Calcium-Sandoz vor dem EuGH Patrick Hollstein, 19.03.2015 09:12 Uhr
„Medikament light“ oder „Lebensmittel forte“? Je nachdem, wie die Finanzbehörden Nahrungsergänzungsmittel sehen, können sich unterschiedliche Mehrwertsteuersätze und damit Verkaufspreise ergeben. Die fachliche Klassifizierung spielt dabei bislang keine Rolle: Hexal kämpft beispielsweise darum, dass Calcium-Sandoz entsprechend Zulassung auch steuerrechtlich als Arzneimittel eingestuft wird. Der Fall hat es vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) geschafft und könnte eine ganze Branche durcheinanderwirbeln.
Die Hexal-Tochter Salutas führt die Brausetabletten aus der Schweiz ein und beantragte im Mai 2012 eine verbindliche Zolltarifauskunft zu dem Produkt. Vorgeschlagen wurde die Einreihung des Arzneimittels in die Kategorie „Arzneiware“ gemäß der Kombinierten Nomenklatur (KN) laut EU-Verordnung.
Doch der Zoll folgte dem Ansinnen nicht: Das Calcium-Präparat sei als Lebensmittelzubereitung einzustufen, da die empfohlene Verzehrmenge nicht „deutlich höher“ liege als die normale Tagesdosis. Salutas legte Widerspruch ein: Das Präparat sei Arzneimittel zugelassen und werde mit einem konkreten therapeutischen beziehungsweise prophylaktischen Zweck eingesetzt, nämlich zur Vorbeugung und Behandlung eines Calciummangels und zur Unterstützung einer speziellen Therapie zur Vorbeugung und Behandlung einer Osteoporose.
Der Fall landete nach längerem Hin und Her vor dem Finanzgericht Hamburg, das die Angelegenheit jetzt dem EuGH vorlegte. Die medizinische Indikation sei unstreitig; fraglich sei jedoch, ob die Dosierung für die Einordnung als Arzneiware ausreichend sei: Laut KN muss dazu im Allgemeinen die einzunehmende Menge mindestens dreimal höher liegen als die für den Erhalt der Gesundheit empfohlene Tagesdosis. Im Fall von Calcium sind das 800 Milligramm; bei ein bis drei Brausetabletten à 500 Milligramm wird das Dreifache also nicht erreicht.
Allerdings räumt das Gericht ein, dass – anders als beispielsweise bei Vitamin C – die Anwendbarkeit dieses generellen Richtwerts fraglich sei. So lasse sich ausweislich der Auskünfte des personalärztlichen Dienstes des Hamburger Senats nicht ausschließen, dass 2400 Milligramm Calcium pro Tag medizinisch bedenklich seien.
Auf dem Markt gebe es jedenfalls keine Präparate mit einer solchen Dosierung, sodass womöglich nicht nur eine Ausnahme von der grundsätzlichen Regel angebracht sei, sondern generell eine differenzierte Betrachtung je nach Vitamin beziehungsweise Mineralstoff.
Für Hexal geht es einem Sprecher in dem Verfahren ausschließlich um die Frage, welche Steuern bei der Einfuhr an den Zoll gezahlt werden müssen. Doch das Urteil aus Luxemburg könnte Bedeutung über den Fall hinaus haben: Zahlreiche Nahrungsergänzungsmittel wurden bislang als Lebensmittel eingestuft und mit einem Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent vertrieben. Mehrere Hersteller streiten derzeit mit dem Fiskus, ob diese Sichtweise gerechtfertigt ist.
Die Finanzbehörden haben in der Differenz eine zusätzliche Einnahmequelle entdeckt und bei Betriebsprüfungen Nachzahlungen gefordert, etwa von Wala, Orthomol oder Dr. Loges. Ein Streit um Vaso-loges liegt bereits beim Bundesfinanzhof – und wurde durch die Vorlage aus Hamburg sozusagen überholt.
Je nach Ausgang des Verfahren drohen also deutliche Preissteigerungen. Calcium-Sandoz wäre davon – mit Ausnahme der Sun-Variante – nicht betroffen. Als zugelassenes Arzneimittel unterliegt das Präparat bereits heute dem vollen Mehrwertsteuersatz.
Unter den Mineralstoffen in der Apotheke gehört Calcium-Sandoz mit einem Marktanteil von rund 6 Prozent zu den führenden Präparaten. Die Nase vorn haben die Magnesium-Präparate von Verla und Biolectra (Hermes) mit jeweils 14 Prozent vor Magnesium Diasporal (Protina) mit 7 Prozent. Magnetrans von Stada und Basica (Protina) kommen auf jeweils rund 5 Prozent, dahinter folgen Floradix (Salus), Ferro Sanol (Sanol) sowie Magnesium Sandoz und Curazink (Stada). Insgesamt ist der Markt rund 250 Millionen Euro zu Abverkaufspreisen schwer.