Klosterfrau verliert Graumarkt-Krimi Patrick Hollstein, 16.02.2016 15:16 Uhr
Fünf Jahre ist es her, dass Sanofi und Klosterfrau wegen dubioser Graumarktgeschäfte in die Schlagzeilen gerieten. Über Zwischenhändler gelangten Medikamente mit nahendem Verfalldatum zu besonders günstigen Konditionen in den deutschen Markt – obwohl sie angeblich für internationale Hilfsorganisationen gedacht waren. Als die Sache aufflog, stellten sich die Konzerne als Opfer dar. Vor dem Bundesgerichtshof (BGH) musste Klosterfrau jetzt eine Schlappe hinnehmen.
Im September 2006 schloss Klosterfrau mit dem Hamburger Zwischenhändler MTI einen Vertrag über die Lieferung von Arzneimitteln. Demnach berechnete der Kölner Hersteller nur 79 Prozent des Listenpreises; im Gegenzug verpflichtete sich MTI, die Ware ausschließlich im Rahmen von Hilfslieferungen an Empfänger außerhalb der EU abzugeben. Das Unternehmen hatte sicherzustellen, dass die Ware nicht wieder nach Deutschland veräußert wurde. Jeder nachgewiesene direkte Weiterverkauf an Apotheken, Kliniken, Großhändler sowie Im- und Exporteure wurde mit einer Vertragsstrafe von 50.000 Euro belegt.
Bis September 2010 lieferte Klosterfrau in mehr als 100 Fällen Arzneimittel an MTI. Auf den Bestelllisten tauchen neben dem Kölner Hersteller Firmen wie Abbott, Bionorica, Essex, Mibe, Nycomed und Riemser/Fatol auf. Einige Lieferungen hatten einen Warenwert zwischen 42.000 und 70.000 Euro. Oft wurde Ware im Wert von 5000 Euro ausgeliefert, vereinzelt standen auf den Rechnungen aber auch weniger als 1000 Euro. MTI veräußerte die Arzneimittel mit einem Nachlass von 7 Prozent weiter an deutsche Pharmagroßhändler, allen voran Gehe.
Als das Konstrukt 2010 kollabierte, stellte Klosterfrau die Zusammenarbeit ein und machte in fünf Fällen die ausbedungene Vertragsstrafe geltend, insgesamt 250.000 Euro plus Zinsen. Das Landgericht Köln gab dem Hersteller im Juli 2014 recht, auch das Oberlandesgericht sah den Verstoß gegen die Vertragsbedingungen als erwiesen an. Für MTI standen die Chancen schlecht, vor dem BGH doch noch einen Erfolg zu erzielen. Denn Klosterfrau hatte einen sogenannten Urkundenprozess angestoßen, in dem alleine auf Grundlage der offiziellen Dokumente entschieden wird.
Im Kern ging es daher in Karlsruhe um die Frage, ob die Vertragsstrafe tatsächlich auf Augenhöhe ausgehandelt worden war oder als Allgemeine Geschäftsbedingung (AGB) von Klosterfrau zu bewerten ist. Dann müsste die Klausel einer Inhaltskontrolle standhalten, um überhaupt wirksam zu sein. Hier wurde das grundsätzliche Problem berührt, unter welchen Umständen Verträge von einer Seite gestaltet werden dürfen beziehungsweise wie weit das Mitspracherecht für beide Parteien gehen muss.
Nun wurde Klosterfrau zum Verhängnis, dass die Mittlerfirma Floki den Vertrag im August 2006 fertig ausformuliert vorgelegt hatte. MTI wurde lediglich gebeten, „Anmerkungen oder Änderungswünsche“ mitzuteilen – zu wenig aus Sicht der Karlsruher Richter: Zwar habe Klosterfrau eine gewisse Verhandlungsbereitschaft signalisiert. MTI sei jedoch „keine tatsächliche Gelegenheit eröffnet worden, alternativ eigene Textvorschläge mit der effektiven Möglichkeit ihrer Durchsetzung in die Verhandlung einzubringen“. Dass MTI von der Möglichkeit zur Einflussnahme keinen Gebrauch gemacht hat, ändert aus Sicht des BGH nichts daran, dass Klosterfrau die Vertragsbedingungen „gestellt“ hat.
