Der ehemalige Bild-Chefredakteur Kai Diekmann ist eine der schillerndsten Figuren des deutschen Journalismus. In den anderthalb Jahrzehnten an der Spitze der Bild-Zeitung hat er polarisiert wie kaum ein anderer, aber auch als Vorreiter der Digitalisierung bedeutende Weichen gestellt. Axel Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner schickte ihn ins Silicon Valley, um herauszufinden, wohin die digitale Reise geht. Bei VISION.A von APOTHEKE ADHOC und Apotheken Umschau spricht Diekmann über Mut zum Erfolg. Die ungekürzte Fassung des Interviews können Sie auf der Homepage von VISION.A lesen.
ADHOC: Wer hat in den letzten Jahren mehr technische Innovationen in Ihr Leben gebracht: das Silicon Valley oder Ihre Kinder?
DIEKMANN: Ich denke schon, dass das die Zeit im Silicon Valley war. Ich bin da ja nicht als Volldepp hingefahren und ein Smartphone hatte ich seinerzeit auch schon. Was mir allerdings nicht klar war, ist, wie radikal und wie global das Silicon Valley denkt. Mir war nicht klar, wie schnell die Veränderungen von dort zu uns kommen werden und wie umfassend sie unseren Alltag verändern werden. Das war tatsächlich das entscheidendste Learning.
Dazu muss man auch wissen, dass das Silicon Valley wie ein Laboratorium funktioniert. Viele der Anwendungen, die später zu uns kommen, kann man dort bereits Jahre vorher erleben und ausprobieren. Auch damals gab es ja beispielsweise schon Uber und OpenTable. Es war eine entscheidende Erfahrung, zu sehen, wie diese Anwendungen nicht nur in unseren Alltag eingreifen, sondern ihn radikal verändern.
ADHOC: Was halten Sie denn von dieser digitalen Selbstvermessung? Viele machen sich ja Sorgen, weil Unternehmen mit unseren biologischen Daten Geld verdienen.
DIEKMANN: Diese Dialektik müssen wir einfach aushalten! Jede Technologie birgt Chancen und Risiken. Ich würde mich allerdings freuen, wenn es uns in Deutschland gelänge, erst einmal die Chancen zu sehen, bevor wir auf die Risiken hinweisen und uns dadurch den Zugang zu neuen Technologien von Anfang an mental versperren. Natürlich ist Datensicherheit ein ganz, ganz wichtiges Thema. Aber erst neulich hat ein Arzt den klugen Satz zu mir gesagt: „The data protection protects my patients from better treatment.“
ADHOC: Wir stellen uns also mit übertriebener Vorsicht selbst ein Bein?
DIEKMANN: In dem Bemühen, den Verbraucher zu schützen, neigen wir häufig dazu, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Ich glaube, dass das an vielen Stellen im Bereich der Datensicherheit heute der Fall ist. Lassen Sie mich es an einem Beispiel erklären Der Herzinfarkt ist die Todesursache Nummer eins in Europa. Wenn mir das Herzzentrum in Potsdam morgen sagen würde: „Wir brauchen drei Kontaktpunkte an Deiner Uhr, damit wir Deine Herzfrequenz laufend messen können und dann versprechen wir Dir, dass Du zumindest nicht an einem Herzinfarkt stirbst“ – dann bin ich doch der erste, der bereit ist, das zu tun.
Der übliche Fall heute – der jährliche Check-up – ist doch in allererster Linie eine Sache, bei der ich nicht meinen Arzt betrüge, sondern mich selbst. Was mache ich denn zwei Tage vorher? Ich trinke keinen Wein und gehe früher schlafen. Denn ich will dann aus der Arztpraxis kommen und hören: „Lieber Kai Diekmann, Sie haben das biologische Alter eines 35-Jährigen.“ Das hat ja aber nichts mit meiner normalen Lebensweise zu tun. Deswegen finde ich, dass wir die Möglichkeiten nutzen sollten, Daten zu erfassen, um Lebensqualität zu verbessern, Krankheiten besser voraussagen zu können oder aber Menschen zu helfen, die an Krankheiten leiden. Denken sie zum Beispiel an Diabetiker. Es ist doch ein Riesenfortschritt, wenn es in Zukunft gelingt, den Zuckergehalt im Blut über Kontaktlinsen zu messen und man das nicht mehr invasiv tun muss. Ich bin der Meinung, dass uns gerade im Bereich der Gesundheit die Digitalisierung unglaublich viele Fortschritte bringt.
ADHOC: Gleichzeitig sehen viele Apotheker aber im digitalen Wandel auch eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit.
DIEKMANN: … Stichwort DocMorris: In den neuen digitalen Angeboten sehen sehr viele Apotheker zunächst einmal eine Gefahr für das eigene Geschäft.
ADHOC: Es geht also nur darum, das eigene Geschäftsmodell zu retten?
DIEKMANN: Ich sitze ja zum Beispiel im Policy Advisory Board von Uber. Von dort beobachte ich mit einer gewissen Faszination die Abwehrkämpfe der Taxilobby in Deutschland. Natürlich kann man einfordern, dass man für eine Taxilizenz eine Ortskundeprüfung braucht. Ob das aber im Zeitalter von GPS wirklich angemessen ist oder es nicht vielleicht doch nur darum geht, ein bestehendes Geschäftsmodell mit all seinen Pfründen gegen Newcomer zu schützen, das überlasse ich dem Urteil des Beobachters.
