„Keine Selbstbedienung für Arzneimittel“ Alexander Müller, 28.10.2009 09:13 Uhr
Mit dem Arzneimittelabgabeterminal Visavia hat der Automatenhersteller
Rowa nicht nur Freude. Noch immer gibt es keine Rechtssicherheit,
verschiedene Gerichtsverfahren laufen parallel. Geschäftsführer Markus
Willems sprach mit APOTHEKE ADHOC über die Idee zum Projekt, die
Vorteile gegenüber dem Arzneimittelversand und die Ängste der Apotheker.
ADHOC: Warum macht Rowa Visavia?
WILLEMS: Die Idee hatte ursprünglich ein Apotheker, der auf uns zugekommen ist und gesagt hat, ich möchte den Notdienst von zu Hause aus machen, statt in der Apotheke zu sitzen. Im ersten Moment haben wir gesagt, dass das wahrscheinlich zu teuer ist. Aber dann kam der Gedanke, wenn der Notdienst von zu Hause möglich ist, dann kann man ihn auch von überall aus machen - und für verschiedene Apotheken. Und dann ist es auch wirtschaftlich für die Apotheken, diesen zusätzlichen Service anzubieten, weil sich mehrere Apotheken die Personalkosten teilen. Wobei man betonen muss, dass es nicht darum geht, den Notdienst zu ersetzen. Visavia ist ein Zusatzangebot im 24-Stunden-Service.
ADHOC: Für welche Apotheken lohnt sich Visavia?
WILLEMS: Wir haben circa 35 Automaten installiert, wobei die Apotheken aber unterschiedliche Applikationen nutzen: manche für Freiwahl, manche für OTC, manche für Rezepte. Außerdem können Kunden ihre Arzneimittel, die tagsüber in der Apotheke nicht verfügbar waren, nachts oder zu jeder Zeit dort abholen. Von den Apotheken her ist es sehr unterschiedlich: Wir haben Anwendungen in strukturschwachen Regionen, aber auch in Großstädten. Die Kunden wissen dann: Da ist immer eine Apotheke, die Medikamente verfügbar hat. Das ist das Interessante für Verbraucher.
ADHOC: Sieht so die Arzneimittelversorgung der Zukunft aus?
WILLEMS: Wer weiß, was in zehn, zwanzig Jahren der Fall sein wird. Aber für uns ist Visavia ein Zusatzangebot für den Verbraucher außerhalb der Geschäftszeiten. Ich glaube, es geht nichts über die persönliche Beratung tagsüber, und die wird vom Kunden dankend angenommen. Ansonsten hätte die Apotheke auch tagsüber gar keine Daseinsberechtigung. Aber nachts ist es eben anders: Da haben Sie die eingeschränkten Möglichkeiten, da müssen die Kunden immer zu einer notdiensthabenden Apotheke gehen. Wenn es dann ein Zusatzangebot gibt, ist das eine interessante Geschicht.
ADHOC: Gibt es Visavia ohne Apotheke?
WILLEMS: Die Angst der Apotheker, dass man so ein Gerät gegen die Apotheke einsetzen kann, ist natürlich irgendwo verständlich. Doch wenn eine Abgabe ohne Apotheke möglich wäre, dann könnte auch ein Bahnhofskiosk Medikamente verkaufen oder ein Supermarkt. Wir wollen Visavia ganz bewusst an die Apotheke koppeln. Wir müssen ein bisschen Vertrauen aufbauen, dann bekommen wir auch mehr Fürsprecher, denn eigentlich ist daran nichts auszusetzen.
ADHOC: Also keine Selbstbedienung für Arzneimittel?
WILLEMS: Die Frage ist, wo Visavia als Selbstbedienungsautomat eingesetzt werden kann und sollte: Warum sollen bestimmte Produkte, die überhaupt nichts mit Arzneimitteln zu tun haben, nicht in Form von Selbstbedienung abgegeben werden? Wir sehen schon Einsatzmöglichkeiten für dieses System in anderen Branchen und in anderen Märkten, etwa im Ausland. Aber immer da, wo ein apothekenpflichtiges Arzneimittel oder ein Rezept ins Spiel kommt, da muss automatisch die Videokonferenz aufgebaut werden, und da ist die Beratung dann auch gewährleistet.
ADHOC: Was ist mit den rechtlichen Bedenken gegen Visavia?
WILLEMS: Sie haben jetzt unterschiedliche Urteile, drei pro Visavia, eins gegen Visavia. Jetzt muss das Bundesverwaltungsgericht entscheiden. Wir sind sehr optimistisch, denn wenn wir uns mit anderen Abgabeformen wie dem Versandhandel vergleichen, dann sehen wir nicht, in welchem Punkt die Apotheke durch den Versandhandel besser gestellt ist als mit Visavia. Sie haben eine bessere Beratung, die Übergabe erfolgt direkt und kann die ganze Zeit durch den Apotheker kontrolliert werden und eben nicht vom Postboten, wie es beim Versandhandel der Fall ist. Deswegen gehen wir davon aus, dass das Bundesverwaltungsgericht zu unseren Gunsten entscheiden wird.
ADHOC: Ist Visavia das neue Geschäftsmodell von Rowa?
WILLEMS: Visavia wird sehr stark in der Öffentlichkeit diskutiert, aber wir haben ja neben den Automaten ganz viele Zusatzprodukte. Unser Ziel ist es, nicht nur einen Automaten zu liefern, sondern ein Gesamtkonzept anzubieten. Wir liefern Kühlschränke, wir liefern vollautomatische Einlagerungen, wir liefern Etikettendrucker, die zusätzlich zu unseren Automaten hinzu gekauft werden können. Visavia ist ein Bestandteil dieser gesamten Produktpalette, und mit diesem breiten Produktspektrum heben wir uns von unseren Wettbewerbern ab.
ADHOC: Wann lohnt sich ein Kommissionierer?
WILLEMS: Es gibt sicherlich eine Grenzgröße von 1,5 Millionen Euro aufwärts, aber es gibt auch Einzelfälle, wo sich das unter einer Million Euro Umsatz rechnet. Das kann man nicht immer pauschal sagen, das kommt immer auf die Ladenmieten an, auf die Struktur der Apotheke, aber ab dieser Größenordnung aufwärts geht es los.
ADHOC: Ist der Markt gesättigt?
WILLEMS: Nein, eine Sättigung können wir nicht beobachten. Wir haben 2750 Geräte verkauft, im europäischen Ausland natürlich auch, etwa die Hälfte geht ins Ausland. Wir machen zur Zeit circa 400 Anlagen pro Jahr. In Deutschland gibt es 6000 bis 8000 Apotheken, für die das eigentlich in Frage kommt. Da ist noch lange keine Marktsättigung in Sicht.