Rats-Apotheke

Mauz-Clan feiert fünf Apothekenjubiläen

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Berlin -

Fast 500 Jahre immer in derselben weitläufigen Familie: Dr. Christoph Mauz blickt mit seiner Rats-Apotheke in Esslingen zurück auf eine stolze und wechselvolle Geschichte. Hier stand auch die Wiege der heutigen Sanacorp. Mauz bewahrt die Tradition, verliert aber dabei die Digitalisierung nicht aus dem Auge.

Schon seine Vorfahren lenkten die Geschicke der Apotheke. Mauz übernahm sie 1986 in fünfter Generation. Zum Pharmazie- und Informatikstudium ging er in die Schweiz an die ETH Zürich. „Dort wurde sehr viel mehr Wert auf die Herstellung von Arzneimitteln gelegt als hierzulande“, erzählt er. Sein Studium schloss er 1980 als Diplom-Pharmazeut ab und promovierte 1987 im Fach Toxikologie. Zwölf Jahre später absolvierte Mauz in Deutschland die Weiterbildung zum Fachapotheker für Toxikologie und Ökologie. Heute gehört er zu den wenigen selbstständigen Pharmazeuten mit einem anerkannten Untersuchungslabor. Für die Kammer führt er als Schwerpunktapotheke Wasser- und Abwasseruntersuchungen durch.

Seine Rats-Apotheke nahm ihren Anfang vor 500 Jahren. Urkundlich belegt ist, dass der Esslinger Stadtrat am 1. April 1517 die Einrichtung einer zweiten Apotheke beschloss. Nach einer Ausschreibung wurde Philipp Horn aus Stuttgart als Inhaber benannt. In den 1530er-Jahren bekam Hans Blattenhardt den Zuschlag als Nachfolger. „Seit Eröffnung war die Apotheke immer im selben Gebäude, umgeben von der historischen Apothekergasse. Auch sämtliche Besitzer sind bekannt“, berichtet Mauz.

Seit Blattenhardt sei der Betrieb in der weitläufigen Familie geblieben, wenn auch unter wechselnden Namen: „Durch Inhaberwechsel auf die Witwen oder durch Heirat der Witwen oder der Töchter ergab sich jahrhundertelang eine einzigartige Kontinuität“, erzählt der heutige Besitzer. Nach dem damaligen Besitzer Karl Salzmann wurde die Apotheke erstmals umbenannt.

Im Jahr 1857 kehrte Gottlieb Mauz als Doktor aus der Schweiz in seine Heimatstadt zurück. Er übernahm seinen früheren Lehrbetrieb, die Salzmannsche Apotheke. Die Familie hatte gute Kontakte zum Württembergischen Königshof. So wurde Gottlieb fast 30 Jahre später von Königin Olga damit betraut, für die Verbreitung der Homöopathie eine eigenständige, von der klassischen Form völlig getrennte Form einer Apotheke aufzubauen. Diese wurde mit einer besonderen Betriebserlaubnis, dem königlichen Privileg, versehen und Homöopathische Zentralapotheke genannt. Der Apotheker erwarb dafür das Nachbarhaus, einen Kuhstall mit Getreidesilo.

Die Trennung der beiden Apotheken in den Nachbarhäusern wurde erst 1953 nach einem großen Umbau aufgehoben. Die Umbenennung in Rats-Apotheke Dr. Mauz besiegelte die Vereinigung. „Nach außen verblieben aber die getrennten Eingänge und die unterschiedlichen historischen Fassaden“, sagt Mauz. Das farbenfrohe Außengesicht der Apotheken wurde 1977 und 2014 noch einmal saniert und vielfach in Werbeprospekten der Industrie oder Zeitschriften wie dem Merian als Titelbild abgedruckt. „Auch der bekannte Kinderbuchautor und Maler Janosch hat die Fassaden kürzlich auf einer Zeichnung verewigt und ihr den ironischen Titel ‚das älteste Gewerbe am Rathausplatz‘ gegeben.“

Die Söhne Theodor und Paul übernahmen 1897 die Apotheke. Und vor 90 Jahren gründete Theodor Mauz gemeinsam mit Sohn Ernst die Firma Robugen. Sie produzierte zunächst im Haus der Apotheke, heute stellt sie ihr umfangreiches Arzneimittelsortiment in einer eigenen Betriebsstätte im Vorort Zell her. Robugen blieb in Familienbesitz und wird heute von Apotheker Jörg Mauz und Dr. Matthias Mauz geleitet.

