Immer mehr Apotheker erhalten kurz vor Weihnachten eine Abmahnung im Namen des easy-Apothekers Harald Steinert. Eine Kanzlei aus Hildesheim hatte in seinem Namen von mehreren Pharmazeuten die Abgabe einer Unterlassungserklärung gefordert. Steinert wirft seinen Kollegen vor, Lebensmittel in ihren Webshops nicht korrekt gekennzeichnet zu haben. Rechtsanwalt Dr. Morton Douglas geht davon aus, dass die meisten Abmahnungen unberechtigt sind.
Hintergrund der Abmahnung ist die Lebensmittelinformationsverordnung (LMIV), die seit dem 13. Dezember europaweit gilt. Danach müssen Hersteller bei Lebensmitteln – dazu gehören auch Nahrungsergänzungsmittel – mehr Angaben machen als bislang. Bestimmte Informationen müssen den Kunden bereits vor dem Verkauf zugänglich gemacht werden.
Aus Sicht von Steinerts Anwälten wird diese Vorgabe oft nicht erfüllt. Sie werfen den Apotheken vor, in ihren Webshops Produkte zum Kauf anzubieten, ohne dass die Kunden die Zutatenverzeichnisse vor Abschluss des Bestellvorgangs einsehen könnten. Abgemahnt wurden etwa vermeintliche Verstöße bei Ricola-Salbeibonbons und dem Megamax-Molketrink, aber auch bei Allgäuer Latschenkiefer-Bonbons von Dr. Theiss, wie bei einer Apotheke, die das Schreiben noch am Montagabend erhalten hatte. Andere Apotheker wurden noch am Dienstagmorgen abgemahnt.
Für die Apotheker besonders ärgerlich: Einige nutzen Online-Shops wie die von Phoenix, Apozin oder Mauve. Die Anbieter würden ihre Informationen von der ABDATA beziehen, die wiederum auf die Hersteller verweise, fasst eine Apothekerin ihre Recherchen zusammen. Da die Produktinformationen der Webshops zentral bereit gestellt werden, könnten theoretisch – wie bereits bei den Wagner/Becker-Abmahnungen – tausende Apotheker betroffen sein.
Aus Sicht von Douglas haben die Abmahnungen allerdings wenig Substanz. Der Rechtsanwalt verweist auf die Übergangsvorschriften der LMIV: Demnach gelten die Kennzeichnungspflichten für Hersteller nicht für Produkte, die am 13. Dezember bereits ausgeliefert oder vom Hersteller anderweitig markiert wurden. Diese Produkte könnten auch nach dem Stichtag wie gewohnt abverkauft werden.
„Nach überwiegender Auffassung schlägt diese Privilegierung der bereits zuvor markierten Produkte auch auf die Bewerbung – Vermarktung – derselben durch“, so Douglas' Fazit. Für den Vertrieb durch den Händler könnten keine weitergehenden Verpflichtungen gelten als für die Deklarierung durch den Hersteller.
Da der Apotheker die Abmahnungen aber schon kurz nach dem Stichtag ausgesprochen habe, sei davon auszugehen, dass es sich in der Mehrzahl der Fälle bei den beworbenen Produkten noch um Produkte handele, die aufgrund der Übergangsvorschrift abverkauft werden dürften, so Douglas. Die Abmahnung sei insoweit unberechtigt.
Darüber hinaus geht der Rechtsanwalt sogar davon aus, dass sich der easy-Apotheker gegenüber den abgemahnten Apotheken schadensersatzpflichtig gemacht habe. „Zum einen könnte auch hier der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs einschlägig sein, da die Zahl der Abmahnung in keinem Verhältnis zum eigenen Umsatz steht“, meint Douglas.
Aber selbst wenn dies nicht der Fall sei, bestehe „unter der Rechtsfigur der unberechtigten Eigengeschäftsführung“ ein Schadensersatzanspruch, weil die Abmahnungen nicht im Interesse der Abgemahnten gewesen seien, erklärt Douglas. Dieser Anspruch bestehe nur dann, wenn die fehlende Berechtigung zur Abmahnung schuldhaft verkannt worden sei. „Da der Apotheker ja selbst ausgeführt hat, er habe sich drei Monate mit den einschlägigen Vorschriften auseinandergesetzt, hätte ihm nicht verborgen bleiben dürfen – oder zumindest seinen anwaltlichen Vertretern –, dass es hier Übergangsfristen gibt“, so Douglas.
Steinert hatte am Montag betont, nicht gegen jeden Fehler vorgehen zu wollen – immerhin sei er selbst davor ebenso wenig gefeit wie seine Mitbewerber. „Es kann aber nicht sein, dass es Kollegen gibt, die sich gar nicht um das Thema kümmern“, sagte der easy-Apotheker der ersten Stunde.
APOTHEKE ADHOC Debatte