„Die Decke ist zu kurz“

Kehr: Keine Party mit Lauterbach

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Braunschweig -

Der Privatgroßhändler Richard Kehr feiert an diesem Wochenende sein 100-jähriges Bestehen, rund 300 Gäste werden in Braunschweig erwartet. Weil die Zeiten herausfordernd sind und sich Firmenchef Hanns-Heinrich Kehr nicht auch noch den Festakt vermiesen lassen will, hat er eine Person nicht eingeladen: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).

Kehr ist stolz auf die 100-jährige Firmengeschichte mit all ihren Höhen und Tiefen – und auch darauf, dass der Privatgroßhandel immer noch eine wichtige Größe in Deutschland ist. „Unsere Grundüberzeugung ist, dass man über Kooperation vor Ort viel erreichen kann und dass es eine Alternative zu Dominanz gibt“, sagt er am Vortag der Jubiläumsfeier in Braunschweig. Deshalb sei der inhabergeführte Großhandel auch ein Zukunftsmodell – genauso wie die inhabergeführte Apotheke.

Aus seiner Sicht sind Selbstständigkeit – und damit auch Eigenverantwortung – auch essenziell für den gesellschaftlichen Zusammenhalt: „Wir brauchen Politiker, die den Bürgern vertrauen.“ Stattdessen gebe es mittlerweile eine Regelungsdichte, die ihn als Unternehmer nur noch nerve: „Mein Vater hat in seinem ganzen Leben zwei Gesundheitsreformen mitgemacht. Wir haben jedes Jahr mindestens zwei davon.“

Statt die Branche mit immer neuen Regelungen zu überfrachten, müsse endlich mehr Geld ins System: „Wenn wir unsere Leistung auf dem hohen Niveau erbringen sollen, muss die Vergütung dafür auch bereitgestellt werden“, so Kehr. Seit zwölf Jahren hätten die Apotheken keine Anpassung gekommen – „jetzt fangen die Apotheken an zu kippen“. Die Branche sei extrem unter Druck und die flächendeckende Versorgung zunehmend in Gefahr.

Viel zu kurze Decke

Statt aber die Apotheken zu stützen, lasse Lauterbach nur die Marktpartner aufeinander los: „Was wir seit Jahren erleben, ist wie das Gezerre an einer zu kurzen Decke.“ Das weggefallene Skonto sei für die Apotheken gerade das größte Problem, während es dem Großhandel für den Moment eine kleine Entlastung bringe. „Es jetzt wieder gesetzlich zuzulassen, löst das Problem überhaupt nicht, sondern wäre eine eklatante Missachtung des Bundesgerichtshofs, der ja offen benannt hat, dass das Honorar der Apotheken für sich genommen auskömmlich sein muss.“

Laut Kehr hat der Großhandel ein originäres Interesse daran, dass es seinen Kunden gut geht. „Wir wollen die Apotheken ja schon aus dem Grund stärken, dass sie für uns den Absatzkanal sichern.“ Aber die Unternehmen selbst seien mittlerweile ebenfalls an eine Grenze gekommen. „Wir sind durchrationalisiert bis zum Gehtnichtmehr. Wir haben Investitionen verschoben, übernehmen Lagerhaltung und Vorfinanzierung. Aber irgendwann geht es nicht mehr.“

Aus seiner Sicht trägt der Gesundheitsminister die Verantwortung dafür, dass die Versorgung auf hohem Niveau gesichert wird. Weil Lauterbach das aus seiner Sicht nicht einhält, hat Kehr sich entschieden, ihn nicht zum Festakt einzuladen. „Ich habe ja keine Lust, mir das Jubiläum zu versauen.“

Selbsterfüllende Prophezeiung

Stefan Holdermann, seit 2003 Partner des Gemeinschaftsunternehmens Kehr Holdermann und des Ablegers Kehr Berlin, findet ebenfalls deutliche Worte: Der Versandhandel sei bislang nicht das Erfolgsmodell, als das er sich ausgebe und mit dem er seit Jahren immer wieder frisches Kapital einsammle. Im Rx-Bereich spiele er so gut wie keine Rolle – wenn die Politik die Apotheken aber weiterhin ausbluten lasse, drohe sich die Prophezeiung doch noch selbst zu erfüllen.

Holdermann verweist darauf, dass die Versender endlich nach den gleichen Maßstäben – etwa mit Blick auf die Temperaturkontrolle – bewertet werden müssten wie beispielsweise der Pharmagroßhandel. Dann wäre schon längst die Luft raus. So aber würden unter absolut lächerlichen Argumenten weiterhin Arzneimittel vollkommen unkontrolliert per DHL verschickt. „Diese unerträgliche Wettbewerbsverzerrung könnte der Bundesgesundheitsminister sofort abschaffen.“

Thomas Linsenmaier, in der Geschäftsführung für das operative Geschäft zuständig, hat noch ein Beispiel dafür, wie stattdessen den regulären Playern immer neue Auflagen gemacht werden: Schon heute gehöre der Großhandel zur Kritischen Infrastruktur (Kritis) und müsse alle zwei Jahre – zusätzlich zu den arzneimittelrechtlichen Inspektionen – ein Audit absolvieren. Zwei Mitarbeiter seien bei Kehr mit nichts anderem beschäftigt, als diese Prozeduren vorzubereiten und die geforderte Dokumentation auf dem aktuellen Stand zu halten.

Ab Januar soll dieser Rahmen abgelöst werden durch die europäische NIS-2-Richtlinie. Außer dem Namen wisse noch niemand, was da auf die Branche zurolle. Aber absehbar sei schon jetzt, dass künftig fünfmal so viele Unternehmen geprüft würden wie bislang und dass es kaum Kapazitäten gebe, um diese Anforderungen zu bewerkstelligen. „Das wird die Pleitewelle in der deutschen Wirtschaft noch einmal richtig befeuern.“

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