Mit seinem Urteil zu Rx-Boni hat der EuGH nicht nur einen Koalitionskrach über den Versandhandel losgetreten, sondern auch die gefestigte Rechtsprechung deutscher Gerichte zur Arzneimittelpreisbindung auf den Kopf gestellt. Damit haben sich auch die Vorzeichen in allen Prozessen geändert, die die Apothekerkammer Nordrhein mit DocMorris geführt hat. Aus dem Gejagten wurde der Jäger, und die Apotheker zahlen die Rechnung. Ein Kommentar von Alexander Müller.
Im Jahr 2014 verlor DocMorris einen Prozess um Rx-Boni. Einen von vielen; auch nachdem der extrem selten tagende Senat aller obersten Bundesrichter Rabatte auf verschreibungspflichtige Medikamente für alle Marktteilnehmer verboten hatte. Die niederländische Versandapotheke monierte zwar noch die zu späte Zustellung der schriftlichen Begründung und reichte reihenweise Verfassungsbeschwerden in Karlsruhe ein, tat dies aber stets vergeblich und bei wachsender Ungeduld der Gerichte.
So äußerte etwa das OLG Köln in jenem Verfahren 2014 merklich gereizt, es sei angesichts der vom Gesetzgeber vorgenommenen Wertung nicht die Aufgabe der Apothekerkammer, die drohende Beeinträchtigung einer flächendeckenden Versorgung zu beweisen. DocMorris habe lediglich pauschal bestritten, dass die gesetzliche Preisbindung ihren Zweck verfehle, „ohne hinreichend nachvollziehbar aufzuzeigen, welches andere konkrete System bei geringerer Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit ebenso geeignet wäre, die vorgeschriebenen Ziele zu erreichen“, so das OLG.
Der Fall müsse auch nicht dem EuGH vorgelegt werden, weil sich die Luxemburger Richter über die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten in Gesundheitsfragen schon eindeutig geäußert hätten, so die Richter. Kein Jahr später sahen die Kollegen ein Stück rheinabwärts das anders: Das OLG Düsseldorf legte eine eigentlich belanglose Boni-Klamotte in Luxemburg vor. Und die um Vorabentscheidung ersuchten EuGH-Richter befanden, dass der deutsche Gesetzgeber seine allgemeine Preisbindung durchaus besser hätte begründen müssen.
DocMorris‘ Beharrlichkeit hatte sich ausgezahlt: Von höchster Stelle wurde die Versandapotheke davon freigesprochen, sich an die Regeln des eigenen Hauptabsatzmarktes halten zu müssen. Was für ein Erfolg. Und jetzt das Sahnehäubchen: Der Freispruch gilt laut einem Urteil des Landgerichts Köln von vergangener Woche rückwirkend, ex tunc, wie der Jurist sagt. Die geläuterten Richter sind nach dem EuGH-Urteil überzeugt, dass sie DocMorris nie hätten verurteilen dürfen. Hatten sie aber, und obendrein Ordnungsgelder in Millionenhöhe verhängt.
Die Apothekerkammer Nordrhein hatte sich angeschickt, die Staatskasse auf diese Weise aufzubessern, da der unbeugsamen Versandapotheke offenbar anders nicht beizukommen war. Tatsächlich wurden die falschen Arzneimittelcheck-Boni irgendwann zumindest nicht mehr beworben. Gezahlt wurden die rechtskräftig verhängten Strafen dennoch nicht, man fühlte sich sicher hinter der Grenze. Und obwohl das Ganze politische ein Vabanquespiel war, ging die Rechnung wieder auf – wegen des EuGH-Urteils.
Jetzt kann DocMorris frisch behaupten: Wir haben es immer gewusst. Und wir haben es euch immer gesagt. Jetzt werden die Ordnungsgelder aufgehoben und die Apothekerkammer muss die Zeche auch noch zahlen, weil sie für Zechprellerei den falschen Standort hat. Ob DocMorris im Fall eines anderen Ausgangs in Luxemburg – der ja immerhin denkbar war – die zwischenzeitlich verjährten Ordnungsgelder als Spende an die Staatskasse oder gemeinnützige Zwecke überwiesen hätte, werden sie in Heerlen selbst am besten wissen.
Doch so unbefriedigend das Schauspiel aus rechtsstaatlicher Perspektive ist: Man kann DocMorris nur vorwerfen, alle Mittel bis zum Ende ausgeschöpft zu haben – inklusive der Hinhaltetaktik bei den Ordnungsgeldern. Beim Fußball gibt es auch Schwalben, vermeintliche Krämpfe und Zeitspiel, wenn eine Mannschaft kurz vor Schluss führt. Das ist nicht schön anzusehen, aber Teil der Regelausreizung.
Und die Kammer? War die zu voreilig mit ihren immer neuen Anträgen auf Ordnungsgeld? Im Nachhinein ist man immer schlauer. Aber aus damaliger Perspektive hatten der Gemeinsame Senat und das Bundesverfassungsgericht keine europarechtliche Relevanz gesehen. Boni waren nach deutschem Recht verboten und DocMorris hielt sich nicht daran. Hätte der EuGH doch anders entschieden, die Kammer hätte alles richtig gemacht. Auch das ist wie im Fußball: Wer spielt, kann verlieren.
Die jetzt von den Apothekern zu zahlenden Gerichtskosten sind zu verschmerzen, viel mehr schmerzt das Gefühl, dass das Spiel nach unfairen Regeln geführt wird. Der Binnenmarkt muss so gebogen werden, dass ausländischen Versendern ein Vorteil eingeräumt wird, gleichzeitig können sie sich in diesem Markt einer Sanktionierung durch Gerichte entziehen. Das verwundert.
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