„Jauch-Rabatt“: Gericht fürchtet „Mehr-als-nötig-Kauf“ Patrick Hollstein, 16.01.2025 10:53 Uhr
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat sein Urteil zur Rx-Preisbindung noch gar nicht gesprochen, schon gibt es hierzulande Streit um die Auslegung: Das Landgericht Frankfurt (LG) hat in einem Eilverfahren den mit TV-Promi Günther Jauch beworbenen Rx-Bonus von Shop Apotheke verboten, weil er auch mit OTC-Medikamenten verrechnet werden konnte und damit aus Sicht der Richter zu unnötigem Arzneimittelkonsum verleiten könnte.
Shop Apotheke hatte einen Gutschein in Höhe von 10 Euro für das erste eingelöste E-Rezept ausgelobt. Das Guthaben wurde sofort mit der Zuzahlung verrechnet, konnte aber auch für mitbestellte Produkte genutzt werden. Genau darin sah das LG das Problem und erließ die einstweilige Verfügung, die IhreApotheken.de gefordert hatte.
Anreiz zum „Mehr-als-nötig-Kauf“
Selbst wenn es sich nach § 7 Heilmittelwerbegesetz (HWG) um einen zulässigen Barrabatt handelte, sei in der vorliegenden Fallkonstellation von einem Verstoß gegen vorrangiges Europarecht auszugehen, so das LG. Durch den Gutschein werde nämlich „für den Kunden der Anreiz geschaffen, zu dem bereits erworbenen Rx-Arzneimittel in unkritischer Weise noch mehr nicht verschreibungspflichtige Medikamente zu erwerben als tatsächlich nötig, nur um einen verbliebenen Restbetrag des Gutscheins nach Einlösung eines E-Rezepts zu verbrauchen, um sodann in den Genuss des vollständigen Ausschöpfens des Gutscheins zu kommen“, argumentiert das LG.
Dieser „Mehr-als-nötig-Kauf“ könne zu einem „womöglich gesundheitsgefährdenden Zuviel- und Fehlgebrauch“ führen – was durch die Werbevorschriften gerade verhindert werden solle. Dabei sei völlig lebensfremd, anzunehmen, die Kunden würden, wie von Shop Apotheke argumentiert, einen Restbetrag des ausgelobten Gutscheins allein für Artikel in Anspruch nehmen, die keine Medikamente seien: „Das Gegenteil ist der Fall.“ Shop Apotheke sei, wie der Name schon suggeriere, eine Versandapotheke: „Danach werden die Kunden bei lebensnaher Betrachtung diese selbstverständlich aufsuchen, um in erster Linie Medikamente zu erwerben.“
Es gebe auch nicht ansatzweise einen Zweifel daran, dass der Restbetrag des ausgelobten Gutscheins jedenfalls zu einem Großteil dafür genutzt werde, um entsprechende nicht verschreibungspflichtige Medikamente zu erwerben, so das Gericht.
Verbraucher ohne Fachkenntnis
Vor diesem Hintergrund seien die Mitgliedstaaten nach den Vorschriften der EU-Richtlinie 2001/83/EG geradezu verpflichtet, die Öffentlichkeitswerbung für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel – und um eine solche handele es sich hier, auch wenn es nicht um ein konkretes Präparat gehe – zu verbieten, wenn diese den unzweckmäßigen Einsatz von Arzneimitteln fördere. So hatte es der EuGH in seinem Urteil zu „Euroaptieka“ entschieden; die Apothekenkette aus Litauen hatte Mengenrabatte auf OTC-Medikamente ausgelobt.
In vielen Fällen verfügen die Verbraucher laut LG nicht über spezielle Sachkenntnis, um den konkreten therapeutischen Wert zu beurteilen. „Die Werbung kann also einen besonders großen Einfluss auf die Prüfung und die Entscheidung dieses Verbrauchers ausüben, und zwar sowohl was die Qualität des Arzneimittels betrifft als auch hinsichtlich der zu kaufenden Menge.“
Laut Gericht ist klar: „Eine solche Werbung, die den Verbraucher von einer sachlichen Prüfung der Frage ablenkt, ob die Einnahme eines Arzneimittels erforderlich ist, leistet der unzweckmäßigen und übermäßigen Verwendung dieses Arzneimittels Vorschub.“
Abgrenzung zu DocMorris
Immer wieder betont das Gericht, dass sich der Fall von der Konstellation unterscheidet, zu der sich Generalanwalt Maciej Szpunar zuletzt geäußert hat: Im Zusammenhang mit Gewinnspielen von DocMorris – eigentlich geht es um Schadenersatzforderungen des Versenders gegen die Apothekerkammer Nordrhein – hatte Szpunar argumentiert, dass der Arzt bei Rx-Medikamenten längst die Entscheidung über das Arzneimittel getroffen und der Patient sich nur noch für eine Apotheke zu entscheiden habe. Vor diesem Hintergrund sei nicht von einer Werbung für Arzneimittel, sondern nur für die Apotheke auszugehen.
Noch ist unklar, ob der EuGH diesem Votum überhaupt folgen wird – das Gericht in Frankfurt ließ jedoch keinen Zweifel daran, dass zumindest eine Anrechnung auf weitere Käufe womöglich sogar europarechtlich verboten ist. Die Frage, ob die Sache anders zu bewerten ist, wenn nur die Zuzahlung erlassen wird, ließ das Gericht allerdings offen.
Genau diesen Weg geht der Versender jetzt: Shop Apotheke hat nicht nur Berufung eingelegt, sondern mit der Begründung in der Schublade bereits einen neuen 10-Euro-Bonus ausgelobt, der nur noch mit der Zuzahlung, nicht aber mit anderen Produkten verrechnet werden kann. Gegen diesen ist IhreApotheke.de bislang offenbar noch nicht vorgegangen.
Gericht lässt Fragen offen
Auch wenn für in einem für ein Eilverfahren ungewöhnlichen Umfang von 43 Seiten ausführlich dargelegt wird, wie der Sachverhalt nach deutschem und europäischem Recht zu bewerten ist, lässt das LG zwei entscheidende Fragen offen: Lassen sich Rx-Boni, die alleine auf die Zuzahlung beschränkt sind, überhaupt als Arzneimittelwerbung verbieten – oder ist Preiswerbung beim Vertrieb verschreibungspflichtiger Arzneimittel, wie es der Bundesgerichtshof (BGH) in seiner Vorlage an den EuGH argumentiert hatte, nicht vielmehr ein Bestandteil des Wettbewerbs und daher nicht von der Richtlinie erfasst?
Und noch viel entscheidender: Sind Preisnachlässe, sofern sie gegen die Preisvorschriften nach Arzneimittelgesetz (AMG) und Sozialgesetzbuch (SGB V) gewährt werden, unzulässig? Oder ist die entsprechende Vorschrift in § 7 HWG in Bezug auf niederländische Versandapotheken europarechtswidrig – und damit die Preisbindung an sich in solchen Konstellationen längst obsolet?
Zu guter Letzt könnte auch noch entscheidend sein, ob Deutschland neue über das EU-Recht hinaus gehende Verbote erlassen könnte. Laut Richtlinie ist es den Mitgliedstaaten überlassen, die Werbung für erstattungsfähige Medikamente generell zu untersagen. Dies müsste aber unter dem Gesichtspunkt der Warenverkehrsfreiheit im Binnenmarkt erneut geprüft werden.