Die Apotheke überstand viele Krisen, wie etwa in den 1920er Jahren. „Es gab damals eine gewaltige Schließungswelle, weil zahlreiche große Pharmahersteller einzelnen Apotheken die Belieferung verweigerten“, erzählt Mauz. Großvater Theodor gründete darauf 1924 im Haus der Apotheke zusammen mit Vettern, Freunden und Mitstreitern eine Einkaufsgemeinschaft, die Genossenschaft Egwa. „Später fand diese Idee immer mehr Zulauf und Nachahmer. Der Boykott der Hersteller konnte dadurch durchbrochen werden.“

Aus der Egwa in Esslingen wurde nach der Fusion mit der Wiweda die Sanacorp mit Sitz in München. „Nach weiteren Übernahmen ist sie heute einer der führenden Pharmagroßhändler.“ Von 1994 bis 2011 saß Mauz selbst im Vorstand der Sanacorp.

Sein Vater Dr. Dieter Mauz hatte die früher als Schulungsräume für Praktikanten und Produktionsstätten der Robugen genutzten Stockwerke zu Arztpraxen ausgebaut. So begründete er den Aufschwung der Rats-Apotheke. Als sein Sohn die Apotheke übernahm, setzte er neue Akzente. Er nutzte seit 1987 Computer für das Controlling und eine moderne Warenwirtschaft. Zudem schrieb er Software-Programme für Kollegen und Großhandlungen. In den 1990er-Jahren entwickelte Mauz gemeinsam mit der Esslinger Zeitung ein Internetportal, das über Apotheken-Notdienste wie lokale Kulturveranstaltungen gleichermaßen informierte.

Bei aller Digitalisierung habe sich die Rats-Apotheke ihren ursprünglichen Charakter als Herstellungsbetrieb bewahrt, sagt Mauz. „Im Gegensatz zu vielen neu entstandenen Supermarkt-Apotheken. Bis heute zählen Hausmittel auf pflanzlicher Basis zu wichtigen Standbeinen der Kundenbindung“, berichtet er. „Auch eine selbst entwickelte Hautcreme hilft bestens, wenn etwa ein Babypopo damit eingeschmiert wird.“ Seine oft als Testpersonen herangezogenen Kinder und Enkelkinder könnten das bezeugen.

Die alten Rezepturbücher aus der Schweiz und von den Vorgängern seien immer noch Gold wert. Gleichwohl habe er sein Sortiment immer wieder nach gesetzlichen Vorgaben reduzieren oder ändern müssen. Auch die Reformen im Gesundheitswesen hätten ihr Übriges getan: „Die Herstellung von Defekturen wurde gesetzlich unterdrückt und immer mehr unter bürokratische Aufsicht gestellt. Die Rendite ging dabei fast völlig verloren. Das ist sehr traurig, weil dadurch Altbewährtes ausgemerzt wird.“

Die vielen Reformen zur Senkung der Kosten hätten sich gravierend auf die Arbeit in den Apotheken und die Qualität der Arzneimittelversorgung ausgewirkt. „Die Politik entscheidet über die Köpfe der Apotheken hinweg. Das hat zu einer Umkehrung des Systems bei der Verantwortung geführt.“

Mit der Einführung der Rabattverträge sei die Lage noch einmal entscheidend gekippt. „Wir werden immer mehr durch die Krankenkassen entmündigt. Der Patient empfindet es nicht gerade als Zeichen von Kompetenz, wenn wir andauernd auf den Bildschirm schauen müssen“, sagt Mauz.

„Bei pflegebedürftigen Patienten übernehmen die Kassen fast nur noch Billigprodukte und gängeln uns mit langen Wartezeiten bis zur Genehmigung. Vor einigen Wochen hatte ich ein Retax-Verfahren am Hals, weil ich etwas abgegeben hatte, das ich laut Rabattvertrag nicht durfte, der Vertragsartikel war aber nicht lieferbar.“ Mit ihren europaweiten Ausschreibungen verdrängten die Kassen die Qualität der Apothekenlieferung vor Ort. Dabei befeuert würden sie durch die Versandapotheken aus dem Internet: „Auch der klassische vollsortierte Großhandel geht so vor die Hunde.“

Der erfahrene Apotheker übt sich inzwischen in Gelassenheit: „Ich bin jetzt in einem Alter, in dem ich mir vor allem die schönen Seiten meines Berufes heraussuchen kann.“ Dazu gehören auch sein Hobby als Pharmazie-Historiker, das Schreiben von wissenschaftlichen Büchern oder die Tätigkeit als Gutachter, unter anderem zu Giftstoffen (PA) in Arzneimitteln, Nahrungsmitteln oder Heiltees.

