DocMorris verliert seinen Frontmann: Viele innerhalb und außerhalb der Apothekenbranche haben Max Müller als die Personifizierung der Versender gesehen – im Guten wie im Schlechten. Er hat den Ruf eines begnadeten Netzwerkers und strategischen Denkers mit hervorragenden Kontakten in die Politik. Gleichzeitig gilt er aber auch als aufbrausend und unkontrollierbar. Dass er DocMorris ausgerechnet jetzt verlässt, wirft Fragen auf.
Müller weiß um die Bedeutung von Marken – und hat seine eigene nicht zuletzt deshalb sorgsam gepflegt. Mit seinen nach hinten gegelten Haaren und dem Einstecktuch wirkt er etwas anachronistisch. Doch Müller ist stets auf der Höhe seiner Zeit – meist zum Leidwesen seiner Mitbewerber.
Der gebürtige Hannoveraner aus deutsch-brasilianischem Elternhaus startet seine Karriere als Referent eines CDU-Bundestagsabgeordneten. Mit der Partei ist er seit Jahrzehnten verbunden, er war Mitglied der Jungen Union Hannover. Aus der Zeit kennt den heutigen Cheflobbyisten von Daimler, Eckart von Klaeden, der von 1994 bis 2013 für die CDU im Bundestag saß. Im Oktober 2002 – Müller ist gerade in einer Agentur angestellt, die unter anderem für Bionorica arbeitet – lädt von Klaeden in die altehrwürdige Parlamentarische Gesellschaft zu einem Treffen junger Parlamentarier. Neben ihm sitzt ein junger Unionsabgeordneter, ein Politiktalent, von dem man noch viel hören wird: der junge Jens Spahn. Die beiden kommen ins Gespräch, zunächst über Privates. Bei der einen Begegnung wird es nicht bleiben.
Solche Verbindungen sind Müllers größtes Pfund. Er treibt sie auch selbst voran, beispielsweise mit dem Gesprächskreis „Politik & Wein“, in dem er mit illustren Gästen wie dem späteren Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr von der FDP, dem später abgestürzten CSU-Politstar Karl-Theodor zu Guttenberg oder eben Spahn zusammensitzt. Die Kontakte werden sein Geschäftsmodell: Anfang 2003 gründet er die Agentur Kommunikation Politik und Wirtschaft (KPM), mit der er Unternehmen aus der Gesundheitsbranche Kontakte in die Politik vermittelt.
Erster KPM-Kunde ist DocMorris. Der Rx-Versand ist zu der Zeit noch illegal, das Unternehmen kämpft dafür, dass sich das ändert – Müllers Kontakte sind dabei viel wert, unter anderem tauscht er sich mit Spahn dazu aus. „Wir hatten beide Lust, die Gesundheitsbranche ein bisschen aufzumischen“, zitiert Spahn-Biograph Michael Bröcker den Lobby-Profi. Und bei KPM bleibt es nicht, seine nächste Unternehmensgründung wird Jahre später auf ihn und seinen – heute mächtigen – Bekannten zurückfallen.
Denn 2006 gründet er zusammen mit Spahn und dessen Büroleiter Markus Jasper eine Firma, der die Agentur Politas gehört. Jahre später, 2012, wird das noch für Schlagzeilen sorgen, denn Politas berät auch Kunden aus der Pharmabranche – und Spahn sitzt zu der Zeit bereits im Gesundheitsausschuss. Reich werden die drei durch Politas allerdings nicht, die Geschäfte sollen schlecht gelaufen sein. Kein Genickbruch für Müller, er bleibt umtriebig und heuert bei Celesio an. 2008 baut er das Hauptstadtbüro des Großhändlers auf.
Auch hier bleibt wieder der Stallgeruch: Just zur selben Zeit spricht sich Spahn in einem Beitrag für das Handelsblatt dafür aus, das Fremdbesitzverbot zugunsten eines Bedarfsplanungssystems abzuschaffen – so wie es auch Celesio will. Konzernchef Fritz Oesterle will damals eine Apothekenkette rechtlich durchsetzen, Müller ist daran maßgeblich beteiligt. Doch Celesio scheitert. Müllers Karriere tut das keinen Abbruch, seinen großen Wurf hat er noch vor sich. Nach einer Zwischenstation beim Krankenhauskonzern Rhön Klinikum verschlägt es ihn 2013 schließlich zu DocMorris.
Als erste Amtshandlung gibt er dort den politischen Kurs vor – und machte sich erneut zum Lieblingsfeind der Vor-Ort-Apotheker. Er legt ein Manifest vor, in dem er seine Fantasie eines optimalen Arzneimittelmarktes skizziert: Apothekenketten, Ende von Preisbindung und Fremdbesitzverbot, Selektivverträge mit den Krankenkassen – und das E-Rezept. Müller versteht es, DocMorris auch mit letztlich erfolglosen Aktionen in der Öffentlichkeit als vermeintliche Speerspitze der technischen Evolution im Gesundheitswesen zu inszenieren, sei es mit einem Apothekenbus im Wahlkampf oder dem Abholautomaten in Hüffenhardt. Für viele Apotheker wird er beinahe zur Hassfigur. Regelmäßig protestieren Kammern oder Verbände, wenn er zu Veranstaltungen geladen wird, in denen es um die Zukunft der Arzneimittelversorgung geht.
Doch es zeigt sich, dass er in vielem Recht behält. Der Apothekenmarkt entwickelt sich zumindest in Teilen dorthin, wo er ihn schon seit Jahren sehen will, nicht zuletzt dank der Ambitionen seines Bekannten Spahn, der mittlerweile nicht mehr nur im BMG verkehrt, sondern es leitet. Die Digitalisierung und insbesondere das E-Rezept sieht man bei DocMorris als vielleicht größte Chance des eigenen Bestehens – die Plakate mit dem Slogan „Das E-Rezept kommt“ in allen deutschen Städten sprechen da für sich. Auch hier inszeniert sich der Versender wieder als Spitze des Fortschritts, nicht nur durch das eigene E-Rezept-Modell, sondern auch durch die Kooperation mit dem Telemedizinanbieter Kry. Nacheinander sichert sich DocMorris den Zugang zu verschiedenen Playern im Gesundheitssystem. 2020 ist deshalb ein entscheidendes Jahr, jetzt werden die Pfade abgesteckt. Diese Entwicklung gilt es für den Versender nicht nur zu begleiten, sondern so viel Einfluss auf sie zu nehmen wie nur irgend möglich. Und ausgerechnet jetzt geht geht Müller von Bord.
Sein Ausscheiden überrascht, umso mehr, als es in der offiziellen Verlautbarung hinter einer Reihe von Nebensächlichkeiten versteckt wurde. Es wirkt ein wenig, als hätten sich DocMorris und Müller nicht im Guten getrennt – von keiner Seite gibt es dazu allerdings bisher einen Kommentar. Die üblichen Abschiedsfloskeln überließ Walter Oberhänsli, CEO von Zur Rose, nur DocMorris-Chef Olaf Heinrich. Dank und Würdigung von höchster Stelle sieht anders aus. Dabei hinterlässt er große Fußstapfen: Einen adäquaten Ersatz, um seinen großen Ambitionen gerecht zu werden, muss DocMorris erst einmal finden.
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