Kassen erschweren Lösung im AvP-Prozess Alexander Müller, 26.07.2021 11:37 Uhr
Das AvP-Insolvenzverfahren wird frühestens im kommenden Jahr zum Abschluss kommen. Vor allem der Einzug offener Forderungen gegen die Kostenträger macht Insolvenzverwalter Dr. Jan-Philipp Hoos und seinem Team viel Arbeit. Zumal die Krankenkassen laut dem zweiten Bericht des Insolvenzverwalters offenbar nicht besonders hilfreich sind.
Im September jährt sich die Pleite des Rechenzentrums, doch ein Abschluss des Verfahrens ist noch lange nicht in Sicht. Vor allem die Sichtung, Dokumentation und Zuordnung der abgerechneten Rezepte ist eine Sisyphusarbeit. Die beauftragte Firma „Aktensache“ aus Euskirchen hat allein rund 7500 Aktenordner und 400 Kartons mit Einzelmappen beim insolventen Rechenzentrum abgeholt.
Von offenen Forderungen in Höhe von 200 Millionen Euro gegenüber den Krankenkassen war man bei AvP zuletzt ausgegangen, allerdings gab es beim Rechenzentrum keine vollständige Debitorenbuchhaltung. „Verlässliche Angaben zu den aktuell noch offenen Forderungen aus Rezeptabrechnungen sind auch weiterhin nicht möglich“, schreibt Hoos. Nennenswerte Zahlungen hätten die Kassen jedenfalls bislang nicht geleistet. Sie berufen sich auf die „Gläubigerungewissheit“. Dazu kommt, dass ein erheblicher Teil der von AvP angenommenen 200 Millionen Euro von Aussonderungsrechten belastet sind.
Ein Schwerpunkt der Prüfung betrifft den sogenannten Rabattverfall. Wenn Kassen ihre Beträge zu spät an AvP ausgezahlt haben, wäre der Anspruch auf den Kassenabschlag verfallen. Mindestens seit 2013 sind diese Forderungen laut Bericht nicht an die Kassen gestellt worden. Das Potenzial wurde auf zwischen 37,2 und 137,4. Millionen Euro geschätzt. Allerdings stellte sich bei genauerer Prüfung der Zahlungseingänge heraus, dass diese häufig doch fristgerecht waren. Insidern zufolge wurde der Rabattverfall in der Bilanz des Rechenzentrums systematisch zu hoch dargestellt.
Hoos konnte beispielsweise für das Jahr 2016 nur 3,4 Millionen Euro geltend machen. Mit 67 Kassen wurde zumindest eine Einigung über die Verjährung der Ansprüche erzielt. Andere haben sich gar nicht zurückgemeldet und wurden von Hoos verklagt. Das Gesamtvolumen aus diesen Verfahren beläuft sich laut Bericht auf 200.000 Euro. Lediglich eine Kasse hat bislang überwiesen: 3232,81 Euro.
Hoos lässt von einer Kanzlei zudem Anfechtungsansprüche gegen das Bankenkonsortium prüfen. Im August 2020 hatte AvP 148,8 Millionen Euro von der Kreditlinie in Anspruch genommen. Die Banken hatten zum Stichtag der Septemberauszahlung gewartet, bis der gewährte Konsortialkredit durch eingehende Zahlungen der Kassen voll abgelöst war und die Kreditlinie dann sofort gekündigt. Das hatte letztlich zur sofortigen Zahlungsunfähigkeit des Rechenzentrums geführt. Die Prüfung dieses Manövers durch eine beauftragte Kanzlei ist noch nicht abgeschlossen.
