Ohne greifbares Ergebnis endete ein Gespräch zwischen dem Großhandelsverband Phagro und dem Deutschen Apothekerverband (DAV) über die Problematik der Nicht-Lieferfähigkeit von Arzneimitteln. Im Interview mit APOTHEKE ADHOC fordert der Vorsitzende des Phagro, Dr. Thomas Trümper, jetzt die Krankenkassen auf, sich mit an den Tisch zu setzen. Weder Großhandel noch Apotheken trügen für Lieferprobleme die Verantwortung: „Deshalb dürfen auch Gründe, die nicht juristisch eindeutig der Lieferfähigkeit des Herstellers zuzuordnen sind, nicht zu einer Retaxation der Apotheke führen“, sagte Trümper.
ADHOC: Kassen retaxieren verstärkt Apotheker wegen Nichtlieferbarkeit von Arzneimitteln, weil der verlangte Nachweis des Großhändlers nicht erbracht werden kann. Was ist da los?
TRÜMPER: Es werden in der Regel entweder Nachweise vom Hersteller selbst oder vom Großhandel verlangt, in denen er die Nichtlieferbarkeit durch den Hersteller bestätigen soll. Das ist doch der Knackpunkt! Es reicht den Kassen nicht, wenn der Großhandel die Nichtlieferbarkeit bestätigt. Der GH soll bestätigen, dass der Hersteller nicht liefern kann. Auf den ersten Blick scheint dies für Außenstehende ein leicht lösbares Problem zu sein. In der Praxis erweist sich jedoch bei näherem Hinschauen der Weg eines Arzneimittels vom Hersteller bis zum Patienten als komplexer Vorgang.
ADHOC: Was ist daran so kompliziert?
TRÜMPER: Das Problem ist vielschichtig. Da gilt es juristische Fallen zu vermeiden. Pharmazeutische Großhandlungen können gar keine juristisch eindeutige Bestätigung ausstellen. Würde der Großhandel auf Grundlage der ihm vorliegenden Informationen solch eine Bestätigung zu Lasten Dritter abgeben, könnte im Falle eines Rabattvertrages die Krankenkasse den Vertrag mit dem Hersteller kündigen. Dies wiederum könnte zur Folge haben, dass der Hersteller daraus eine Schadensersatzforderung an der Großhandel ableitet. Langwierige juristische Auseinandersetzungen mit ungewissem Ausgang wären unausweichlich. Dieser Gefahr kann sich kein Großhändler aussetzen.
ADHOC. Es geht doch nur um die Frage, wann ist ein Hersteller nicht lieferfähig. Das müsste sich doch eindeutig definieren lassen.
TRÜMPER: Der Begriff „vom Hersteller nicht lieferbar“ ist eben nicht eindeutig. Der Großhandel bestellt beim Hersteller aufgrund von Vergangenheitsdaten rechtzeitig, sobald ein definierter Mindestbestand erreicht ist. Dabei ist es sein Ziel, stets lieferbereit zu sein, also niemals in einen Leerverkauf zu geraten. Wegen eines akuten Bedarfs kann der Markt aber in Ausnahmen auch schon mal schneller leergekauft werden, als dies zu erwarten war und der Hersteller kann nicht sofort nachliefern. Außerdem ist solch eine Aussage immer eine Momentaufnahme. Wird die Erklärung morgens um 10 Uhr abgegeben, so kann sie bereits um 12 Uhr schon nicht mehr korrekt sein, weil zwischenzeitlich Ware eingelagert wurde. Für den Großhändler ist dies aber zum Abfragezeitpunkt faktisch eine Nichtlieferbarkeit des Herstellers.
ADHOC: Für den Apotheker auch. Und wie sieht das dann der Hersteller?
TRÜMPER: Der Hersteller wird sich gegen die juristische Schlussfolgerung, er sei nicht lieferfähig, wehren, weil er ja nach einer gewissen Zeit wieder liefern kann oder aus seiner Sicht bereits geliefert hat, die Ware war aber eben noch auf dem Lkw. Für beide Seiten muss man Verständnis aufbringen. Der Großhändler kann sich nicht für alle Medikamente solch große Vorräte anlegen, dass selbst ungewöhnliche und nicht vorhersehbare Bedarfe aus dem Bestand befriedigt werden können. Der Hersteller wiederum hat definierte Abläufe und kann nicht schneller nachliefern, als er das gewöhnlich tut.
ADHOC: Wie umfangreich sind denn die Lager der Großhändler bestückt?
TRÜMPER: Die Großhändler verfügen immer über ausreichende Warenbestände, sie wollen ja schließlich verkaufen, werden aber in sehr vielen Fällen nicht so beliefert, wie sie für ihren Bedarf bestellen. Ordert der Großhändler beispielsweise 10.000 Packungen eines bestimmten Arzneimittels, so kann es sein, dass ihm ohne jede Begründung beispielsweise nur 2000 geliefert werden. Warum die Hersteller diese Praxis ausüben, ist dem Großhandel unbekannt, es können viele Gründe dafür infrage kommen. Im Übrigen ist dieses Beispiel realistisch und tägliche Praxis. Es gilt auch für viele Rabattarzneimittel. Läuft das Lager in solch einem Fall leer, wird der Hersteller immer den Standpunkt vertreten, er habe ja geliefert, während der Großhändler die Nichtlieferbarkeit vom Hersteller attestiert. Auch hier ist Streit programmiert, sollte es zu der oben angeführten Konsequenz kommen. Man sieht also an den beiden geschilderten Fällen, dass der Begriff „Nichtlieferbarkeit vom Hersteller“ zumindest zur Exkulpation des Apothekers wenig taugt.
ADHOC: Gibt es denn in Deutschland gar keinen Überblick über die aktuelle Lage der Verfügbarkeit von Arzneimitteln?
