„Die Konsolidierung findet längst statt“ Patrick Hollstein, 19.11.2013 15:16 Uhr
Medipolis gehört zu den zwei Dutzend Herstellbetrieben, die in
Deutschland im Auftrag von Apotheken patientenindividuelle
Sterilrezepturen anfertigen. An den beiden Standorten in Jena und
Weinheim bei Mannheim gibt es insgesamt zwölf Werkbänke; insgesamt
beschäftigt die Firmengruppe in den Geschäftsbereichen Vor-Ort- und
Versandapotheke, Homecare, Verblisterung und Sterilproduktion 190
Mitarbeiter. Im Interview erklärt Inhaber Dr. Christian Wegner, warum
Zyto-Ausschreibungen eine Gefahr für die Versorgung sind.
ADHOC: Warum sind Sie bei den bisherigen Ausschreibungen nicht zum Zuge gekommen?
WEGNER: Sowohl in Berlin als auch in Hessen haben sich Partnerapotheken von uns beteiligt. Da die Ausschreibungen nur ein Zuschlagskriterium haben, nämlich den Preis, haben wir anscheinend zu hoch geboten.
ADHOC: Was bedeutet das für Sie?
WEGNER: Wir sind mit den Geboten an die Grenze der kaufmännischen Vernunft gegangen. Das heißt im Umkehrschluss, dass Sie als Mittelständler in einem Ausschreibungsmarkt nicht konkurrenzfähig sind. Wir gehören ja schon zu den größeren Anbietern, aber gegen Strukturen mit DAX-Konzernen oder Finanzinvestoren im Hintergrund haben Sie keine Chance.
ADHOC: Allerdings haben ja auch „normale“ Apotheken Zuschläge geholt.
WEGNER: Ich kann nicht beurteilen, wie dort kalkuliert und gearbeitet wird. Den überwiegenden Teil der Lose haben jedenfalls Apotheken mit einem starken Partner im Hintergrund geholt. Und das spricht für die These, die eigentlich jeder, der qualifiziert mit der Patientenversorgung zu tun hat, vertritt: Ausschreibungen werden zu neuen Strukturen führen, die entweder von Konzernen gesteuert sind oder vom Finanzmarkt abhängen und die im Gesundheitsmarkt nichts zu suchen haben.
ADHOC: Sie haben sich doch auch einen Partner aus der Industrie an Bord geholt.
WEGNER: Zunächst einmal ist unser Industriepartner ausschließlich bei Medipolis Süd beteiligt und dort nur Minderheitsgesellschafter. Es gibt keinen Einfluss auf das operative Geschäft. Getragen wird die Zusammenarbeit von einem gemeinsamen Interesse: Nicht nur die Apotheken sind unter Druck, sondern auch die Generikaindustrie. Wenn Sie bei einem Großkonzern wie Fresenius ausgelistet werden, der von allen vorgelagerten Produktstufen bis zur Vene des Patienten überall dabei ist, dann haben Sie als Hersteller ein Absatzproblem. Und irgendwann haben Sie als Apotheke dann ein Lieferantenproblem.
ADHOC: Gibt es Dumpingpreise?
WEGNER: Das wäre nach Handelsgesetzbuch verboten. Ich kann nur sagen, dass wir unsere Prozesskosten intensiv durchleuchtet haben und genau wissen, welche Kosten und Mengen benötigt werden. Da wir aber nur mit einem sehr geringen Aufschlag kalkuliert haben, überrascht es mich schon, dass andere Anbieter noch günstiger geboten haben. Das würde übrigens auch dem Geschäftsmodell eines Finanzinvestors entsprechen, dem es nicht darum geht, an der einzelnen Zubereitung zu verdienen, sondern Marktanteile zu vereinnahmen. Nur so kann er nach einigen Jahren mit Gewinn verkaufen. Im Übrigen liegt es nach Ausschreibungsrecht auch in der Verantwortung des Auftraggebers sicherzustellen, dass die vereinbarten Preise auskömmlich sind.
ADHOC: Sehen Sie bereits eine Veränderung des Marktes?