Auch mit nicht ganz so offizinnahen Themen wie Zecken („Niemals eine lebende Zecke ohne Eisspray und Desinfektion entfernen – immer zuerst schockgefrieren!“) oder der Müllverbrennung hat er sich bereits befasst. In der letzten Legislaturperiode wurde Mauz in die Gemeinsame Expertenkommission der an die zuständigen Ministerien angebundenen Bundesämter für Arzneimittel- und für Lebensmittelsicherheit berufen.

Auch für seine Heimat engagiert sich der erfahrene Pharmazeut. „Für meine Apothekerkollegen organisiere ich seit 30 Jahren den Notdienst im Kreis Esslingen.“ Bei den Mitarbeitern der Städtischen Kindergärten oder in Schulen seiner Stadt hält er regelmäßig Vorträge und bietet Beratungen zu Gesundheits- und Umweltthemen an.

Im September feierte Mauz gleich mehrfach: Den 500. Geburtstag der Apotheke beging die Stadt gemeinsam mit dem 90. Jahrestag der Einweihung des einzigartigen Glockenspiels. Großvater Theodor hatte es 1927 der Stadt für das benachbarte Alte Rathaus gestiftet. Ein Festival mit Live-Konzerten bekannter Carilloneure stand ebenso auf dem Programm wie Führungen durch die historische Apothekergasse, das Apothekenhaus und das Museum der Apotheke, in dem auch schon geheiratet wurde. „Einige Personen nahmen dabei an einem Versuch teil, bei dem ein vor 100 Jahren in der Apotheke hergestelltes homöopathisches Mittel heute noch eine prägnante Wirkung zeigte.“ Besonders freute sich Mauz über die persönlichen Glückwünsche der Mainzer Pharmazie-Choryphäe Professor Dr. Ernst Mutschler, der als Kind mit seiner Familie einige Jahre im Haus der Apotheke gelebt hatte.

Gleichwohl müsse er jetzt mit 64 irgendwann an eine Nachfolge denken. „Wenn ich jetzt jemanden suchen müsste, sähe es düster aus“, meint Mauz. „Hier gibt es noch weitere vier Apotheken in der Gegend, die günstiger gelegen sind.“ Zudem leidet auch die Rats-Apotheke unter dem Mangel an qualifiziertem Personal: Früher zählten bis zu 15 Mitarbeiter zum Team, davon bisweilen bis zu sechs Auszubildende. Heute hat er noch drei Vollzeit- und zwei Teilzeitkräfte.

Für die Qualität des heutigen Nachwuchses macht er auch die Änderung der Studienordnung in den 1970er Jahren mitverantwortlich: „Ich war 1974 der allerletzte Apothekerpraktikant, der vor dem Studium noch zwei Jahre in der Apotheke mit Abschluss als Vorexaminierter tätig war. Somit hatte ich einen genauen Eindruck von der Arbeit, die später auf mich zukommt.“ Nicht so der heutige Nachwuchs: „Viele merken erst im praktischen Jahr nach Ende des Studiums, dass die Apotheke nicht das ist, was sie wollten und orientieren sich dann um.“

Seine Hoffnung setzt er in den Nachwuchs quasi aus den eigenen Reihen. Zwar will keines seiner drei Kinder bis heute in die Apotheke. „Aber acht Nichten und Neffen stehen im Abitur oder orientieren sich nach dem Abitur gerade innerhalb der Familienbetriebe.“ Bis sie womöglich selbst die Apotheke übernehmen könnten, werde es wohl noch etwas dauern. Er wolle auf jeden Fall noch eine Weile die Stellung halten, sagt Mauz. „Beim jährlichen Klassentreffen bin ich aber jetzt schon der einzige, der – wie man auf Schwäbisch sagt – noch schafft.“

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