Alle Jahre wieder kürt eine kleine Gruppe von Apothekern die „Medikamente des Jahres“. Wick und Formoline schmücken sich in ihren TV-Spots mit der Plakette, auch andere Hersteller nutzen ein gutes Ergebnis für ihre Produkt-PR. Bei vielen Firmen löst der Wettbewerb regelrecht reflexartige Reaktionen aus. Den Ärger haben die Apotheker, denn die mitunter zweifelhaften Empfehlungen einiger weniger Kollegen fallen negativ auf den gesamten Berufsstand zurück.
Die „Medikamente des Jahres“ wurden in diesem Jahr bereits zum 16. Mal gekürt. Hinter dem Wettbewerb stehen der Bundesverband Deutscher Apotheker (BVDA) und dessen offizielles Organ „Der deutsche Apotheker“, das durch den OTC-Media-Verlag in Person von Elke und Heinz-Egon Schmitt herausgegeben wird. Seinem berufspolitisch anmutenden Namen zum Trotz, ist der BVDA bestenfalls eine wirtschaftliche Interessenvertretung; selbst vor Werbung für Massageliegen schreckt die Gruppe nicht zurück. Geschäftsführerin in Frankfurt ist Helga Fritsch, die früher im Sekretariat des Hessischen Apothekerverbands (HAV) gearbeitet hatte.
Das Prinzip beim „Medikament des Jahres“ ist schlicht: Auf einem 32-seitigen Fragebogen müssen die Teilnehmer ankreuzen, welche Produkte sie im jeweils kommenden Jahr „besonders häufig empfehlen werden“. Insgesamt 2500 „marktrelevante“ Präparate werden in verschiedenen Gruppen nach Alphabet gelistet; die Bewertung soll anhand von Eignung, Wirkung und Risiken vorgenommen werden.
315 Fragebögen konnten in diesem Jahr ausgewertet werden; mit der rekordverdächtigen Rücklaufquote von 76 Prozent ist die Umfrage laut den Initiatoren repräsentativ. Angeschrieben wurden demnach 412 zufällig ausgewählte Apotheken – das entspreche jeder 50. der insgesamt 20.600 Betriebsstätten in Deutschland.
Dass die Einschätzungen nicht zwangsläufig mit den Marktanteilen überein stimmen, erklären die Verantwortlichen mit der Tatsache, dass Darreichungsformen und Packungsgrößen nicht berücksichtigt werden. Mehrfachnennungen sind möglich, der Abstand zwischen Krone und zweitem Platz ist mitunter äußerst knapp.
Die Ergebnisse werden alljährlich im „Handbuch zur Empfehlungshäufigkeit von OTC-Produkten“ abgedruckt. Die Vermarktung läuft über das Anzeigengeschäft: 9260 Euro kostet den Gewinner laut Mediadaten in der jeweiligen Kategorie die Anzeige auf der gegenüberliegenden Seite. 67 der 93 Kategorien sind in diesem Jahr belegt; entsprechend summieren sich die Erlöse vor Abzügen rein rechnerisch auf mehr als 620.000 Euro. Die feierliche Preisverleihung findet in der Frankfurter Alten Oper statt.
Einige Anbieter heften sich die Nadel regelmäßig stolz ans Revers und feiern sich öffentlich für ihren „Pharma-Oscar“: „Von Apothekern gewählt – zum Medikament des Jahres“, heißt es – wie schon 2014 – im aktuellen TV-Spot von Wick. Der Hersteller Procter & Gamble (P&G) hat mehrere überraschende Erstplatzierungen geholt: So konnte sich das erst im vergangenen Jahr eingeführte Wick-Vapospray in der neu eingeführten Kategorie „Nasenspray auf Meersalzbasis“ gegen Mar plus (Stada) und Rhinomer (Novartis) durchsetzen. Der Verhütungsmonitor von Persona (P&G) wird laut Umfrage häufiger zur Empfängnisverhütung empfohlen als Kondome von Durex (Reckitt Benckiser, RB). P&G bedankt sich mit vier Anzeigen im aktuellen Handbuch – genauso wie Zentiva und Medice.
Gleich sieben Anzeigenplätze hat sich Hermes Arzneimittel gesichert. Dem Hersteller aus München sind ebenfalls mehrere Außenseiter-Erfolge gelungen: Doc ist laut Umfrage unter den Schmerzgels beliebter als Voltaren (Novartis), die Cevitt-Lutschtabletten werden in der Kategorie „Mund- und Rachentherapeutika zum Lutschen und Einnehmen“ abermals häufiger empfohlen als Klassiker wie Neo-Angin (Klosterfrau), Dorithricin (Medice), Lemocin (Novartis), Dolo-Dobendan (RB), Isla (Engelhard), Ipalat (Dr. Pfleger) und Emser (Siemens). Bei Halsschmerzen reichte es dagegen nur für Platz 6, hier lagen wiederum die Konkurrenzprodukte vorn.