TRÜMPER: Jein. Hin und wieder bekommt der Phagro eine Anfrage entweder von Länderministerien oder vom BMG, wie hoch der Bestand einer bestimmten PZN in den Mitgliedsbetrieben ist. In der Regel kann solch eine Auskunft innerhalb von 24 Stunden gegeben werden. Nur muss man sich darüber bewusst sein, dass dies nicht den aktuellen Lagerbestand im deutschen Markt widerspiegelt. Selbst wenn der Großhandel keine oder nur sehr geringe Bestände ausweist, heißt das noch lange nicht, dass Bedarfe von Patienten nicht bedient werden können. Die über 20.000 Apotheken in Deutschland verfügen natürlich über ein eigenes Lager.
ADHOC: Und füllen dies auch strategisch?
TRÜMPER: Ist im Markt bekannt, dass beispielsweise ein Impfstoff nach Ankündigung des Herstellers wegen Lieferproblemen zur Neige geht, bevorraten sich viele Apotheken vorsichtshalber etwas höher. Damit wird der Großhandel schneller leergekauft, Vorrat für Patienten ist aber dennoch da. Zudem verfügen gerade bei Impfstoffen viele Ärzte in Kooperation mit Apotheken über beträchtliche Bestände. All diese Vorräte in einer Abfrage zu erfassen, ist schlicht unmöglich. Sehr schnell kann der Eindruck einer Unterversorgung entstehen, obwohl dies faktisch gar nicht der Fall ist.
ADHOC: Es gibt doch 120 Läger des Großhandels in Deutschland. Da muss es doch irgendwo immer einen Vorrat geben.
TRÜMPER: Erfahrungsgemäß treten unerwartete Arzneimittelbedarfe auch nicht bundesweit, sondern regional auf. Hier beweist der vollversorgende pharmazeutische Großhandel seine Stärke. Jeden Tag beobachten und vergleichen die Phagro-Mitgliedsfirmen ihre jeweiligen Lagerbestände und Abgänge in ihren Niederlassungen. Entsteht nun in einer Region erhöhter Bedarf, der aus den in der Region angesiedelten Lägern nicht gedeckt werden kann, finden in der Nacht regelmäßig Lageraustausche zwischen ihren Betriebsstätten statt, so dass Arzneimittel aus Regionen, die nicht betroffen sind, innerhalb weniger Stunden zu den Brennpunkten gelangen. Das bundesweit flächendeckende Netz an Lagern der vollsortierten pharmazeutischen Großhändler, die im Phagro organisiert sind, bietet also eine sehr hohe Verfügbarkeit von Arzneimitteln, so dass auch unerwartete regionale Ausbrüche einer Krankheit keine Versorgungsprobleme erzeugen.
ADHOC: Das klingt insgesamt nach „Mission Impossible“ aus, eine Nichtlieferfähigkeit festzustellen.
TRÜMPER: Ja und Nein. Natürlich kann man bei gutem Willen gemeinsam eine Lösung finden. Dazu müssen aber alle Beteiligten an einen Tisch. Apotheker und Großhändler können dies alleine nicht, vor allem müssten Krankenkassen einen Nachweis akzeptieren, der den Apotheker entlastet, dabei aber Hersteller und Großhändler nicht in eine Position bringt, in der sie angreifbar werden. Man muss an dieser Stelle einmal deutlich hervorheben: Alle Beteiligten handeln hier mit großem Verantwortungsbewusstsein und mit dem Ziel, Patienten in ihrem Bedarf schnellstens zu befriedigen. Setzt man dies voraus, lässt sich auch eine Lösung finden.
ADHOC: Kann denn das Problem des Nachweises der Nichtlieferfähigkeit aus Sicht des Phagro irgendwie gelöst werden?
TRÜMPER: Tatsächliche Lieferprobleme von Seiten der Hersteller müssen von diesen vertreten werden und sind klar zu formulieren. Entsprechende Datenbanken existieren bereits beim BfArM und dem PEI mit Herstellermeldungen auf freiwilliger Basis. Aber auch hierfür sollte eine gemeinsame Sprachregelung nach festgelegten Kriterien gefunden werden. Es ist aber nicht glücklich, wenn, wie geschehen, ein Rahmenvertrag zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem DAV geschlossen wird, in dem der pharmazeutische Großhandel mit seiner Funktion angesprochen wird, ohne dass der Bundesverband Phagro dazu eine Meinung abgeben kann. Weder Krankenkassen, noch Apothekerverbände kennen die Abläufe im Pharmagroßhandel. Die bestehende Regelung berücksichtigt leider nicht die Realität bei der Lieferung von Arzneimitteln. Da müssen wir ran.
ADHOC: Phagro und DAV haben bereits darüber diskutiert. Wer soll denn jetzt die Sache in die Hand nehmen?
TRÜMPER: Eine Lösung muss her. Es wäre deshalb sinnvoll, wenn unter der Führung des GKV-Spitzenverbandes ein Gespräch mit Vertretern der Industrie, der Apotheker und des Großhandels erfolgt, um klare Definitionen und Regeln aufzustellen, die dann auch für alle praktikabel sind. Schlussendlich kann doch nicht der Apotheker dafür einstehen, wenn er keine Ware bekommt, dem vor ihm stehenden Patienten aber seine Arznei geben möchte. Ob diese vom Hersteller nicht lieferbar ist, oder der Großhandel, aus welchen Gründen auch immer, nicht liefern kann, ist letztendlich aus Sicht des Apothekers und des Patienten egal. Deshalb dürfen auch Gründe, die nicht juristisch eindeutig der Lieferfähigkeit des Herstellers zuzuordnen sind, nicht zu einer Retaxation der Apotheke führen.
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