Ein Jahr lang hat Lacteol (Pohl-Boskamp) davon profitiert, dass Infectodiarrstop (Infectopharm) nicht lieferbar war. Doch nach einem Lieferantenwechsel ist das Konkurrenzprodukt jetzt zurück – und vor dem Sprung in den GKV-Leistungskatalog: Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) wird das Präparat vermutlich in Kürze auf die OTC-Ausnahmeliste setzen. Dagegen scheiterte der Zulassungsinhaber von Lacteol, der mittlerweile zu Actavis gehörende US-Hersteller Aptalis, mit einer Klage gegen den G-BA.
Antidiarrhoika wurden 2008 von der Verordnung zu Lasten der GKV vollständig ausgeschlossen. Grund waren Wirtschaftlichkeitserwägungen: Akute Durchfallerkrankungen seien in der Regel selbstlimitierend und durch diätetische Maßnahmen behandelbar, so der G-BA. Bei Erwachsenen sei Flüssigkeitsaufnahme ausreichend und zweckmäßig, bei Kindern sei die orale Rehydratationstherapie Standard.
Ausgenommen waren von Anfang an Präparate mit Saccharomyces boulardii bei Kleinkindern, Elektrolytpräparate zur Rehydratation bei Kleinkindern und Kindern sowie Motilitätshemmer bei Kolektomie in der postoperativen Phase. 2010 wurden zusätzlich Produkte mit Escherichia coli Stamm Nissle 1917 aufgenommen, die mindestens 108 vermehrungsfähige Zellen/Dosiseinheit enthalten und die bei Säuglingen und Kleinkindern zusätzlich zu Rehydratationsmaßnahmen eingesetzt werden.
Lacteol und Infectodiarrstop enthalten gefriergetrocknete Milchsäurebakterien und sind damit bislang von der Erstattung ausgeschlossen. Beide Hersteller hatten Anträge auf Übernahme der Kosten bei Patienten bis 12 Jahren gestellt und wurden abgewiesen.
Um doch noch auf die Ausnahmeliste zu kommen, führte Infectopharm entsprechend den Wünschen des G-BA eine Studie durch. Der Hersteller konnte nachweisen, dass Lactobacillus rhamnosus GG die Dauer der Diarrhoe signifikant um 1,22 Tage verkürzen kann.
Im November wurde ein Stellungnahmeverfahren eingeleitet; der Unterausschuss Arzneimittel gab bereits grünes Licht. Noch sind die Beratungen nicht abgeschlossen, mit einer Beschlussfassung wird einer Sprecherin zufolge in den kommenden Monaten gerechnet.
Aptalis versuchte, die Kostenübernahme für seine Kombination aus Lactobacillus fermentum und Lactobacillus delbrueckii auf juristischem Weg durchzusetzen. Der G-BA hatte aus keiner der sechs vorlegten Studien eine klinisch relevante Verkürzung der Diarrhoe erkennen können. Nach erfolglosem Widerspruch klagte der Hersteller 2010 gegen den Bescheid des BfArM.
Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG), das für Verfahren rund um die Anlage III der Arzneimittel-Richtlinie erstinstanzlich zuständig ist, wies die Klage ab. Wie schon die Experten des G-BA fanden auch die Richter, dass nur zwei der sechs vorgelegten Studien ohne gravierende methodische Mängel seien.
Einmal sei jedoch der Nutzen nur für Kinder nachgewiesen worden, die vorher keine Antibiotika erhalten hatten. Bei der anderen Studie sei der klinische Nutzen nur bei einer seit mehr als 24 Stunden bestehenden Diarrhoe belegt – in der Gesamtpopulation sei die Verkürzung um 6,6 Stunden irrelevant. Abgesehen davon, dass retrospektive Subgruppenanalysen unzulässig seien, habe der Hersteller in seinem Antrag auf keine Indikationseinschränkungen abgestellt, kritisierten die Richter.
Aptalis hatte noch versucht, die Evidenz der Konkurrenzprodukte infrage zu stellen – allerdings ohne Erfolg. Auch verwaltungsrechtliche Argumente stachen nicht durch: Die Rückausnahme von der Negativliste führe noch nicht zu einer Positivliste, so das LSG. Insofern sei die Sache auch nicht dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorzulegen.
Aus Sicht der Hersteller ist der Eintrag in der Ausnahmeliste nicht nur für das Image bei den Ärzten wichtig, sondern auch ein wirtschaftlicher Faktor. Perenterol (Medice) wurde laut Arzneiverordnungsreport 2013 rund 391.000 Mal auf Kassenrezept verordnet; der Umsatz auf Basis der Apothekenverkaufspreise (AVP) lag bei 2,3 Millionen Euro. Damit liegt das Saccharomyces-Präparat noch vor dem Elektrolytpräparat Oralpädon (Stada), das auf 300.000 Verordnungen und 1,3 Millionen Euro kommt.
Die ebenfalls Saccharomyces-haltigen Konkurrenzprodukte Perocur (Hexal) und Yomogi (Ardeypharm) standen 37.000 bezeihungsweise 26.000 Mal auf Kassenrezept; hier lagen die Erlöse bei 200.000 beziehungsweise 124.000 Euro. Bei Mutaflor (E. coli) wurden die Kapseln 31.000 Mal auf Rezept verordnet, die Suspension sogar 55.000 Mal. Insgesamt erlöste der Herstelller Ardeypharm 3,6 Millionen Euro auf AVP-Basis.
Auch Lacteol und Infectodiarrstop werden demnach – trotz Verordnungsausschluss – 28.000 beziehungsweise 33.000 Mal auf Kassenrezept verschrieben. Die Umsätze lagen bei 300.000 beziehungsweise 400.000 Euro.
Pohl-Boskamp hatte auch in Sachen Werbung für Lacteol vor Gericht eine Schlappe hinnehmen müssen. Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) hatte dem deutschen Vertriebspartner von Aptalis untersagt, mit dem Slogan „Stoppt Durchfall“ werben. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte sich unlängst geweigert, den Fall noch einmal aufzunehmen.
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