Krankenschwester statt Apotheker Patrick Hollstein, 03.08.2011 12:09 Uhr
Versorgung aus der Distanz, Betreuung vor Ort. Das Gemeinschaftsprojekt Medco Celesio geht in die nächste Ausbaustufe: Nachdem seit einigen Monaten das Daten-Dienstleistungsgeschäft für Krankenkassen erprobt wird, soll nun auch das Geschäftsfeld „Specialty Care“ aufgebaut werden. Dabei werden vor allem besonders teure und beratungsbedürftige Arzneimittel an die Patienten nach Hause geliefert - etwa durch die Versandapotheken der Mutterkonzerne, DocMorris (Celesio) und Europa Apotheek Venlo (Medco). Pflegedienste helfen dann vor Ort bei der Anwendung.
In Großbritannien hat Celesio bereits vor zwei Jahren mit Evolution Homecare ein Homecare-Modell auf die Straße gebracht. So koordiniert das Unternehmen (Claim: „We're big enough to take care of the little details“) im Auftrag von Pharmakonzernen, Kliniken oder Niederlassungen des staatlichen Gesundheitsdienstes NHS die Lieferung der Arzneimittel und die Betreuung.
Für die Patienten sind dann nicht mehr Apotheker vor Ort, sondern Mitarbeiter eines Call Centers, Krankenschwestern und Fahrer zuständig. Die Pflegekraft weist den Patienten zu Beginn der Therapie in die Anwendung der Arzneimittel ein. Das Call Center ruft in regelmäßigen Abständen an, fragt nach Änderungen in der Medikation und dem restlichen Vorrat und vereinbart Liefertermine. Der Bote - uniformiert und nach Möglichkeit immer derselbe - bringt schließlich die Medikamente aus einem der acht Depots vorbei. Bemerkt er Auffälligkeiten beim Empfänger, verständigt er das Service-Team, das dann wieder die Krankenschwester los schickt.
Als Alleinstellungsmerkmale werden genannt: ein einheitlicher Kontaktweg über das Call Center, ein professionelles Verordnungsmanagement einschließlich Erinnerungsfunktion, Training und Support durch Krankenschwestern, diskrete und temperaturgerechte Lieferungen, Entsorgung von Altarzneimitteln und Notfalllieferungen über Nacht. Die Patienten können sich die Medikamente auch an ihren Arbeitsplatz oder in eine Lloyds-Apotheke liefern oder beispielsweise an ihren Urlaubsort nachsenden lassen.
Auch in Deutschland sollen nun Patienten, die im häuslichen Umfeld versorgt werden, in entsprechende Betreuungsprogramme aufgenommen werden. Vor allem für Arzneimittel, die von geschultem Personal appliziert werden müssen, kommt der Bereich „Specialty Care“ in Frage. Auf lange Sicht dürften Medco Celesio - und all die anderen Anbieter, die in den Startlöchern stehen - allerdings weitere Teile der Chroniker-Versorgung ins Auge gefasst haben.
Entscheidend wird die Frage sein, wer den zusätzlichen Service am Ende bezahlt. Alleine aus ihren Margen werden die Versandapotheken ihren verlängerten Arm vor Ort nicht finanzieren können. Nicht umsonst wird daher bei Politik und Krankenkassen für das Konzept geworben. Beauftragt werden könnten Medco Celesio & Co. aber auch von den Herstellern, denen etwa in Großbritannien nachvollziehbare Lieferwege und ein direkter Zugang zu den Patienten versprochen werden.
Auch die Organisation der Dienstleistung könnte angesichts des Mangels an Pflegekräften eine Herausforderung werden. Zusätzlich gilt es für die Konzerne, Vorbehalte seitens der Ärzte und Apotheker zu überwinden. Und nicht zuletzt müssen die Patienten davon überzeugt werden, dass Hausbesuche von Schwestern und Lieferungen durch Boten bequemer sind als der Gang zur Praxis und Apotheke.
Den Grundstein für das Angebot hat Medco Celesio jedenfalls bereits gelegt: Seit einigen Monaten wertet der Konzern in Zusammenarbeit mit Experten von der „BIG direkt gesund“ Verordnungsdaten von Diabetes-, Asthma/COPD- sowie Herzpatienten auf Interventionsmöglichkeiten aus. Wer etwa seine Rezepte nicht einlöst, wird von Mitarbeitern des Berliner Call Centers daran telefonisch erinnert. Die Versicherten können auch einwilligen, Angebote der Versandapotheken zu erhalten.