Was diese Newcomer an vielen Stellen auszeichnet, ist der bessere Service für den Kunden. Denn was macht die neue Plattform-Ökonomie aus? Dass die dort agierenden Unternehmen extrem kundenorientiert sind und alles vom Kunden her denken. Und das kann man ja von vielen Dienstleistungsbranchen bei uns nicht wirklich behaupten. Ganz ehrlich: Jedes mal, wenn ich in ein Berliner Taxi steige und beim Telefonieren vom Fahrer angeschnauzt werde, dies sei kein Büro, dann wünsche ich mir, dass Uber endlich eingeführt wird.
ADHOC: Aber steht das nicht auch in einem Spannungsverhältnis zum Regulationsgebot in der sozialen Marktwirtschaft, wenn man beispielsweise an Themen wie Arbeitnehmerrechte denkt?
DIEKMANN: Insgesamt führt die Plattform-Ökonomie aber auch zu ganz anderen Freiheiten für die Arbeitnehmer. Ich bin nicht mehr in Arbeitszeitzwänge eingebunden, sondern ich kann frei entscheiden, wann ich arbeiten will und wann ich nicht arbeiten will. Aber so wie es gilt, bei der Regulierung nicht das Kind mit dem Bade auszuschütten, so gilt das umgekehrt auch bei der Liberalisierung. Wir müssen uns immer auf bestimmte Grundregeln verständigen.
Eine Sache ist mir dabei wichtig: Wir brauchen einen fairen Wettbewerb – vor allem mit den Wettbewerbern aus den USA. Es kann nicht sein, dass die Anbieter aus den USA hier in Europa zu anderen Regeln spielen dürfen als wir. Das ist in der Regel der Fall, wenn die Server von entsprechenden Dienstleistungsanbietern in Amerika stehen. Dann dürfen hier erhobene Daten drüben anders genutzt werden als wir es hier dürften. Das ist ein Wettbewerbsnachteil, der nicht fair ist.
ADHOC: Auch das ist wieder eine Frage der politischen Regulierung. Wenn jetzt die nächste GroKo kommt, soll es ja ein Heimatministerium geben…
DIEKMANN: … aber wieder kein Digitalministerium.
ADHOC: Stattdessen werden vereinzelte Schwerpunkte gesetzt wie der Breitbandausbau…
DIEKMANN: … von dem ich nicht einmal weiß, ob er am Ende so entscheidend ist. Wenn Sie nach San Francisco schauen oder nach Palo Alto, dem Herz des Silicon Valley, dann finden Sie dort eine katastrophale Infrastruktur. Da sind Sie froh, wenn Sie nur eine halb so gute Internetverbindung haben wie hier in Berlin. Aber offensichtlich hat eine ausreichende Breitbandversorgung nichts damit zu tun, extrem innovativ und disruptiv zu sein. Deshalb halte ich diese Reduzierung der Debatte auf die Versorgung mit ausreichendem Breitband für eine Scheindebatte.
ADHOC: Es werden also die falschen Schwerpunkte gesetzt?
DIEKMANN: Ja, so etwas wie Breitband ist Commodity, das muss man voraussetzen. Der Asphalt auf der Autobahn ist ja auch nicht entscheidend für die Innovation beim Autobau. Jeder Vergleich hinkt, der hier wahrscheinlich auch. Ich fürchte, dass in den Koalitionsvereinbarungen die richtigen Themen nicht angesprochen wurden: Welche Rahmenbedingungen schaffen wir beispielsweise für Innovationen? Was ist denn mit Wagniskapital? Welche strukturellen Voraussetzungen haben wir, um das entsprechend einsetzen zu können?
Ich bin überzeugt, dass alle diese Fragen – wie wir mit Daten umgehen, wem sie gehören, welchen Preis sie haben, welchen Markt es dafür gibt, Themen wie Cyberspace und Cyberkriminalität – in ein Digitalministerium gehören.
Neben Kai Diekmann steht noch eine ganze Reihe weiterer Top-Speaker auf der Gästeliste der VISION.A. So werden Christoph Keese, geschäftsführender Gesellschafter von Axel Springer hy, und Spiegel-Korrespondent Thomas Schulz ebenfalls von ihren Erfahrungen im Silicon Valley berichten. Autorin und Grimme-Preistägerin Thea Dorn steht ebenso auf der Speaker-Liste. Sie beschäftigt sich mit „Künstlicher Intelligenz und echter Vernunft“.
Professor Dr. Klemens Skibicki spricht über „Digitale Transformation – mehr Kopfsache als Technik“. Blogger und SPON-Kolumnist Sascha Lobo darf bei der dritten VISION.A ebenso nicht fehlen. Natürlich werden auch wieder die begehrten VISION.A Awards verliehen. Vor kurzem hat die Jury entschieden, welche der 60 Bewerber auf dem Siegertreppchen stehen.
Vor der Verleihung sorgt Kabarettist Timo Wopp für Stimmung. Am zweiten Veranstaltungstag stehen Smartlabs und Workshops auf dem Programm. Beim Agency Slam wird über die Zukunft der Pharma- und Apothekenkommunikation diskutiert. Dr. Hajo Schumacher hält als Moderator den roten Faden in der Hand. Informationen und Tickets zur Veranstaltung gibt es hier.
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