit 2,4 Milliarden D-Mark Volumen war er der bis dato größte Deutschlands. Die Familie trat die operative Führung ab, behielt aber die Kontrolle im Hintergrund. Wichtige Entscheidungen treffen seither andere. Merck kaufte etwa die Biotech-Firma Serono, den Spezialchemiekonzern Electronic Materials und den Laborausrüster Sigma-Aldrich. Allein Zukäufe seit 2007 kosteten 30 Milliarden Euro.
Heute treibt Chef Stefan Oschmann den Umbau zum Wissenschaftskonzern voran. Als Arzneihersteller sieht sich Merck nicht mehr, selbst wenn die Sparte am meisten Umsatz bringt. Auch das Image soll moderner werden. Mit knalligen Farben will Merck die Marke aufpeppen. Und im neuen Innovationszentrum tüfteln Start-ups und Mitarbeiter an Ideen.
Doch ausgerechnet im Jubiläumsjahr schwächelt Merck. 2018 werden leichte Rückgänge beim Betriebsergebnis erwartet. Im hochprofitablen Geschäft mit Flüssigkristallen etwa für Smartphone-Displays drückt die Konkurrenz aus China die Preise. Merck habe zu spät auf neue Wettbewerber reagiert, gab Frank Stangenberg-Haverkamp, Vorsitzender des Merck-Familienrats, zuletzt im „Manager Magazin“ zu.
Zudem bringen alte Kassenschlager-Arzneien immer weniger Erlös. Große Hoffnungen liegen auf dem Mittel Avelumab, das das körpereigene Abwehrsystem stärken soll, um Krebszellen zu zerstören. Bei einem seltenen Hautkrebs und Blasenkrebs bekam es erste Zulassungen, scheiterte aber in anderen Tests. In der Pharmasparte ist Avelumab der einzige große Pfeil im Köcher von Merck – er muss sitzen.
Indes muss Merck für die angepeilte Wende 2019 Kompromisse machen. So verkaufte Oschmann die rezeptfreien Arzneien an Procter & Gamble für 3,4 Milliarden Euro. Er braucht das Geld, um Schulden zu senken und teure Pharma-Blockbuster voranzutreiben: „Wir müssen unsere finanziellen Mittel genau einteilen.“ Zumal Merck für Enttäuschungen gewappnet sein muss, sollte Avelumab in weiteren Studien scheitern.
Rückschläge allerdings hat Merck schon viele bewältigt, auch in der Apotheke von einst. Sie wurde im Bombenhagel 1944 weitgehend zerstört, sie soll nun in zwölfter Generation in der Merck-Familie bleiben. Koehlers Nichten könnten in einigen Jahren die neuen Chefinnen sein. Dann kämen die nächsten Mercks zum Zug.