Durch sogenannte Formularklauseln dürften Vertragspartner aber nicht unangemessen benachteiligt werden, so die Richter. Der Pauschalbetrag von 50.000 Euro pro Verstoß sei unangemessen, da der Warenwert zahlreicher Transaktionen sogar ganz erheblich unter diesem Wert gelegen habe. Dass dies bei Vertragsabschluss nicht zu erwarten war, sehen die Richter nicht. „Auf diese Weise kann die Vertragsstrafenabrede – ihrem eigentlichen Sinn widersprechend – dazu missbraucht werden, dem Klauselverwender einen nicht gerechtfertigten Gewinn zu verschaffen.“
Laut BGH hatte Klosterfrau bis September 2010 Medikamente im Wert von mehr als 800.000 Euro geliefert; der „Spiegel“ berichtete seinerzeit sogar von 56 Millionen Euro. Das ist immer noch deutlich weniger, als über Sanofi abgewickelt wurde: Laut Spiegel summierten sich die Umsätze hier alleine zwischen 2006 und 2010 auf 245 Millionen Euro.
Ab 2001 hatte beim französischen Pharmakonzern eine Spezialabteilung unter der Leitung des damaligen Cheflobbyisten Erich Dambacher eine Art „Resterampe“ für die Pharmindustrie aufgezogen. Neben Hilfsorganisationen wurden internationale Reedereien als Empfänger konstruiert. Für bis zu 50 Prozent Rabatt lieferte die Branche Produkte mit kurzem Verfall; über den Pharmakonzern gelangte die Ware an deutsche Großhändler. Abgewickelt wurden die Geschäfte ab 2004 auch hier über MTI.
Nach seinem Ausscheiden bei Sanofi betreute Dambacher das Modell über die Firma Floki weiter; auf diese Weise kam Klosterfrau ins Spiel. Der Vertrag mit dem Kölner OTC-Hersteller soll mit dem von Sanofi bis hin zu den Rechtschreibefehlern identisch gewesen sein.
Laut MTI-Chef Carl-Heinz Richter wussten die beiden Hersteller stets Bescheid, wohin ihre Ware ging. Nie soll ein Nachweis verlangt worden sein; vielmehr sei Wert darauf gelegt worden, dass es sich um in Deutschland verkehrsfähige Präparate handelte. Selbst die Bestelllisten kamen nicht von Abnehmern, sondern von Floki beziehungsweise dem Einkaufsbeauftragten der Firma, der gleichzeitig Vorstand des Vereins „Viva Westfalen hilft“ war und von Sanofi umsatzabhängige Provisionen erhalten haben soll.
Als es zum Bruch kam, setzten Sanofi und MTI die Staatsanwälte aufeinander an. Die Ermittlungen gegen MTI wurden mangels Tatverdachts bald eingestellt. Offenbar ging die Staatsanwaltschaft Stade davon aus, dass Sanofi vom Verkauf der Ware im Inland wusste – und weder getäuscht noch betrogen worden sei.
Richter brachte den Fall nicht nur an die Öffentlichkeit, sondern stellte seinerseits Strafanzeige wegen falscher Verdächtigung – und wegen Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr. 17 Objekte in mehreren Bundesländern wurden daraufhin durchsucht, darunter die Sanofi-Zentralen in Frankfurt und Berlin.
Laut Staatsanwaltschaft Verden wurden zwischen 2007 und 2010 rund 670.000 Euro an den Einkäufer gezahlt, der sich damit als Beauftragter des Unternehmens der Bestechlichkeit schuldig gemacht haben soll. Im Mai 2013 verurteilte das Amtsgericht Winsen (Luhe) Sanofi als Nebenbeteiligter zu einer Geldstrafe von 28 Millionen Euro. Zwei Mitarbeiter wurden zu Bewährungsstrafen wegen Bestechung verurteilt und gefeuert.