Ein Koffer gefüllt mit sechs Erkältungsmedikamenten ist kein angemessenes Werbegeschenk von Herstellern an Apotheken. In seiner Urteilsbegründung zum Streit zwischen Klosterfrau und Ratiopharm legt das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) dar, dass die Frage, welche Zugaben gegenüber Fachkreisen erlaubt sind, eigentlich höchstrichterlich geklärt werden müsste. Dass der Fall trotzdem nicht vor den Bundesgerichtshof (BGH) geht, haben sich die Anwälte des Kölner Herstellers selbst zuzuschreiben.
Der Inhalt des Koffers hatte einen Einkaufswert von 27,47 Euro. Klosterfrau hatte argumentiert, bei den einzelnen Arzneimitteln handele es sich um „geringwertige Kleinigkeiten“ im Sinne des Heilmittelwerbegesetzes (HWG). Doch bereits 2012 hatte der BGH ein anders lautendes Urteil dazu gefällt: „Werden für sich allein als geringwertig anzusehende Zuwendungen gebündelt gewährt, ist regelmäßig auf den Summeneffekt abzustellen“, zitiert das OLG in seinem Urteil.
Wie hoch die Schwelle der Geringwertigkeit bei Fachkreiswerbung ist, wurde bislang noch nicht entschieden. Für Verbraucher wurde eine Wertgrenze von 1 Euro definiert. Da Angehörige der Fachkreise genauso beeinflussbar seien wie Endkunden, habe diese Schwelle allgemeine Gültigkeit, entschieden die Richter am OLG. Geringfügige Kleinigkeiten sind Gegenstände von so geringem Wert, dass eine Beeinflussung der Adressaten ausgeschlossen ist, zum Beispiel Bonbons, Luftballons oder Taschentücher. Mit Logos bedruckte Kleinartikel wie Kugelschreiber wiederum seien als Werbeträger, die keine Beeinflussung darstellen, ebenfalls zulässig.
Die Richter merkten an, dass es eigentlich einer Entscheidung des BGH bezüglich der Geringwertigkeitsgrenze für Fachkreise bedürfe. Da Klosterfrau aber auf die Einzelpreise und nicht auf den Gesamtwert abgestellt hatte, war diese Chance vertan.
Klosterfrau hatte auch argumentiert, als Hersteller berechtigt zu sein, Apothekern Rabatte „in ganz erheblicher Höhe“ zu gewähren. Doch die Richter unterschieden zwischen dem Einkaufsvorteil und dem Geschenk. „Solche Nachlässe auf den an sich geforderten Preis sind nur zugelassen, wenn sie zusammen mit einem Heilmittel angeboten werden.“ Rabatte sollten idealerweise von Apotheken an ihre Kunden weitergegeben werden und so den Wettbewerb fördern.
„Maßgebend für das Überschreiten der Geringwertigkeitsschwelle ist allein, ob die Werbegabe als Geschenk empfunden wird, für das sich der Empfänger in irgendeiner Weise gegenüber dem Zuwendenden dankbar erweisen müsste.“ Dies sei bei Rabatten nicht der Fall, wohl aber bei Werbegeschenken. Während der Rabatt durch Wettbewerb zu einem Vorteil des Kunden führen soll, zielten Geschenke auf eine bevorzugte Berücksichtigung des eigenen Produkts in der Kundenberatung ab. Dies könne sich auch zum Nachteil des Patienten auswirken.
Der Gesetzeszweck spreche ebenfalls dafür, bei Angehörigen der Fachkreise genauso strenge Maßstäbe anzulegen, wie bei Verbrauchern. „Nach psychologischen Erkenntnissen entsprechend der sozialen Reziprozitätsregel ist bei einer kostenlosen Leistung oft zu erwarten, dass sich der Empfänger in irgendeiner Weise erkenntlich zeigen wird.“ Dies sei auch das erkennbare Ziel der Werbemaßnahme gewesen.
Die jüngste Verschärfung des Kodex über die freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie (FSA) „bestätigt den Gesetzeszweck, wonach die pharmazeutischen Unternehmen zur Vermeidung unsachlicher Beeinflussung der Apotheker äußerste Zurückhaltung bei Werbezugaben walten zu lassen haben“. Dass Klosterfrau kein Mitglied des FSA ist, war für die Richter unerheblich, schließlich unterstreiche es die allgemeine Sensibilisierung der Branche.
Eine Musterabgabe ist der Medikamentenkoffer aus Sicht der Richter ebenfalls nicht. Diese dürfen nur auf Anfrage versendet werden. Da schon diese Grundvoraussetzung nicht vorliegt, spiele es auch keine Rolle mehr, dass Klosterfrau statt der vorgeschriebenen Kennzeichnung „unverkäufliches Muster“ die Formulierung „zur Erprobung“ wählte, aus der sich die Unverkäuflichkeit nicht unbedingt ergebe.
Klosterfrau berief sich auf das AMG, das die Abgabe von Gratismustern an Ärzte, Heilberufler und Ausbildungsstätten erlaubt. Nach Ansicht des Herstellers gehören auch Apotheken zum vorgesehenen Empfängerkreis. Die Richter am OLG sahen dies allerdings anders: Hätte der Gesetzgeber Apotheker in die Empfängergruppe einschließen wollen, hätte er das bereits leicht klarstellen können. Ärzte sollen durch die Muster die Möglichkeit haben, Erfahrungen mit neuen Medikamenten zu sammeln. Ein vergleichbares Verhältnis gebe es zwischen Apotheker und Kunden nicht – schon gar nicht im Rx-Bereich. Kostenlose Muster würden Apotheken viel mehr eine kostenlose Bezugsquelle eröffnen.
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