Ebenfalls nicht final geklärt ist die Frage der Aussonderungsrecht. Hoos hatte auf Grundlage eines anwaltlichen Gutachtens bestimmten Apotheken diese Rechte zuerkannt. Glück hatte, wer eine Zusatzvereinbarung im Vertrag hatte, wonach die Rezeptforderungen nicht an AvP abgetreten wurden. Nachdem 3000 Hängeregisterakten gewälzt wurden, konnte Hoos ab Januar 2021 bislang 314 Apotheken sowie zahlreichen Krankenhausapotheken die Aussonderungsrechte zusprechen. Eine Schwierigkeit aus der Praxis: Die Sammelabrechnungen müssen auf die berechtigten Apotheken verteilt werden. Doch aufgrund von Retaxationen der Krankenkassen stimmen die überwiesenen Gesamtbeträge in Summe nie mit diesen Sammelrechnungen überein.
Bei den übrigen Betroffenen sieht der Insolvenzverwalter keine Aussonderungsrechte als gegeben. Sieben Apotheken haben Klagen auf Aussonderung ihrer Forderung anhängig gemacht. Das ist überraschend wenig. Hoos freut das, denn er hofft darauf, die Frage in einem Musterprozess klären zu können. „Es erscheint weder (kosten)effizient noch zielführend, eine Vielzahl von vergleichbaren Sachverhalten individuell gerichtlich geltend zu machen“, schreibt Hoos. Ein von Hoos zwischenzeitlich in Zusammenarbeit mit dem Gläubigerausschuss entworfenes Vergleichsszenario hatte keinen Erfolg.
Zahlreiche Apotheken haben sich Hoos zufolge allerdings direkt an die Krankenkassen gewandt und diese unter Hinweis auf mutmaßliche Aussonderungsrechte aufgefordert, nur noch an sie direkt zu überweisen und nicht an die Insolvenzmasse. Die Unsicherheit auf Seiten der Kassen ist der Insolvenzverwalter mit Treuhandkonten begegnet. Eine entsprechende Vereinbarung mit dem Ersatzkassenverband vdek gibt es bereits, mit dem AOK-Bundesverband befindet sich Hoos in Verhandlungen. Nur die die AOK Bayern schert laut Bericht aus und hinterlegt das Geld lieber bei Amtsgerichten. In 35 Fällen hat Hoos dies bislang mitbekommen – aus seiner Sicht der schlechtere Weg, da so zusätzlich Gerichtskosten anfallen.
Positiv im Bericht vermerkt sind der Verkauf des Krankenhausapothekengeschäfts an Noventi sowie des Hilfsmittelgeschäfts an das ARZ Haan. Noventi hat bereits 12 Millionen Euro überwiesen, aus dem variablen Teil des Kaufpreises werden der Masse weitere 2 Millionen Euro zufließen. Die ARZ Haan-Tochter RZH hat für das Hilfsmittelgeschäft 750.000 Euro gezahlt.
Da die allermeisten Posten, Bankguthaben und offenen Forderungen aufgrund der unklaren Ansprüche nur mit einem Erinnerungswert von einem Euro im Bericht verbucht werden, beläuft sich die freie Masse im Vermögen auf lediglich 9,4 Millionen Euro. Die Kosten des Insolvenzverfahrens schätzt Hoos inklusive Gerichtskosten auf 1,5 Millionen Euro. Eine Aussicht auf eine Quote lasse sich immer noch nicht beziffern, „da die mögliche Spannbreite angesichts etwaiger Drittrechte erheblich ist“, heißt es im Bericht. Wegen der vielen laufenden Prüfungen rechnet Hoos damit, dass das Insolvenzverfahren frühestens 2022 abgeschlossen werden kann.
Parallel läuft die strafrechtliche Aufarbeitung: Der ehemalige AvP-Chef Mathias Wettstein sitzt nach Informationen von APOTHEKE ADHOC weiterhin in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf hatte im Januar bekannt gegeben, dass gegen insgesamt fünf Beschuldigte aus der Führungsebene der Unternehmensgruppe sowie Mitarbeiter ermittelt wird, Wettstein war einer von ihnen. Es geht es um den Verdacht der Insolvenzverschleppung und Bankrott, Bilanz- und Urkundenfälschung, Betrug sowie Untreue.