WEGNER: Die Konsolidierung findet längst statt. Wir sehen ein Ausscheiden von Marktteilnehmern, und zwar auf allen Ebenen: Öffentliche Apotheken können die Entscheidung über eine Investition von 400.000 Euro nach neuer ApBetrO nicht guten Gewissens treffen, wenn sie nicht wissen, ob ihnen in einem halben Jahr eine Ausschreibung blüht. Auch die Krankenhausapotheken stehen unter Druck und werden genau rechnen, ob sie auf 10.000 Zubereitungen kommen können, die man braucht um wirtschaftlich zu arbeiten. Dasselbe gilt für die Herstellbetriebe, das Ausscheiden von Zytojen ist ein Beispiel.
ADHOC: Sind daran wirklich alleine die Ausschreibungen schuld?
WEGNER: Das Problem der schwindenden Margen hat nicht nur mit den Ausschreibungen zu tun, sondern auch mit der Hilfstaxe. Bei einigen Wirkstoffen wie Gemcitabin gibt es einen Preisverfall von bis zu 70 Prozent. Umgekehrt heißt das aber, dass die von den Kassen erwarteten Einsparungen von 300 Millionen Euro auch ohne Ausschreibungen erreicht werden. Exklusivverträge dagegen zerstören vorhandene Strukturen und Redundanzen, die für die Versorgungssicherheit wichtig sind.
ADHOC: Das sehen die Kassen anscheinend anders.
WEGNER: Es gibt nur einige wenige Kassenfunktionäre – allerdings sehr großer Kassen – bundesweit, die Ausschreibungen ausschließlich positiv sehen. Andere Kassen äußern sich sogar kritisch, genauso wie Ärzte und Apotheker. Aber solange Ausschreibungen nach Sozialgesetzbuch möglich sind, sind Leistungserbringer und Patienten bedroht.
ADHOC: Bedroht?
WEGNER: Es gibt eine Vielzahl von Dienstleistungen, die derzeit nicht abgegolten werden. Das fängt schon mit der Versorgung in der Fläche an. Wenn in Gebieten ausgeschrieben würde, in denen eine Kasse mehr als 60 Prozent der Versicherten hat, dann bricht dort die Versorgung zusammen – zumindest für die Versicherten der anderen Kassen. Die Alternative wäre also, das Gesamtpaket aufzuschnüren und jede Einzelleistung mit einem Preisschild zu versehen.
ADHOC: Sehen Sie auch Qualitätsprobleme?
WEGNER: Die pharmazeutische Qualität ist bei der Herstellung im industriellen Maßstab unbestritten sehr gut. Das hat schon damit zu tun, dass die Qualitätskontrolle durch die sachkundige Person von wirtschaftlichen Interessen abgekoppelt ist. Aber gerade Ausschreibungen bringen auch wieder Intransparenz in den Markt, die mit der Hilfstaxe gerade erst überwunden wurde: Die Gewinner müssen beispielsweise oft Reimporte einsetzen, um den Preis zu halten.
ADHOC: Haben öffentliche Apotheken in diesem Markt noch eine Chance?
WEGNER: Ohne Apotheke geht es gar nicht. Und wir sind auch überzeugt, dass die Kollegen eine hervorragende Patientenversorgung garantieren können, selbst wenn sie die Rezepturen nicht mehr selbst herstellen. Viele Apotheker haben sich über Jahre hinweg Know-how erarbeitet, das nicht zu ersetzen ist. Herstellbetriebe bieten solchen Apotheken eine Chance, in diesem Markt aktiv zu bleiben.
ADHOC: Wie sehen Sie Ihre eigenen Zukunftsaussichten?
WEGNER: Wir sind, was die konzeptionelle Ausrichtung angeht, auf einem hervorragenden Weg. Unsere einzige echte, existenzbedrohende Gefahr sind die Ausschreibungen. Mit echtem Wettbewerb haben wir kein Problem, solange die Spieße gleich lang sind. Das muss die Politik gewährleisten. Dann sind wir zuversichtlich: Andere Anbieter müssen konzeptionell erst einmal dahin kommen, wo wir sind. Und selbst dann gehen uns die Ideen nicht aus.