Kohl verblistert ab Herbst Patrick Hollstein, 31.07.2007 14:45 Uhr
Der saarländische Unternehmer Edwin Kohl will in diesem Spätherbst mit der industriellen Verblisterung von Arzneimitteln für Heim- und Klinikpatienten, aber auch für auch
chronisch Kranke und alte Menschen, die daheim versorgt werden, beginnen. Das nicht unumstrittene Projekt der Kohl-Tochter Assist Pharma war wegen technischer Probleme mehrfach verschoben worden. Die Zeit drängt: Auch Sanicare-Chef Johannes Mönter hat die Zielgruppe im Visier.
70 Millionen Euro hat Kohl eigenen Angaben zufolge in den letzten Jahren in die Entwicklung seines Blisterautomaten investiert. Dazu kommen 30 Millionen Euro für die Bevorratung mit den rund 400 Produkten, die Assist Pharma in der Verblisterung anbieten will. Die Zeiten, in denen das Tochterunternehmen aus dem traditionellen Reimportgeschäft quersubventioniert wird, sollen nun vorbei sein: Kohl will schon bald zahlreiche der geschätzten 600 000 deutschen Heimpatienten mit seinen Blistern beliefern.
Einen „Riesenpaukenschlag“ wird es zum Start allerdings nicht geben. Stattdessen sollen Technik und Logistik ab Herbst zunächst in Modellverfahren getestet werden. Vier entsprechende Verträge mit Krankenkassen sind einem Unternehmenssprecher zufolge unterschriftsreif. Noch laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren: Die gesamte Technik wird derzeit von den zuständigen Behörden inspiziert; Großhändler, Hersteller und Apotheken werden zur Teilnahme eingeladen. Denn Kohl will alle interessierten Marktpartner explizit mit ins Boot nehmen: „Die unabhängigen Apotheken sind für uns die entscheidende Schaltstelle bei der Versorgung mit industriell verblisterten Arzneimitteln“, versicherte der Unternehmer gegenüber APOTHEKE ADHOC. Welche Rolle die rund 60 Apotheken des kürzlich komplett absorbierten Franchisekonzepts Avie in Zukunft spielen sollen, will man bei Kohl nicht kommentieren.
Jede Apotheke soll also mit Assist Pharma zusammenarbeiten können. Dazu wird ein spezieller Liefervertrag geschlossen; die entsprechende Technik für den Datentransfer wird von Kohl gestellt. Die Pauschale, die der Unternehmer für die Apotheken mit den Krankenkassen aushandelt, soll zwischen vier und sechs Euro je Wochenblister liegen - deutlich mehr als jene drei Euro, die der Gesundheitsökonom Professor Dr. Eberhard Wille bei seiner Analyse vor gut einem Jahr angesetzt hatte. Willes Untersuchung war nicht allzu positiv für das Konzept von Assist Pharma ausgefallen: Nur ein Siebtel aller Heimpatienten in Deutschland könne mittels industrieller Verbistlerung versorgt werden, wobei die Kosten stets den Nutzen um ein Vielfaches übersteigen.
Doch Kohl ist optimistisch genug, um an sein europaweit einzigartiges Projekt zu glauben. Zwei Blisterautomaten stehen zunächst zum Start des Projekts bereit; bis zu zehn Maschinen sollen mittelfristig im saarländischen Merzig auf Hochtouren laufen. Den Firmenchef, der in den vergangenen zwanzig Jahren das wichtigste deutsche Reimport-Unternehmen aufgebaut hat, treiben große Pläne für sein ehrgeiziges Projekt: Zehn Millionen Europäer zwischen Skandinavien und Gibraltar will Kohl in zehn Jahren mit seinen Blistern beliefern. Vor Konkurrenz fürchten sich die deutschen Entwickler vorerst nicht: Die bisherigen Schlauchbeutelsysteme, die etwa in Schweden oder Dänemark bereits zum Einsatz kommen, seien weder qualitativ noch quantitativ ernst zu nehmende Alternativen. Fotografiert werden dürfen die Assist-Automaten deshalb vorsorglich nicht.
Kohl gilt als Tüftler und Perfektionist, der nichts dem Zufall überlässt: Um auch solche Arzneimittel beliefern zu können, die nicht als zugelassene Großgebinde vom jeweiligen Hersteller zu beziehen sind, haben die saarländischen Ingenieure zusätzlich einen Automaten für die Entblisterung von Fertigarzneimitteln entwickelt. An der gesamten Technik wird immer und immer wieder gefeilt: Denn Fehler oder gar die Gefährdung von Patienten kann Kohl sich mit seinem Projekt nicht leisten.
Während die Politik erfreut auf das innovative Projekt reagiert und sich auch schon einmal zum Stelldichein nach Merzig begibt, verfolgen nicht nur Skeptiker die Ambitionen des Unternehmers mit Argusaugen. Zahlreiche industrielle Heimversorger warten regelrecht darauf, dass die Kreisgrenzenregelung für die Klinik- und Heimversorgung fällt, um selbst deutschlandweit im Markt aktiv werden zu können. Der Inhaber der Versandapotheke Sanicare, Johannes Mönter, will ein Kooperationsmodell für 150 bis 300 Apotheken auflegen, um ebenfalls flächendeckend Krankenhäuser und Altenheime mit Arzneimitteln beliefern zu können. Die Logistik soll dabei zentral über Sanicare abgewickelt werden; für Akutfälle, Verblisterung, Zytostatika-Herstellung und Beratung sind die regionalen Partner vorgesehen.