So will dm zur Apotheke werden Patrick Hollstein, 18.12.2024 15:40 Uhr
Nach wiederholten Andeutungen lässt dm kurz vor Weihnachten die Bombe platzen: Der Drogeriekonzern will mit einer eigenen Versandapotheke in den Markt einsteigen. Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren, mit den wichtigsten Marken soll es ab Sommer losgehen. Doch das Ganze soll nur ein Vorgeschmack sein: Im Hintergrund lobbyiert Konzernchef Christoph Werner für die komplette Freigabe des Marktes.
In der App und im Webshop von dm soll es künftig einen Reiter „Medizin“ geben; hier sollen auch OTC-Medikamente sowie Apothekenkosmetik angeboten werden. Eine eigenständige Versandapotheke wie zuletzt bei Douglas soll nicht entstehen. Die Vorbereitungen laufen auch Hochtouren; ab Juli sollen zunächst die Mitarbeitenden das neue Angebot testen können, der endgültige Launch ist für Oktober geplant.
Logistikzentrum mit Apotheke
Der Geschäftsbereich soll im tschechischen Bor angesiedelt sein. In der Kleinstadt nahe der Grenze zu Bayern befindet sich das Logistikzentrum, in dem bereits das komplette Versandgeschäft des Konzerns abgewickelt wird. Betrieben wird der Standort seit 2017 vom Logistikkonzern Loxxess, der auch andere Zentrallager von dm etwa in Polen betreut. Vor zwei Jahren wurde die Lagerfläche von 68.000 auf 145.000 Quadratmeter verdoppelt.
Fokus auf Schnelldreher
Der Entscheidung, OTC-Medikamente ebenfalls von diesem Standort aus zu verschicken, lag die Idee zugrunde, dass bei jeder Bestellungen auch Produkte aus dem Gesundheitsbereich gleich mit verschickt werden könnten. Allerdings will dm zunächst mit einem ausgewählten Sortiment starten: Gemeinsam mit einer Unternehmensberatung wurden 2500 OTC-Medikamente und 1500 Kosmetikartikel identifiziert, die zum Start in den dm-Webshop aufgenommen werden sollen. Weil es sich um die umsatzstärksten Marken handelt, wird trotzdem schon ein dreistelliger Millionenumsatz angepeilt.
Aktuell werden die Hersteller zu Gesprächen eingeladen; zunächst solche, die mehrere relevante Produkte im Sortiment haben. Termine sind aktuell noch bis in den Februar hinein vereinbart; seitens dm ist Tommy Bacherle für die Verhandlungen zuständig. Der Manager ist seit vielen Jahren beim Konzern und war 2021 aus dem Marketing in den Sortimentsbereich gewechselt.
Industrie an dm gewöhnen
Für dm ergibt der Einstieg über das Online-Geschäft durchaus Sinn. Denn so kann der Konzern ausloten, wie die Hersteller mit der neuen Situation umgehen. Einerseits geht es um Konditionen – von Rabatten über Listungsgebühren bis hin zu Werbekostenzuschüssen und etwa Beteiligungen an Payback. Und hier ist es alles andere als ausgemacht, dass sich die Industrie allzu schnell ködern lässt. Immerhin steht nicht weniger als ein Marktumbruch auf dem Spiel.
Andererseits will der Konzern seine Spielregeln bei der Direktbelieferung durchsetzen, das reicht von der Anlieferung von Paletten bis hin zum Auspacken von Ware. „Die Grundidee ist es, dass sich die Firmen an dm gewöhnen“, formuliert es ein Marktkenner. Für kleinere Mengen soll ein Großhändler eingebunden werden.
Vorerst keine Rx-Medikamente
Dass von Tschechien aus keine Rx-Medikamente geliefert werden können, hat die Verantwortlichen dem Vernehmen nach überrascht. Jedenfalls könnte dies erklären, warum davon zunächst keine Rede mehr ist – und warum es auch keine Kooperation mit einem anderen Versender gibt. Shop Apotheke und DocMorris dürften jedenfalls kein Interesse mehr daran haben, den angehenden Konkurrenten auch noch zum Einstieg in den Rx-Bereich zu verhelfen.
Bei Bedarf müsste dm also noch einmal umsatteln, was angesichts der Erwartungshaltung allerdings keineswegs ausgeschlossen ist. Denn in Karlsruhe hofft man ohnehin darauf, dass die neue Bundesregierung die Rahmenbedingungen grundlegend ändert. Hinter den Kulissen lobbyiert dm seit Monaten auf allen möglichen Kanälen für eine komplette Freigabe des Marktes. „Die große Hoffnung ist es, dass ein neuer Gesundheitsminister ab 2026 den Apothekensektor öffnet“, so ein Beobachter. Dazu würden derzeit massiv Gespräche mit der Politik genauso wie mit Ärzteverbänden oder den Kassen geführt. „Ich glaube, Christoph Werner macht derzeit nichts anderes.“
dm als Gamechanger
An der Börse hat die Ankündigung die Aktienkurse von Shop Apotheke und DocMorris auf Talfahrt geschickt. Zurecht, finden Branchenkenner: Wenn ein Konzern neben Amazon das Zeug dazu habe, zum Gamechanger im Apothekenmarkt zu werden, dann sei es die Drogeriekette. „dm hat die Erfahrungen, die Systeme, die finanziellen Ressourcen. Und weil man nicht an der Börse gelistet ist, kann man auch einmal solche Experimente wagen.“
Für einen Hang zum Risiko war dm bis jetzt nicht bekannt, doch Werner scheint fest entschlossen zu sein, seine Filialen als Anlaufstellen für Gesundheit positionieren zu wollen. Das reicht über den Arzneimittelbereich hinaus, wie er immer wieder zu Protokoll gegeben hat. Die entscheidende Frage ist, ob Politik und Kassen dem Konzernchef sowie seinen dystopischen Mahnungen und heilversprechend auf den Leim gehen und die GKV-Versorgung für neue Player wie dm öffnen.
Noch ist viel Vorarbeit zu leisten, von SAP über die Logistik bis hin zur Faktura. Und noch ist auch nicht ausgemacht, ob die Industrie so mitzieht, wie dm es sich erhofft. Aber so oder so wird der Vorstoß ein wesentliches Thema für das kommende Jahr werden – zumal auch Konkurrenten wie Rossmann nicht lange auf sich warten lassen werden.