Defekte Arzneimittel gehören in Apotheken zum Alltag und sorgen meist für Ärger. Die Ausfälle bringen auch die Abläufe beim Großhandel durcheinander. Andreas Sauer, Geschäftsführer des Privatgroßhändlers Fiebig, erklärt, welche Folgen Lieferengpässe für die Lagerhaltung haben und dass sein Unternehmen keine kontingentierten Medikamente ins Ausland verkauft.
ADHOC: Wie schaden Lieferengpässe dem Großhandel?
SAUER: Defekte bringen die komplette Lieferkette durcheinander. Die normalen Prozesse – bestellen, lagern, liefern – werden gestört. Bei unregelmäßigen Lieferungen bevorraten sich die Warenwirtschaftssysteme des Großhandels und der Apotheken automatisch mehr. Das liegt an modernen Bestellalgorithmen, die automatisch die Sicherheitsbestände erhöhen. Diese sind sehr sensibel und reagieren sehr kritisch. Aus diesem Teufelskreis heraus entstehen Hamsterkäufe, die das Problem weiter anheizen.
ADHOC: Lässt sich das WaWi-System nicht anpassen?
SAUER: Doch, das lässt sich manuell nachskalieren. Aber das wird in der Masse, mit der wir es zu tun haben, nicht funktionieren. Im Alltag lässt sich eine händische Anpassung der Reichweite und Mindestbestellmenge nur bedingt umsetzen. Das bringt auch nichts, wenn es Einzelne tun. Die sind dann die Verlierer.
ADHOC: Was passiert, wenn die Lager leer sind?
SAUER: Apotheken wollen die Ware bei der nächsten Verfügbarkeit nachgeliefert bekommen. Wir wissen genau, wie viele Backorders wir haben. Wenn wir dann Ware von den Hersteller erhalten und gleichzeitig 1000 Kunden mit Nachlieferungen bedienen müssen, sind die Lager gleich wieder leer. Das stört den Betriebsablauf wieder massiv, lässt sich aber angesichts der Liefersituation der Hersteller nicht verhindern.
ADHOC: Wie reagieren Sie?
SAUER: Wir haben durch Lieferengpässe und -ausfälle einen erheblichen Mehraufwand. Defekte Artikel müssen wir gesondert betrachten und beobachten. Wenn der Hersteller beim Wareneingang kürzt und nicht liefert, fragen wir automatisch am nächsten Tag telefonisch nach den Gründen. Im Anschluss wird regelmäßig angerufen. Außerdem werden die Lagerorte je nach Verfügbarkeit und Nachfrage permanent angepasst. Mehr Personal haben wir deshalb noch nicht einstellen müssen.
ADHOC: Hilft eine moderne Kommissionieranlage gegen Defekte?
SAUER: Ja. Die Lagerorte müssen angesichts der Defekte permanent neu zugeordnet werden. Es geht darum, Zeitverluste zu vermeiden. Das System muss zeitnah reagieren. Anhand der Abverkäufe und Beschaffenheit wird computergesteuert ein geeigneter Ort ausgesucht. Flaschen kann man nicht im Schnelldreherautomat lagern, große Kanister nicht im Kommissionierer. An jedem Komissionierort haben wir Reserveplätze für Artikel. Aber wenn keine Ware da ist, hilft auch der beste Kommissionierer nicht.
ADHOC: Was sagen die Unternehmen?
SAUER: Die Hersteller zeigen sich eher selten kooperativ. Sie sagen, sie wüssten nicht, wann die Ware wieder lieferfähig ist. Zudem nennen die Mitarbeiter in den Call-Centern oft unterschiedliche Gründe. Es gibt keine einheitliche Sprachregelung. Die Industrie muss transparenter werden und uns besser informieren, damit wir unsere Kunden aufklären können. Apotheken sind täglich mit diesen Problemen konfrontiert und müssen ihre Patienten informieren.
ADHOC: Kommen Lieferengpässe häufiger vor als früher?
SAUER: Die Defekte betreffen immer mehr Produkte – seien es Originale oder Generika. Die Situation hat sich in den vergangenen Jahren erheblich verschlechtert. Den Anfang dieser Problematik zu definieren ist schwierig. Vor 30 Jahren gab es so gut wie keine Lieferausfälle. Unter anderem haben sich mit fortschreitender Zentralisierung der Wirkstoffproduktion und der Globalisierung die Engpässe verschärft. Wenn eine Charge ausfällt, können die wenigen verbliebenen Hersteller nicht so schnell einspringen.
ADHOC: Gibt es eine Lösung?
SAUER: Die Situation kann nicht gelöst werden. Jede Handelsstufe muss sich anpassen. Wir können nur mehr Transparenz von der Industrie fordern. Die Mitarbeiter in den Call-Centern müssen besser informiert und ausgebildet sein, um verlässliche Antworten zu liefern. Die aktuelle konfuse Datenlage ist schwierig.
Wir wollen eine offene Kommunikation. Die Industrie sollte sich mehr Gedanken machen, was Lieferausfälle für Großhändler, Apotheken und Patienten bedeuten. Wir bewegen uns schon immer als bekannt transparentes Unternehmen im Markt und würden uns hier mehr Offenheit wünschen, um die Apotheken besser im Tagesgeschäft zu unterstützen. Ich lade jeden Hersteller ein, der sich hier vor Ort die Problematik ansehen will.
ADHOC: Stimmt es, dass Großhändler Ware ins Ausland verkaufen und das Problem damit verschärfen?
SAUER: Fiebig verkauft keine kontingentierte Ware ins Ausland. Wir nehmen unseren Versorgungsauftrag sehr Ernst. Wir beliefern unsere Kunden vor Ort. Verkäufe von anderen Großhändlern ins Ausland mag es geben.
ADHOC: Warum werden Großhändler bei den Nichtverfügbarkeitsbescheinigungen nicht konkreter?
SAUER: Wir bestätigen unseren Kunden, dass wir nicht liefern konnten. Mehr können wir nicht tun. Ich kann nicht wissen, ob der Hersteller die Ware prinzipiell noch liefert und die Apotheke Artikel eventuell direkt erhält. Hier muss sich aus meiner Sicht die Standesvertretung der Apotheker mit den Krankenkassen einigen, wie das Verfahren ablaufen soll. Wir als Großhändler können dabei in die Informationskette nicht eingreifen.
Andreas Sauer ist seit 30 Jahren bei Fiebig, seit 2008 ist er Geschäftsführer des Großhändlers mit Sitz in Rheinstetten. Seit Ende 2014 gibt es das Gemeinschaftsunternehmen Fiebig Ebert+Jacobi, das die Kunden des früheren Baden-Badener Großhändlers Ebert+Jacobi Holdermann bedient. Rund 1000 Apotheken werden von zwei Standorten aus beliefert. Insgesamt beschäftigt das Unternehmen rund 260 Mitarbeiter.
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