Das Bundeskartellamt setzt seine Ermittlungen gegen die Großhändler wegen des Verdachts auf illegale Absprachen fort. Die Bonner Behörde hat die bei den Durchsuchungen beschlagnahmten Datenträger ausgewertet und fordert aktuell weiteres Material an. Werden die „als potenziell beweisrelevant identifizierten Dateien“ nicht freiwillig herausgegeben, kann das Kartellamt deren Beschlagnahme gerichtlich beantragen.
Am 14. September 2016 hatten 50 Mitarbeiter des Bundeskartellamts sowie Beamte der Kriminalpolizei zeitgleich die Hauptniederlassungen aller großen Pharmagroßhändler durchsucht. Betroffen waren Phoenix, Noweda, Gehe, Sanacorp, Alliance, AEP, Hageda Stumpf und Pharma Privat. Ein anonymer Hinweisgeber hatte die Bonner Behörde zuvor ausführlich mit Informationen gefüttert.
Bei der Durchsuchung in den Hauptniederlassungen sowie an weiteren Standorten wurden IT-Asservate sichergestellt. Mehr als ein Jahr danach sind jetzt alle Verwahrstücke durchgesehen. Was der Bonner Behörde als Beweisstück nützlich scheint, wurde kopiert, der Rest wird gelöscht. Die Großhändler bekommen eine Kopie der Daten auf Blu-ray, die das Kartellamt behält. Das Passwort zur Entschlüsselung wird separat per Fax geschickt.
Die Beschlussabteilung des Kartellamts ist aber offenbar auf der Suche nach weiteren Beweisstücken. Bis Mitte Dezember sollen die Großhändler definierte Dateien herausrücken, von denen die Ermittler sich weitere Erkenntnisse versprechen. Die Behörde weist vorsorglich darauf hin, dass sie beim Amtsgericht Bonn auch eine Beschlagnahmung beantragen kann. Das Gericht hatte im vergangenen Jahr auch die Durchsuchung genehmigt.
Ein Informant hatte sich zunächst über das anonyme Hinweisgebersystem an die Behörde gewandt und über die vermeintlichen Missstände in der Branche berichtet. Das reicht natürlich nicht, damit das Kartellamt sofort eine Durchsuchung einleitet. Aber der Hinweisgeber hatte eine E-Mail-Adresse hinterlassen, über die er in der Folge mit der Behörde korrespondierte. Die Ermittler hatten mehrere Nachfragen, die der Informant regelmäßig beantwortete. Darüber hinaus gab es ein persönliches Telefonat.
Das Kartellamt stufte die Informationen als glaubhaft ein. Offenbar verfügt der Hinweisgeber über detaillierte Informationen über den Markt und das Vorgehen der Großhändler im Wettbewerb. Weitere Recherchen der Behörde sollen die Absprachen der beteiligten Unternehmen und handelnden Personen bestätigt haben. Das jedenfalls teilte das Kartellamt den Großhändlern mit.
Was wird den Großhändlern vorgeworfen? Sie sollen ab Juli 2016 eine Art „Waffenstillstand“ vereinbart haben, um die Rabattschlacht zu beenden. Diese sei seit Anfang des Jahres neu aufgeflammt und habe bei den Großhändlern zu Ertragsproblemen und personellen Umstrukturierungen geführt. Deshalb sollen die Großhändler vereinbart haben, Apotheken ab Juli keine neuen Angebote zur Belieferung als Hauptlieferant mehr zu machen.
Dabei soll es sich nicht um kleine Deals zwischen konkurrierenden Außendienstlern gehandelt haben. Die Kundenabsprache hat nach Informationen des Kartellamts auf der Führungsebene der Großhändler stattgefunden. Die nachgeordneten regionalen Vertriebsleiter sollen demnach intern schriftlich informiert worden sein. Mehrere Großhändler hatten die Vorwürfe nach den Durchsuchungen zurückgewiesen. Die Entwicklung auf dem Markt spiegele auch keinen Waffenstillstand wider, hieß es.
Dem Amtsgericht Bonn wurden die Erkenntnisse vorgelegt, auf die das Kartellamt den Durchsuchungsbeschluss stützt. Auch das Gericht prüft die Akten und muss die Maßnahme genehmigen. Es gab allerdings auch schon Fälle, die trotz dieser Beweiswürdigung nach der Durchsuchung ohne Ergebnis eingestellt werden mussten. Auch der Boykottvorwurf gegen die Apothekerverbände bezüglich Gehe wurde vom Kartellamt nach Jahren kleinlaut fallengelassen.
Das Kartellamt macht aktuell keine Angaben dazu, ob in diesem Fall ein Großhändler von der Kronzeugenregelung Gebrauch gemacht hat. Grundsätzlich möglich wäre dies, die flächendeckende Durchsuchung spricht jedenfalls nicht dagegen. Die Ermittler suchen regelmäßig auch beim Hinweisgeber nach Material.
Nach der Bonusregelung kann jeder Beteiligte eines Kartells bis zu 100 Prozent des etwaigen Bußgeldes erlassen bekommen, wenn er das Kartellamt auf den Fall aufmerksam macht. Das sollte allerdings vor Beginn der Ermittlungen geschehen. Eine komplette Straffreiheit gibt es nicht, wenn der Informant das Kartell selbst angeführt hat oder im Verfahren weitere Absprachen zum Vorschein kommen, die vorab nicht eingestanden wurden.
Auch in einem laufenden Verfahren können sich Betroffene noch besser stellen: Wer im Rahmen der Durchsuchung oder anderer Ermittlungstätigkeiten als erster geständig ist, kann bis zu 50 Prozent des gegebenenfalls später verhängten Bußgeldes erlassen bekommen. Weitere Stufen sind nicht explizit vorgesehen, in der Praxis aber möglich. Welcher Teil der Strafe aufgehoben wird, hängt vom Wert der Information und dem Zeitpunkt des Geständnisses ab. Die Bonusregelung wurde den Großhandelschefs auch im aktuellen Fall angeboten.
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