Blutzuckerteststreifen sind längst Massenware: Der Versandriese Amazon bietet ein Abo, Drogerie- und Discountmärkte führen die Medizinprodukte regelmäßig im Sortiment. So auch der Lebensmittelhändler Aldi Süd, der Produkte der Firma Medisana anbot. Doch die Teststreifen sind laut einem technischen Institut ungenau. Über die Veröffentlichung der Ergebnisse kam es zum Streit.
Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) hat sich des Falls angenommen. Demnach hatte das Institut für Diabetes-Technologie Forschungs- und Entwicklungsgesellschaft an der Universität Ulm (IDT) zu Jahresbeginn Blutzuckermesssysteme mit Teststreifen auf Messgenauigkeit geprüft. Das Produkt von Medisana war unter der Marke Curamed in den Filialen von Aldi Süd vertrieben worden. Das IDT hat die Streifen nach eigenen Angaben an 100 Patienten getestet.
Die Genauigkeit der Tests war laut DDG mangelhaft: „Besonders im niedrigen Blutzuckerbereich lagen die Messwerte deutlich zu hoch und waren geeignet, eine drohende Unterzuckerung zu verschleiern“, so Professor Dr. Lutz Heinemann, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Technologie der DDG.
Die Produkte hatten laut DDG Werte angegeben, die im Durchschnitt um 16 Prozent überhöht waren. „Dies stellt eine Patientengefährdung dar, beispielsweise wenn der Patient eine Autofahrt beginnen möchte“, so Heinemann. Das IDT habe die Ergebnisse pflichtgemäß an den Hersteller Medisana gemeldet, Ende März zusätzlich an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM).
Die Testergebnisse sollten auf einem Poster im Rahmen des Frühjahreskongresses der DDG vorgestellt werden. Doch Medisana erwirkte im Mai eine einstweilige Verfügung beim Landgericht Berlin, wonach die namentliche Nennung des Produktes und/oder des Vertriebsweges verboten wurde.
Das IDT legte dagegen erfolgreich Widerspruch ein. Die DDG begrüßt die Entscheidung: „Doch so sehr es uns freut, dass die Freiheit der Wissenschaft mit dem Richterspruch gewahrt bleibt, so sehr sind wir darüber erstaunt, dass weder die Medisana AG noch Aldi-Süd eine Rückrufaktion der unzuverlässigen Teststreifen starteten“, so DDG-Geschäftsführer Dr. Dietrich Garlichs.
Aldi Süd hat gegenüber dem Bayerischen Rundfunk erklärt, man habe bisher noch keine Erkenntnisse über mögliche Gesundheitsgefahren durch die Blutzuckermessgeräte. Die DDG kritisiert, dass der Discounter weder nach der Anfrage der Fachgesellschaft noch nach dem BR-Bericht Konsequenzen gezogen habe. Medisana wird im Beitrag mit der Aussage zitiert, insulinpflichtige Diabetiker gehörten nicht zu den Nutzern des Gerätes. Sie seien durch verordnungsfähige Geräte und Teststreifen anderweitig versorgt.
Gegenüber APOTHEKE ADHOC hat sich der Hersteller auf Nachfrage bislang nicht weiter erklärt. Die DDG kritisiert auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM): Bisher habe sich die Aufsichtsbehörde nicht zu den Testergebnissen geäußert, obwohl diese seit März bekannt seien.
Das BfArM hat nach eigenen Angaben das IDT bereits Anfang Juni darüber informiert, dass der um Stellungnahme gebetene Hersteller eine weitere Studie in Auftrag gegeben hat, die bei vergleichbarem Umfang den vom IDT reklamierten systematischen Bias nicht bestätigt.
Da der Umfang beider Studien jedoch zu gering sei, sei eine abschließende Bewertung derzeit noch nicht möglich, so ein Sprecher. „Wir erwarten zeitnah die Zusendung einer weiteren Stellungnahme des Herstellers basierend auf einer nunmehr repräsentativen Probenanzahl.“ Das BfArM werde basierend auf den Ergebnissen dieser Studie und den Inhalten der Stellungnahme des Herstellers kurzfristig eine weitere Bewertung des Falles vornehmen und darüber informieren.
Medisana vertreibt Medizinprodukte vor allem außerhalb der Apotheke und erlöste damit zuletzt 59 Millionen Euro. Das Portfolio umfasst Marken wie Medisana, Promed, Happy Life, Ecomed sowie VitaDock; angeboten werden neben Klassikern wie Blutdruck- und Blutzuckermessgeräten auch Produkte für die häusliche Pflege wie Heizkissen und Massagesitzauflagen sowie Apps und Werables.
1981 durch Rainer Behnke gegründet, geriet das Unternehmen nach dem Börsengang im Juni 2000 in die Verlustzone. 2004 trat Behnke zurück. Im vergangenen Jahr hatte die Xiamen Comfort Science & Technology Group 75 Prozent der Anteile von den bisherigen Großaktionären Ralf Lindner und Thies Goldberg übernommen.
Lindner tauschte seine Anteile gegen Aktien von Xiamen und blieb als Vorstandschef an Bord. Den anderen Aktionären hat Xiamen ein Übernahmeangebot gemacht; derzeit sind noch knapp 5 Prozent der Aktien im Besitz von Kleinaktionären.
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