Mallebrin/Gargarisma: Zu sehr Arzneimittel Marion Schneider, 27.09.2017 11:51 Uhr
Die Halstabletten von Mallebrin und Gargarisma sind als Arzneimittel einzustufen – und damit zulassungspflichtig. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hatte bereits 2013 entschieden, dass die Produkte nicht mehr als Medizinprodukte zu vermarkten sind. Das Verwaltungsgericht Köln (VG) hat jetzt den Widerspruch des Herstellers Krewel Meuselbach zurückgewiesen.
Im Dezember 2005 hatte Krewel Meuselbach das Arzneimittel „Mallebrin Lutschtabletten“ vom Markt genommen und gleichzeitig das Medizinprodukt „Mallebrin Halstabletten“ eingeführt. Zwei Jahre später brachte der Hersteller unter der Marke Gargarisma weitere Halstabletten auf den Markt, die ebenfalls als Medizinprodukt eingestuft sind. Beide Präparate enthalten 9 mg des Wirkstoffs Aluminiumkaliumsulfat sowie Sorbitol, Pfefferminzaroma und Magnesiumstearat.
Der Hersteller bewarb die Tabletten als „traditionelles Arzneimittel“, das die „Wundheilung“ bei „Entzündungen der Mund- und Rachenschleimhaut“ fördern soll. Die Packungsbeilagen enthalten Angaben zu Anwendungsgebieten sowie Vorsichtsmaßnahmen und Hinweise zur Haltbarkeit, auch eine Dosierungsanleitung ist enthalten.
Damit verleiht Krewel Meuselbach laut VG dem Präparat insgesamt das Erscheinungsbild eines Arzneimittels. Auch die Vermarktung unter der Dachmarke Mallebrin beziehungsweise Gargarisma stütze die Auffassung, dass es sich bei den Halstabletten um ein Präsentationsarzneimittel handele. In beiden Produktfamilien gibt es bereits eine als Arzneimittel zugelassene Gurgellösung gegen Halsschmerzen.
Krewel Meuselbach hatte argumentiert, die Präsentation der Präparate sei für den Produktcharakter ohne Bedeutung. Nur wenn eine pharmakologische Wirkweise vorliege, könne es sich um Arzneimittel handeln. Dies sei bei den Mallebrin- und Gargarisma-Halstabletten allerdings nicht der Fall.
Aluminiumkaliumsulfat gehöre zu den Gerbstoffen, die nicht pharmakologisch wirkten. Die Reaktion des Gerbstoffes mit Zell- und Gewebebestandteilen, zum Beispiel mit Proteinen, stelle nur eine Ein-Schritt-Reaktion dar. Beim Gerbvorgang finde keine Signaltransduktion eines Rezeptor-Wirkstoff-Komplexes im pharmakologischen Sinne statt, die unmittelbar eine biochemische Folgereaktion auslöse. Zwischen Aluminium-Ionen und den funktionellen Gruppen der Membranproteine liefen keine biochemischen Reaktionen ab. Denn biochemische Reaktionen seien in lebenden Zellen durch Enzyme katalysierte chemische Reaktionen.
Die Produkte bewirkten daher zwar entzündungshemmende und antibakterielle Reaktionen. Diese Reaktionen seien jedoch keine Drei-Schritt-Reaktionen, bestehend aus einer Primärreaktion zwischen Wirkstoff und Rezeptor, einer Konformationsänderung der Rezeptoren (Signaltransduktion) und einer Sekundärreaktion im Sinne einer wirkstoffinduzierten Änderung des Zustands oder der Funktion der Zelle. Es handele sich lediglich um Folgereaktionen der Denaturierung in Form von Abnahme der Bakterienanzahl und eines dadurch bedingten Rückgangs der Entzündung. Beim Vorgang der Gerbung liefen nur rein chemische Prozesse ab.
Das BfArM hatte eine pharmakologische Wirkung gesehen. Es handele sich um die Beeinflussung körpereigener Prozesse durch Denaturierung der Proteine und deren Eiweißfällung. Der Wirkstoff könne Schmerz und Wundsekretion mindern, Entzündungen hemmen und kapillare Blutungen stillen. Durch die Denaturierung von Proteinen gelänge es Bakterien und Giftstoffen nicht mehr, tiefer in die Schleimhautmembran einzudringen. Aufgrund der adstringierenden und antimikrobakteriellen Eigenschaften könne Aluminiumkaliumsulfat unter anderem bei Entzündungen im Mund- und Rachenraum eingesetzt werden.
Hierbei handele es sich nicht um physikalische Prozesse, sondern um die Beeinflussung körpereigener Prozesse durch Denaturierung der Proteine und deren Eiweißfällung. Aluminiumverbindungen seien über den Magen-Darm-Trakt nur wenig resorbierbar und würden über die Niere wieder ausgeschieden. Eine beginnende Toxizität sei ab 2 g Gesamtdosis zu beobachten.
Ob die Wirkweise der Tabletten pharmakologischer oder bloß physikochemischer Natur ist, wollte das VG nicht klären. Unstrittig sei aber, dass es sich bei den Tabletten um Präsentationsarzneimittel handele und damit eine Zulassung brauche. Krewel Meuselbach war mit dem Urteil offenbar nicht zufrieden und hat Berufung eingelegt. Der Fall wird vermutlich im nächsten Jahr vor dem Oberverwaltungsgericht verhandelt.
Seit vergangenem Jahr versucht Krewel Meuselbach, mit einer Kampage im Retro-Look eine jüngere Zielgruppe für die 106 Jahre alte Mallebrin-Gurgellösung anzusprechen. In Anzeigen, Mailings und Schaufensterdekorationen sieht man Mallebrin in Kombination mit humorvollen Sprüchen wie „Aus einer Zeit, in der noch gegurgelt und nicht gegoogelt wurde“.
Vor einigen Jahren gab es bereits einen ähnlichen Rechtsstreit um Cholorhexidin-Mundspülungen, der jahrelang dauerte und verschiedene Gerichte beschäftigte. GlaxoSmithKline wollte sein Arzneimittel Chlorhexamed absichern und ging darum gerichtlich gegen verschiedene Anbieter vor, die die Mündspülungen als Kosmetikum vermarkteten, darunter auch Kreussner und Sunstar.
Der britische Konzern argumentierte, Chlorhexidin sei pharmakologisch wirksam. Die Ansicht setzte sich durch, mittlerweile gelten Produkte, die mehr als 0,1 Prozent des Wirkstoffs enthalten, als pharmakologisch wirksam. Die entsprechenden Mundspülungen von Kreussler (Dynexidin) und Sunstar (Paroex) sind als Arzneimittel zugelassen, einige andere Produkte wurden vom Markt genommen.