Kommentar

Süße Säfte in bunten Packungen

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Berlin -

Nirgendwo ist das Spannungsfeld Heilberuf/Händler so dicht wie in der Freiwahl. Die Produkte werden zum Teil massiv beworben, zu Topsendezeiten auf allen Kanälen. Marken werden aufgebaut, gepflegt und vor Nachahmern beschützt. Die Apotheker handeln mit diesen Marken, hinter denen immer hochwirksame Arzneimittel stehen. Das ist mitunter ein schmaler Grat.

Arzneimittelrechtlich ist genau geregelt, was auf der Verpackung zu sehen sein muss und darf – und was nicht. Aber das hält die Hersteller natürlich nicht davon ab, diese Grenzen auszutesten. Onpack-Promotions, aufklappbare Werbung auf der Verpackung – die Marketingaktionen der Industrie beschäftigen regelmäßig die Gerichte. Manchmal sind es auch nur ein paar fliegende Pollen auf einer angedeuteten Wiese, die für Ärger sorgen.

Die Industrie muss an diese Grenzen, um hinter dem HV-Tisch die nötige Aufmerksamkeit zu bekommen. Eine etablierte Marke hilft aber nicht nur dem Hersteller, sie bietet dem Kunden auch Orientierung. In der Sichtwahl wird das bewährte Produkt wiedererkannt, das erspart mitunter viel Rätselraten auf beiden Seiten des HV-Tischs.

Der Heuschnupfenpatient mit seinen ohnehin tränenden Augen: Er kann zwischen zwei Niesanfällen schnell auf die Packung mit der Blumenwiese oder Pusteblume zeigen. Wenn sich beim Blick in die Sichtwahl aufgrund der psychologischen Komponente der Allergie die Symptome sogar verschlimmern, ist das eine ziemlich perfide Strategie der Absatzsteigerung.

Die Apotheker können froh sein, dass sie hinter sich nicht nur weiße Verpackungen mit Wirkstoffbezeichnung in den Regalen stehen haben. Das würde die Kommunikation in der Offizin erschweren und wäre nicht nur ziemlich langweilig, sondern auch margenschwach. Auch wenn man dem Markenbewusstsein unserer Tage kritisch gegenübersteht, seine Bedeutung kann man nicht negieren.

Und ob ein vollkommen blutleerer Handel mit neutral gestalteten Arzneimitteln überwiegend positive Effekte hätte, darf bezweifelt werden. Konsumverhalten ist gelernt und Apotheken sind keine Inseln. Viele Patienten schwören auf dieses oder jenes Präparat, das es quasi identisch in anderer Farbe gäbe. Nicht zuletzt hilft die bekannte Verpackung dabei, die Arzneimittel zu Hause zu unterscheiden und richtig einzunehmen.

Aber man kann es auch übertreiben: Kontrazeptiva mit sympathisch klingenden Frauennamen und Schmetterlingen oder Blümchen auf der Verpackung sind so ein Beispiel. Oder Bärchen auf einer Schachtel Ibuprofen. Besonders kritisch ist die Gestaltung von Arzneimitteln für Kinder. Die branchenübliche Verniedlichung der Verpackungen birgt ganz konkrete Gefahren.

Ob der süße Eisbär auf dem Hustensirup von Luuf, der lila Löwe bei Bromhexin von Krewel Meuselbach oder der kleine Hexal-Wichtel bei ACC akut: sie wirken anlockend. Die Hausapotheke muss um so mehr „für Kinder unzugänglich“ aufbewahrt werden. Aus gutem Grund verzichten die Hersteller von Putzmitteln mittlerweile auf Verpackungen, die Kinder neugierig machen könnten.

Wohin soll das führen? Irgendwann sind Hustensäfte für Kinder als Marken so etabliert, dass sie zur „Quengelware“ in der Apotheke werden; wie die Süßigkeiten an der Supermarktkasse. Kinder sollen keine Angst vor ihrem Arzneimittel haben, sie sollen sich nicht davor ekeln. Aber als besonderes Extra und gewissermaßen als Belohnung sollten sie es auch nicht wahrnehmen.

Fairerweise muss man sagen, dass die Anlockwirkung der Verpackung heute hinter dem Geschmack zurücksteht. Hustensäfte für Kinder sind fast schon Delikatessen. Der böse Friederich im Struwwelpeter erhält (vom Arzt!) noch „bittre Arzenei“. Mary Poppins propagierte schon das Löffelchen voll Zucker, das die bittre Medizin versüßt. Heute sind es eher zwei gehäufte Esslöffel voll Zucker. Bald schon wird die bittere Pille aufgehört haben, sprichwörtlich zu sein.

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