Merckle schluckt Phoenix Patrick Hollstein, 14.11.2012 20:26 Uhr
Phoenix gehört zur
Merckle-Gruppe. Zumindest zum allergrößten Teil. Denn 20 Prozent der
Anteile am Pharmahandelskonzern hält die Firma F. Reichelt. Am
ehemaligen Großhändler aus Hamburg, der in den 1990er-Jahren zusammen
mit Ferd. Schulze (Mannheim), Hageda (Köln) und Otto Stumpf (Fürth) zu
Phoenix verschmolzen und zu einer Immobilien- und Vermögensverwaltung
umfunktioniert wurde, war die Merckle-Gruppe aber nur zu rund 90 Prozent
beteiligt. Jetzt wurde das letzte größere Paket verkauft – und die
verbliebenen Kleinaktionäre werden abgefunden.
Vor allem ehemalige Mitarbeiter und Kleinanleger aus Hamburg hatten nach dem Einstieg von Adolf Merckle bei Reichelt ihre Anteile behalten. Entsprechend hoch war der Altersdurchschnitt; zuletzt wurden auch kaum noch Aktien gehandelt.
Am Ende hing das Schicksal der Firma aber an einem einzigen Investor: Knapp 7 Prozent der Anteile an Reichelt – und damit indirekt etwas mehr als 1 Prozent an Phoenix – hielt zuletzt die Familie von Horst Gaßmann, Autohändler aus dem niedersächsischen Sittensen.
Zu sagen hatten Gaßmann und seine Mitstreiter bei Reichelt freilich nichts. Dividenden gab es nicht, 2008 verpfändete Merckle sogar die Reichelt-Anteile an Phoenix. Nur weil Ratiopharm am Ende Phoenix ausbezahlen konnte, gaben die Banken die Vermögenswerte am Ende wieder frei und die Macht an die Familie zurück.
Nach dem Tod des Firmenpatriarchen wurden alle Beschlüsse vom Merckle-Management durchgepeitscht. Nur einmal im Jahr durften die Miteigentümer bei den mitunter auch tumultartig verlaufenden Hauptversammlungen Dampf ablassen.
Trotzdem: Wenn die Kleinaktionäre in kleinen Konferenzräumen in Hamburger Hotels zusammen kamen, ging es stets auch nostalgisch zu. Die Gesandten aus Ulm, die nach dem Tod des langjährigen Firmenchefs Werner Harder im Frühjahr 2009 gleich zweimal kurz nacheinander ausgetauscht wurden, wirkten dabei zwar selbst wie Zaungäste. Doch das kleine Reichelt-Sekretariat in der Hamburger Phoenix-Niederlassung achtete darauf, dass immer wieder auch Ehrengäste aus vergangenen Zeiten eingeladen wurden.
Warum Adolf Merckle Reichelt nie komplett übernahm, darüber kann nur spekuliert werden. Eine Frage des Preises, sagen die einen. Hobby, sagen die anderen. Was seltsam klingt, könnte einen wahren Kern haben: Als Chef des Aufsichtsrats zoffte sich der Multimilliardär bis 2007 regelmäßig bei den Hauptversammlungen mit seinen Mitaktionären. Und ein Fan von überschaubaren Verhältnissen in der Unternehmensgruppe war Merckle bekanntermaßen ohnehin nicht.
Jetzt ist Gaßmann also ausgestiegen. Zu den Hintergründen will er sich derzeit nicht äußern. Für die übrigen Kleinaktionäre gibt es rund 400 Euro als Abfindung. Finanziell dürfte sich der lange Atem der Reichelt-Anhänger damit ausgezahlt haben: Der Börsenkurs hatte in den 90er-Jahren noch bei rund 30 Euro gelegen und war im Juli 2008 auf 750 Euro geklettert.
Damit gehörten die Reichelt-Anteile – ebenso wie die von Hageda – eine Zeitlang zu den teuersten Aktien in Deutschland. Bereits 2007 waren die Anteilseigner des Kölner Großhändlers ausbezahlt worden: Bei einem Nennwert von 25 Euro gab es 2231 Euro je Anteilsschein. Auch die Stumpf-Aktionäre wurden vor fünf Jahren abgefunden.
Die Gründe für die hohe Bewertung liegen in der engen Verflechtung der Firmen mit Phoenix: Alle vier Unternehmen halten substantielle Anteile am Mannheimer Pharmahändler. Als Verpächter verschiedener Niederlassungen erhalten die Unternehmen außerdem Einnahmen aus Verträgen mit der deutschen Großhandelstochter – und übrigens auch mit dem formal nicht mehr zur Gruppe gehörenden Münchener Großhändler Hageda-Stumpf. Dieses Modell der Betriebspacht wurde langfristig angelegt: Alleine der Vertrag mit Stumpf läuft bis 2025. Ob Merckle die verflochtene Struktur aufrecht erhält, wenn der letzte Kleinaktionär ausbezahlt ist, wird sich zeigen.