Weitere Überraschungen: Gastricholan (Südmedica) wird laut Umfrage häufiger bei Verdauungsbeschwerden empfohlen als Iberogast (Steigerwald) und Lefax (Bayer) – immerhin halten die Darmstädter mit Phytohustil (Antitussiva) und Laif (Johanniskrautpräparate) die Stellung. Bei Patienten mit Herpes greifen die Umfrageteilnehmer nach eigenen Angaben häufiger zu Pencivir (Novartis) und Lomaherpan (Infectopharm) als zum Marktführer Zovirax (GlaxoSmithKline), bei Sinusitis häufiger zu Sinusitis Hevert als zu Sinupret (Bionorica).
Bei den Pflegemitteln für Dehnungsstreifen und Narben konnte Bio-Oil (Delta pronatura) die beiden stark beworbenen Marken Contractubex (Merz) und Bepanthen (Bayer) ausstechen. Blutdruckmessgeräte von Beurer sind beliebter als Omron oder Boso, Param führt bei den Inkontinenzprodukten vor Molimed (Hartmann), Attends und Tena Lady (SCA).
Eucerin (Beiersdorf) musste sich im Bereich der Haarpflegemittel den Produkten von Rausch geschlagen geben und im Bereich der Anti-Schuppen-Shampoos der Marke Ducray (Pierre Fabre). Die Celyoung-Fußcreme (Krepha) ist beliebter als die Konkurrenzprodukte von Eucerin (Beiersdorf), Gehwol (Gerlach) und Allgäuer (Dr. Theiss). Unter den Hautpflegeserien hat Rugard (Scheffler) die Nase vorn, bei den Augenpflegemitteln Lierac – der französische Hersteller hat in Deutschland und Österreich nach eigenen Angaben gerade einmal 1500 Depotpartner.
Erstaunliches tritt auch zutage, wenn ein- und dasselbe Produkt in verschiedenen Kategorien ganz unterschiedlich abschneidet: Meditonsin (Medice) musste sich unter den „internen Mitteln bei grippalen Infekten“ Grippostad C (Stada) und Wick Medinait (P&G) geschlagen geben, lag aber bei den „Erkältungsmitteln“ in der Gunst der Apotheker vorn. China-Öl (Bio-Diät Berlin) rangiert unter den „Hausmitteln“ vor Klosterfrau Melissengeist; in der Rubrik „Universal-Arzneimittel“ sind die Plätze vertauscht. Dasselbe bei Enzympräparaten: In der Kategorie „Antiphlogistika“ liegt Bromelain-POS (Ursapharm) vor Wobenzym plus (Mucos) auf Platz 1. Zwei Seiten weiter stürzt das Bromelain-Produkt in der Rubrik „Antitraumatika“ auf Rang 5 und macht Platz für die Mucos-Anzeige.
Selbst Hersteller mit exponierten Marken wie Bayer, Stada, Pohl-Boskamp und DHU machen beim „Medikament des Jahres“ mit. Andere Firmen tauchen dagegen seltener auf – sowohl auf den Spitzenplätzen als auch in den Werbeanzeigen. Dazu gehören prominente Hersteller wie Johnson & Johnson (J&J), Boehringer Ingelheim, Novartis, GlaxoSmithKline, Dr. Wilmar Schwabe, Klosterfrau, Beiersdorf, Engelhard, Bionorica, RB, Hexal und Ratiopharm.
So mancher Anbieter beißt in den sauren Apfel und bucht aus strategischen Gründen: „Ich will doch nicht, dass im kommenden Jahr meine Mitbewerber gewinnen“, sagt ein Geschäftsführer, der namentlich nicht genannt werden will. Ein anderer OTC-Manager sorgt sich, dass „seine Kategorie“ geschlossen werden könnte, wenn sie sich für den Verlag nicht mehr lohne.
Tatsächlich wechseln die Marktsegmente regelmäßig; weggefallen sind in diesem Jahr etwa Antiallergika, dafür sind unter anderem Mittel gegen Mundgeruch, Vaginalmykosen und Warzen neu dazugekommen. Von den 35 Kategorien, die 2014 keine Anzeige hatten, sind in diesem Jahr zwölf weggefallen, für fünf konnten Anzeigenkunden gewonnen werden, 18 laufen weiter ohne Werbepartner mit.
Ein dritter Manager verweist schließlich auf andere Fachzeitschriften für PTA und Apotheker, die ihr Anzeigengeschäft ebenfalls durch solche Wettbewerbe belebten. „Es herrscht nun einmal ein Verdrängungswettbewerb, da sind Sie als Hersteller froh über jede Möglichkeit zur Abgrenzung.“ Aus seiner Sicht sind die Übergänge fließend – von vielen grenzwertigen Konzepten bis hin zu den Auszeichnungen von Öko-Test und Warentest. Selbst aus seriösen Umfragen könne man sich positive Teilaspekte heraus greifen. Am Ende seien Siegel auch nicht überzubewerten: „Kein Fernsehzuschauer glaubt ernsthaft, dass 90 Prozent aller Zahnarztfrauen eine bestimmte Zahncreme weiterempfehlen würden.“
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